Wunden in der Wand

Von Johannes Halder · 12.07.2012
Ethnokunst hat Konjunktur. Vom Reiz des Fremden und Exotischen profitiert auch das Werk der aus Kenia stammenden Künstlerin Wangechi Mutu, die in New York lebt und international erfolgreich ist. Ihre Collagen und Rauminstallationen sind in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden ausgestellt.
Es ist Rotwein, aber er tropft wie Blut aus Dutzenden von Flaschen, die mit dem Hals nach unten an Schnüren von der Decke hängen. Die roten Tropfen fallen auf einen acht Meter langen ovalen Holztisch wie auf eine Schlachtbank, sammeln sich in blutigen Pfützen und rinnen von dort auf den mit Haaren verklebten Boden.

Der Raum, von nackten Glühbirnen schwach beleuchtet, sieht aus wie die dunkle Höhle eines Magiers. Ein schwerer Geruch hängt in der Luft, an der Wand eine Trophäe aus Tierfellen, daneben sind Einschüsse zu sehen.

Durch diesen Raum muss man zunächst hindurch; es ist wie ein Initiationsritus, der einen reif macht für das, was kommt: Wangechi Mutu und ihre Schau.

So ähnlich stellt man sich Schwarzafrika vor: eine geheimnisvolle Mischung aus Schönheit und Schrecken, Gewalt und Hexerei. Und Wangechi Mutu spielt mit den Klischees, um sie zu brechen, sagt Kunsthallenchef Johan Holten:

"Das sagt eigentlich noch etwas aus über unsere Vorstellungen, und dann aber, dass Wangechi Mutu nicht gegen diese Vorstellung ankämpft, nicht probiert, auf Biegen und Brechen die umzudrehen, sondern die mitnimmt, die verstärkt, um dann zu einem Punkt zu kommen jenseits dieser Vorstellungen, wo die sich wieder auflösen."

Aufgelöst wird das Klischee in ihren Bildern. Es sind farbige, zum Teil sehr großformatige Collagen; die Ausschnitte nimmt Mutu aus Modemagazinen, Anatomiebüchern oder Pornoheften und montiert sie auf eine milchig transparente Folie, die ihnen eine lichte Tiefe verleiht. Aberwitzige Mutationen tauchen daraus auf: seltsam verstümmelte und zerstückelte hybride Wesen zwischen Pflanze, Mensch und Tier; rote Lippen, glatte Schenkel, schlanke Finger mit lackierten Nägeln wie Raubtierkrallen.

Da wuchert Steppengras und dort schwirren Fluginsekten um die biomorphen Gestalten, gesprühte Mixturen aus Tusche und Aquarell steigern sich zu einer betäubenden, fast hypnotisierenden Schönheit, dann und wann zerplatzt ein Körper in einem Farbschwall. Und als wäre das noch nicht genug, sind die Bilder mit Flitter und Fasern, Glassteinen, Perlen und Glitzerstaub übersät.

Das wäre, dem ersten Anschein nach, nichts als glamouröser Ethnokitsch. Doch der Stoff, aus dem Wangechi Mutu ihre Bilder schöpft, ist das Bild der schwarzen Frau als Opfer und Objekt, ihr Körper, an dem sich Phantasien entzünden, der mal vergötzt und mal misshandelt wird; ihr Thema sind Sexualität und Rasse, Hautfarbe, Folter, Krieg und Schrecken, die Dekadenz von Potentaten, die animalische Wildheit Afrikas – kurzum der ganze Zauber und die Plagen des schwarzen Kontinents. Vor allem aber, sagt Johan Holten, Exzesse und Gewalt.

"Es gibt Tiere, die explodieren, wo Blut eigentlich in alle Richtungen spritzen, es gibt Messer, es gibt Schnittwunden, auch die Körper selbst sind recht sozusagen verkrampft ineinander, mit Gewalt ineinander geschraubt, und so ist es ein merkwürdiges Changieren zwischen Schönheit und gewalttätiger, brutaler Kraftausübung, die sehr zentral für sie selbst ist, und sie hat mich sogar gemahnt: Wir müssen auch diese Kraft jenseits der Schönheit und da wo die Schönheit plötzlich kippt, wir müssen da die Leute auch dahin bringen, um das sich anzuschauen und das auch zu spüren!"

Und in der Tat lauern in dieser Schau neben halluzinatorischer Schönheit auch überall Schauder und Ekel. Ein Raum ist angefüllt mit fünfzehn Stühlen auf staksigen Stelzen. Throne für Despoten, und man weiß nicht, ob diese geflohen sind oder erst noch kommen werden. Ein bizarres Bild, ebenso bedrohlich wie erbärmlich.

Im Saal daneben sind die Umrisse von vier Seen in Ruanda, die sich nach dem Völkermord rot färbten vor Blut, tief in den Putz hineingeschürft wie blutige Wunden in der Wand. In einem anderen Raum baumeln an langen Schnüren 200 schwarze Klumpen von der Decke. Es sind zu Kugeln zusammengewickelte Plastiksäcke, wie sie von Kindern in afrikanischen Slums als Fußbälle benutzt werden.

Wangechi Mutu in Baden-Baden, das ist das Werk einer Frau, die ihr postkoloniales Erbe als Trauma mit sich herumschleppt. Ein Werk, das Aufschrei und Anklage ist und dennoch schwelgt in Schönheit und Lebensfreude.

Dass sich die Sammler um ihre Bilder reißen, wundert nicht, und die Schau ist ein echtes Erlebnis. Wangechi Mutu selbst allerdings wird ihre eigene Ausstellung nicht sehen. Käme sie nach Deutschland, dürfte sie nicht mehr in die USA einreisen. Dort hat sie zwar eine kleine Tochter, einen Mann und viel Erfolg - doch eine Aufenthaltsgenehmigung hat sie nicht.


Die Ausstellung "Wangechi Mutu - Solch ungeahnte Tiefen" ist in der
Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden bis zum 30. September 2012 zu sehen.