Wunderheilung in "Lourdes"

Von Vanja Budde · 29.03.2010
Mit "Lourdes" kommt ein beeindruckend intensiver, philosophischer Spielfilm der österreichischen Regisseurin und Produzentin Jessica Hausner in die Kinos. Er befasst sich mit der Sehnsucht nach Wunderheilung, die verzweifelte Kranke in den Pilgerort Lourdes führt.
Filmausschnitt: Malteserin erklärt Tagesablauf und Sinn der Pilgerreise.

Jessica Hausner ist zwei Mal mit dem Maltereserorden nach Lourdes gefahren, um für ihren Film zu recherchieren. Entsprechend genau schaut die Regisseurin hin: auf das Schlangestehen vor der Grotte, das Warten vor den Bädern mit Lourdes-Wasser. Warten auf ein Wunder.

Filmausschnitt: Christine berichtet von einem Traum, in dem ihr die Muttergottes erschien und sie wieder laufen konnte.

Wir erleben diese Pilgerreise aus dem eingeschränkten Blickwinkel von Christine. Sylvie Testud spielt einfühlsam diese zarte, junge Frau, deren Körper die Multiple Sklerose in den Rollstuhl gezwungen hat. Christine ist nicht besonders gläubig, aber weil sie auf Hilfe angewiesen ist und ihrer Isolation entkommen will, ist sie mit nach Lourdes gereist.

Filmausschnitt: Eigentlich macht Christine lieber Kulturreisen.

Hausner erzählt in klaren, exakt komponierten Bildern an wenigen, ständig wiederkehrenden Schauplätzen von den täglichen kleinen Demütigungen durch Abhängigkeit, vom unterdrückten Hunger der jungen Frau nach Leben. Kühl beobachtet die Regisseurin Wallfahrtsrummel und Massenabfertigung in Lourdes.

Hausner: "Ich versuch, glaub ich, immer eine gewisse Distanz einzunehmen zu dem, was ich erzähle, auch um einen Standpunkt zu finden, der mir selber ermöglicht, eine Reflexion anzustellen. Das interessiert mich mehr, als das kurzfristige Leid eines Individuums darzustellen. Mir geht's eher um eine Rührung, die grundsätzlicher ist, die mich im Herzen, aber auch im Intellekt berührt. Um auf ein solch wesentlicheres oder grundsätzlicheres Erzählen zu kommen, das gelingt mir nur, wenn ich ein bissl zurücktrete."

Die Absolventin der Wiener Filmakademie, ebenso schmal und zart und blond wie ihre Hauptfigur, ist die Tochter des bekannten Malers Rudolf Hausner. Vielleicht auch von ihm beeinflusst, hat sie schon früh das bewegte Bild als ihr Medium, sich auszudrücken, entdeckt - weil es ihr mehr Spielraum bietet für das Unaussprechliche. Bereits ihre ersten Gehversuche wurden auf Festivals gezeigt und mit Preisen ausgezeichnet.

Für "Lourdes" hat sie in Cannes viel Beifall bekommen. Zu Recht: Es ist ein sehr kluger, eleganter und atmosphärisch dichter Film, für den sie sich am Kino Jacques Tatis orientiert hat:

"Da hab ich mir viel abgeschaut. Auch mit seiner Art, totale Einstellungen zu machen und die Figuren des Films innerhalb dieser Tableaus zu arrangieren. Und auch wie der die Aufmerksamkeit von vorne nach hinten lenkt durch den Ton teilweise. Und auch seine Art des Humors."

Vor zehn Jahren hat Hausner eine eigene Produktionsfirma gegründet, um ihre Filme zu verwirklichen. Diese drehen sich stets um Themen, die sie persönlich beschäftigen. In "Lourdes" gehe es nur vordergründig um Wunderheilungen, sagt sie. Der Film sei eine Parabel, die die Grundängste der Menschen zum Thema habe.

Hausner: "Eigentlich geht's mir da drum, davon zu erzählen, dass Menschen erhoffen, in ihrem Leben Glück zu erfahren und ein sinnvolles oder erfülltes Leben zu führen. Und dass diese Hoffnung einmal erfüllt wird, also manchmal klappt's und dann ist man aber doch auch immer wieder mit der Vergänglichkeit oder Endlichkeit konfrontiert."
Die Malteserschwester, selbst schwer an Krebs erkrankt, mahnt Christine: Sie solle nicht zu viel erwarten und nicht das Falsche.

Filmausschnitt: Malteserin: "Ich weiß, es ist nicht leicht, aber wir müssen lernen, in Demut unser Schicksal anzunehmen. Wir beten um die Heilung der Seele, nicht des Körpers."

Und doch lässt die Regisseurin ihre Hauptfigur das Wunder erleben: Nachts spricht eine innere Stimme zu Christine, sie steht aus dem Bett auf und kann wieder gehen. Jessica Hausner ist kein gläubiger Mensch. Doch habe sie sich während der Arbeit an diesem Film ihren eigenen Lebens- und Sterbensängsten gestellt:

"Ich fand's einfach total interessant herauszufinden, wie in der katholischen Religion diese existenziellen Ängste versucht werden zu lindern. Die katholische Kirche versucht ja, da ein Pflaster drauf zu machen auf diese Wunde und sagt, es gibt ein Leben nach dem Tod, und es gibt einen lieben, guten Gott, und der kann auch hie und da mal wen heilen.

Ich war einerseits sehr skeptisch und andererseits total gerührt davon, weil ich gemerkt hab, so aufgeklärt kann ich gar nicht sein, als dass ich nicht auch diesen Wunsch kennen würde. Nach Geborgenheit und Schutz und danach, dass sich doch vielleicht irgendwer was dabei gedacht hat und sich das Leben irgendwie am Ende gelohnt hat."

Im Film "Lourdes" genießt Christine ihrer neue Freiheit: Sie wandert im Grünen, sie tanzt, sie flirtet. Ob Christines Heilung dauerhaft ist, bleibt am Ende offen. Jessica Hausner interessiert in diesem beeindruckend intensiven, philosophischen und darum sehr empfehlenswerten Film eine andere Frage mehr:

"Macht es überhaupt Sinn, auf ein Wunder zu hoffen? Woher kommt überhaupt diese Hoffnung auf Erlösung? Das ist für unsere Gesellschaft symptomatisch, dass man immer nach der Perfektion strebt und denkt, es kann alles noch viel toller werden oder noch viel glanzvoller.

Diese Hoffnung auf etwas Absolutes. Im katholischen Sprachgebrauch würde man sagen: Hoffnung auf Erlösung, wenn man es pragmatischer sieht, die Hoffnung auf die totale Erfüllung im Leben. Das kann man schon hinterfragen. Diese letzte Hürde, das Sterbenmüssen, da werden wir nicht drüberspringen."

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