"Wolfskinder"

Wenn die Natur Kinder beschützt

Levin Liam (r.) als Hans und Patrick Lorenczat als Fritzchen in dem Film "Wolfskinder".
Levin Liam (r.) als Hans und Patrick Lorenczat als Fritzchen in dem Film "Wolfskinder". © picture alliance / dpa / Port au Prince Pictures
Von Wolfgang Martin Hamdorf · 23.08.2014
Als Wolfskinder werden Waisenkinder aus dem ehemaligen Ostpreußen bezeichnet, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die Wälder Litauens flüchteten. Ihr Schicksal ist bislang weitgehend unbekannt und wird nun in Rick Ostermanns Spielfimdebüt thematisiert.
"Schnell, sie sind ganz schnell hinter uns." Schüsse. "Ich kann nicht schwimmen."
Sie stehen zwischen allen Fronten. Im Sommer 1946 ist der Krieg längst zu Ende, aber immer noch sind die Kinder auf der Flucht, vor der roten Armee oder vor versprengten Partisanentruppen. Wolfskinder werden die Waisenkinder aus dem ehemaligen Ostpreußen genannt. Sie hausen in den sommerlich grünen Sümpfen und Wäldern Litauens:
"Wo willst du eigentlich hin? Hast du niemanden, der auf dich wartet?"
"Ich versuche nicht zu verhungern."
"Aber irgendwo musst du doch hinwollen. Nach Hause?"
Aber die meisten von Ihnen haben kein Zuhause mehr. Der 14-jährige Hans und sein neunjähriger Bruder Karl wollten nach dem Tod der Mutter bei einer litauischen Bauernfamilie unterzukommen. Aber dann haben sie sich mit anderen Kindern zusammengeschlossen, sie wildern, stehlen, und essen rohes Fleisch und alles, was sie irgendwo finden können. Rick Osterman:
"Natürlich ist es so, dass wenn man recherchiert, diese Kinder noch ganz andere Sachen gemacht haben, das ist noch milde, die haben noch ganz andere Sachen gemacht. Und natürlich darf man nicht vergessen, dass die gerade einen Krieg hinter sich hatten, das arbeitet natürlich in diesen Kindern, die gerade in diesem Krieg aufgewachsen sind. Und sie haben eben einfach Hunger, also die Hemmschwelle ist da natürlich relativ gering, dann isst man eben das Hühnchen auch roh."
"Ein schmaler Grat"
Regisseur Rick Ostermann brauchte sieben Jahre um sein Spielfilmdebüt zu realisieren. Ein Drehbuch mit wenigen Dialogen und die weitgehend unbekannte Geschichte der "Wolfskinder" erschwerten die Suche nach Filmförderung:
"Es war schon so, wenn man es jetzt ganz platt ausspricht, wenn man Deutsche als Opfer darstellt, ist es natürlich ein schmaler Grat, den man vorsichtig angehen muss.(...) Litauen war eigentlich relativ offen (...) - der Begriff der Wolfskinder ist in Litauen präsenter als hier, es war interessant, wie offen und bewusst das Thema hier in Litauen war."
"Wolfskinder" steht in einer langen Reihe von Filmen über Kinderschicksale im Zweiten Weltkrieg und unmittelbar danach: So drehte Roberto Rossellini bereits 1947 in den Ruinen Berlins, die tragische Geschichte des zwölfjährigen Edmund, der von einem Nazilehrer zum Mord am eigenen Vater angestiftet wird.
Auch in späteren Filmen stehen Kinder in Krieg und Nachkriegszeit zunächst für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, sie sind schutzlose und unschuldige Opfer, die aber ihre Kindheit verlieren, oder die ideologische Indoktrination in die Zukunft nehmen. So etwa in dem Film "Lore" der australischen Regisseurin Cate Shortland: Hier werden die Gedanken der Kinder auch nach dem Zusammenbruch Deutschlands immer noch von der NS-Propaganda bestimmt.
Wolfskinder werden Teil der Wildnis
In "Wolfskinder" von Rick Ostermann dagegen finden die Kinder ihre ganz eigene Welt in der Natur:
"Ich hab mit dem Produzenten und anderen Beteiligten darüber gesprochen, weil sie natürlich gesagt haben: Warum willst du denn im Sommer drehen? Weil natürlich die Diskussion kam, es muss doch eigentlich im Winter spielen. Eigentlich muss es da doch die ganze Zeit regnen und Schnee, die müssen die ganze Zeit frieren und all so was. Da habe ich gesagt, nee, das kennt man schon und für mich war wichtig, dass eben die Natur der Partner der Kinder ist. Das ist deren neues Zuhause, deren neue Heimat. Von der Natur kriegen sie Essen, die beschützt sie zum Teil vor den Erwachsenen und ich habe gesagt, so eine Natur muss man einfach darstellen in ihrer Schönheit und in ihrer Wucht einfach."
Die Wolfskinder werden Teil der Wildnis, weil die Erwachsenenwelt in Trümmern liegt oder ihr Leben bedroht. Dadurch wirkt der Film zeitlos, vom historischen Kontext gelöst. Er schafft darüber allerdings auch eine ganz besondere Atmosphäre, über den Kontrast der wunderschönen Natur und Landschaftsbildern im Breitwandformat und den verdreckten und verschorften ernsten Kindergesichtern und ihrem fast wortlosen Kampf ums Überleben.