Wolfgang Schorlau: "Die schützende Hand"

Literarische Ermittlungen im NSU-Komplex

Der Krimiautor Wolfgang Schorlau, aufgenommen am 12.11.2014 bei einem dpa-Interview in Stuttgart
Wolfgang Schorlau bei einem Interview in Stuttgart © picture-alliance / dpa / Bernd Weißbrod
Von Philipp Schnee · 12.11.2015
Literarisches Licht ins Dunkel der NSU-Ermittlungen will der Krimiautor Wolfgang Schorlau bringen. Sein achter Georg-Dengler-Roman "Die schützende Hand" bleibt aber ein hölzernes fiktionales Spiel mit der Zeitgeschichte. So manches Sachbuch über den Fall ist unterhaltsamer.
Fußnoten in einem Kriminalroman sind selten. Ein Quellenverzeichnis ebenso. Auch ein Nachwort und eingebaute Originalquellen sind ungewöhnlich. Wolfgang Schorlau recherchiert aufwendig. Auch für den neuesten Fall seines Privatdetektivs Georg Dengler. "Die unsichtbare Hand" heißt der Fall und die Fakten für diesen Krimi liefert der Nationalsozialistische Untergrund, kurz NSU. Schorlaus Romane verkaufen sich gut, sehr gut. Denn Schorlau möchte nicht nur eine gute Geschichte verkaufen, sondern auch Tagespolitik unters Volk bringen. Vieles am Fall NSU harrt nach wie vor der Aufklärung. Der Stuttgarter Autor will es nun mit "literarischen Ermittlungen" versuchen. Aufklärung über den NSU ist zwar nach wie vor dringend nötig, aber kann ein Kriminalroman das wirklich leisten? Das ist die eigentliche Frage, die man an dieses Buch richten muss.
Im Zentrum steht der Auftrag eines mysteriösen Unbekannten an Georg Dengler, seinen schon in früheren Romanen agierenden Privatdetektiv. Er soll die Vorkommnisse um den 4.11.2011, klären. An diesem Tag starben nach einem Banküberfall in einem Wohnmobil in Eisenach Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die zwei männlichen Attentäter des NSU. Die Frage des Auftraggebers lautet: War es Selbstmord, wie offiziell dargestellt, oder doch Mord?
Ungereimtheiten als Aufhänger
Schorlau greift dafür einige Ungereimtheiten auf, die bei den Ermittlungen um den Tod der NSU-Terroristen aufgetreten sind. Warum wurde zum Beispiel das Wohnmobil, der Tatort, schon kurz nach der Tat abgeschleppt, bevor alle Beweise gesichert und die Leichen geborgen worden waren? Das ist eine der Fragen, die auch im aktuellen NSU-Prozess und in den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen heute so gestellt werden und immer noch nicht geklärt sind. Wie auch die vielen ungeklärten Vorgänge des V-Mann-Wesens in den Verfassungsschutzämtern. Schorlau baut auf Fakten, baut Originalquellen, Zeitungsartikel und Ermittlungsakten sogar seitenweise direkt in seinen Text ein und zwingt so den Krimileser zur Auseinandersetzung mit den unerhörten Vorgängen der NSU-Ermittlungen, die heute leider schon wieder weitgehend vergessen sind.
Die Interpretation dieser Fakten reizt Schorlau aber maximal aus – bis weit in das Land der Verschwörungstheorien. Um die "Ermittlung eines Staatsverbrechens" gehe es in seiner Geschichte, schreibt Schorlau in seinem Nachwort. Keine schlampenden, keine versagenden, keine mutwillig sorglosen, sondern aktiv mordende Behörden erklären den NSU, so legt es seine Geschichte nahe.
Alles hängt mit allem zusammen
Damit aber nicht genug: NSU und NSA, BND, CIA, RAF-Attentate, Geheimarmee Gladio, Stay Behind, amerikanische Diplomatie, internationale Steuerpolitik, Edathy, das Kanzleramt und selbst das sächsische Heidenau aus dem Sommer 2015 hängen in dieser Fiktion irgendwie zusammen. Alles mit allem.
Schorlau baut Originalquellen ein, was natürlich die "Authentizität" seiner Geschichte steigern soll, das fiktionale Spiel mit der Zeitgeschichte aber gerade verdirbt. Er vertraut der Fiktion nicht. Die Handlung bleibt leider streckenweise außen vor, weil über Seiten Entwicklungen und Vorgeschichten referiert und doziert werden müssen. Ob nun im Zwiegespräch oder aber in der Erinnerung eines Protagonisten, hölzern wirkt das meistens immer.
Einen Sog entwickelt das Buch erst gegen Ende, als Schorlau sich auf einen Erzählstrang, die Klärung der Vorkommnisse am 4.11.2011, konzentriert. Leider ist da die Interpretation der Fakten schon weit ins Verschwörerische davongaloppiert.
Der Rechtsextremismus bleibt auf der Strecke
Schorlau tappt in eine Falle, die häufig auch bei der journalistischen und parlamentarischen Aufarbeitung des NSU droht: In der Konzentration auf die Behörden bleibt eines auf der Strecke: der Rechtsextremismus.
Die vielen Ungereimtheiten, die vielen Fehler, skandalösen Vorgänge in den Verfassungsschutzämtern und anderen Behörden werden nicht dadurch aufgedeckt und vermieden, dass man einen großen Verschwörungszusammenhang konstruiert. Der eigentliche Skandal im Fall NSU wird dadurch verdeckt. Rechtsextremismus und Rassismus als gesellschaftlicher Normalzustand. Das zu zeigen, wäre eine notwendige tagesaktuelle "literarische Ermittlung". In diesem Fall ist ein Sachbuch aber wohl die spannendere Unterhaltung.

Wolfgang Schorlau: Die schützende Hand. Denglers achter Fall
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015
320 Seiten, 14,99 Euro

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