Wowereit: Der traurigste Tag Berlins

Von Jürgen König · 13.08.2011
Es war eine bewegende Stunde in der Gedenkstätte an der Bernauer Straße in Berlin. Neben dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit sprach auch Bundespräsident Christian Wulff. Er fand kritische Töne für manche Westdeutsche.
Es war eine bewegende Stunde in der Gedenkstätte an der Bernauer Straße. Vor dem Hintergrund der letzten Mauersegmente, die es in Berlin noch gibt: ernste Mienen auf den Gesichtern der 400 geladenen Gäste, unter ihnen viele Angehörige von Maueropfern, viele frühere Bürgerrechtler der DDR. Von einem "verhängnisvollen Tag unserer deutschen Geschichte" sprach Bundespräsident Christian Wulff. Deutlich sichtbar habe sich die Mauer gegen das eigene Volk gerichtet, um so mehr sei der "heldenhafte Mut", sei die Lebensleistung vieler Ostdeutscher zu würdigen. Kritische Töne fand Christian Wulff für manche in Westdeutschland:

"Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch: viele, allzu viele hatten sich abgefunden mit Teilung und Mauer. Viel Verständnis verdienen die Ostdeutschen, die vor der Alternative standen, sich zu arrangieren oder Gefängnis zu riskieren. Wo immer das ging, zog man sich zurück in private Nischen. Das waren Leben, das waren oft eindrucksvolle Lebensleistungen unter den Bedingungen eines Unrechtsstaates; beschämend dagegen eine um sich greifende Gleichgültigkeit in Westdeutschland. Hier herrschte ein 'gerüttelt Maß an intellektueller und moralischer' Bequemlichkeit. Unrecht von links empörte weniger als Unrecht von rechts, die Sandinisten in Nicaragua fanden mehr Anteilnahme als die ostdeutschen Bürgerrechtler, viele gewöhnten sich an die Mauer, viele verharmlosten sie, so manchen berührte das Schicksal von Millionen Deutschen jenseits des Stacheldrahts kaum noch."

Nach dem Überwinden der Berliner Mauer gelte es jetzt, auch die Mauer in unseren Köpfen zu überwinden, sagte Christian Wulff und rief die Deutschen zu mehr Offenheit auf: "mehr aus sich zu machen", müsse "tatsächlich allen möglich sein", die Bereitschaft einer Gesellschaft, sich zu verändern, würde am Ende belohnt werden.

"Die Erinnerung an die Leben erstickende Mauer mahnt uns, die Offenheit unserer heutigen Welt und die Präsenz des Fremden in ihr auszuhalten, auch wenn es häufig anstrengend sein mag. Offenheit und die Bereitschaft einer Gesellschaft, sich zu verändern, werden am Ende gegenüber denen belohnt, die sich nicht bereit erklären, sich zu verändern."

Vom traurigsten Tag Berlins sprach der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit.

"Am 13. August 1961 sperrte die DDR-Führung ihr Volk ein und nahm so unendlich vielen Menschen ihre persönliche Lebensperspektive. Das SED-Regime gewann dadurch zwar Zeit, aber bereits damals war es die Bankrott-Erklärung eines Systems, dem die Menschen wegliefen."

Für die Überwindung der Mauer dankte Klaus Wowereit den DDR-Bürgerrechtlern, den osteuropäischen Freiheitsbewegungen, insbesondere würdigte er – wie es auch Bundespräsident Christian Wulff tat - den früheren sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow. Vor dem Hintergrund der jüngsten Äußerungen aus der Linkspartei, wonach der Mauerbau vor allem eine Folge des deutschen Überfalls auf Russland gewesen sei, sagte er:

"Keinerlei Verständnis verdienen jedoch diejenigen, die Teilung und Mauer nostalgisch verklären. Die Mauer war Teil eines diktatorischen Systems, eines Unrechtsstaates. Und es ist erschreckend, dass heute noch einige meinen, die SED habe gute Gründe für die Abriegelung gehabt. Nein! Für Unrecht, für die Verletzung der Menschenrechte, für Tote durch Mauer und Stacheldraht gibt es keine guten Gründe und keine Rechtfertigung."

Die Schriftstellerin und Regisseurin Freya Klier berichtete von ihrer gescheiterten Flucht; als 18-Jährige hatte sie versucht, die DDR über die Ostsee zu verlassen, wurde aber von einem Matrosen verraten.

"Bei jedem von uns DDR-Flüchtlingen hat sich der Ablauf der Fluchtgeschichte eingebrannt, meist für den Rest des Lebens. Wir erinnern uns an schlimme und schlimmste Momente unserer Haftzeit, an schier endlose Demütigungen des Wachpersonals, dessen Macht und Willkür sich auch im Sozialismus in dumpfen, brutalen Gesichtern spiegelte."

Zuletzt nahmen Bundespräsident Wulff, Bundestagspräsident Lammert und die Bundeskanzlerin Merkel in der "Kapelle der Versöhnung" an einer Ökumenischen Andacht teil, legten Kränze nieder. Das erweiterte Ausstellungsgelände der Gedenkstätte Berliner Mauer wurde eröffnet, um 12 Uhr dann: die Schweigeminute: zum Gedenken an die Opfer der Mauer.

Links bei dradio.de:

Sammelportal 50 Jahre Mauerbau

Link zum Thema:

Chronik der Mauer - Juni 1961 bis Dezember 1989