Wolfgang Berghofer

"Der dritte Weg war eine Illusion"

Dresdens ehemaliger Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer 1989
Dresdens ehemaliger Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer 1989 © imago/Teutopress
21.01.2015
Vor 25 Jahren beschloss Wolfgang Berghofer, aus der SED auszutreten. Er war damals Oberbürgermeister von Dresden und machte sich für einen sogenannten dritten Weg stark. Doch von dieser Idee hatte er sich schnell verabschiedet.
Liane von Billerbeck: Und in dieser Reihe hier im Deutschlandradio Kultur sprechen wir mit Menschen, die diesen Weg miterlebt und mitgestaltet haben, einen rasanten Prozess bis zum 3. Oktober 1990, den mancher und manche "das schöne Jahr der Anarchie" nannten. Einer davon war Wolfgang Berghofer, damals SED-Politiker und Oberbürgermeister von Dresden, heute Unternehmensberater in Berlin. 1989/90 galt er als "Bergatschow", also als einer von wenigen Reformsozialisten. Im Oktober '89 war er Mitinitiator des Dresdner Dialogs mit der oppositionellen "Gruppe der 20" und verhinderte Repressalien an DDR-Oppositionellen. Im Dezember wurde er stellvertretender Vorsitzender der SED/PDS.
Jetzt ist er am Telefon, guten Morgen, Herr Berghofer!
Wolfgang Berghofer: Ja, schönen guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Wenn Sie sich an die Zeit des Umbruchs ab dem 9. November '89 – spätestens, es hat ja viel früher angefangen – erinnern, da gehörten Sie ja zu denen, die auf einen dritten Weg gesetzt haben, um so die DDR zu erhalten. War der realistisch?
Berghofer: Nein. Also, ich habe in dieser Zeit mit fast allen Wirtschaftskapitänen, den Kombinatsdirektoren der großen DDR-Unternehmen gesprochen, über 100, und letztlich war deren Antwort klar und eindeutig: Der dritte Weg ist Illusion, er kann nur heißen soziale und ökologisch orientierte Marktwirtschaft.
von Billerbeck: Wir haben Ihnen denn die Kombinatsdirektoren damals die wirtschaftliche Lage der DDR und in ihren Betrieben geschildert?
"Die Produktionseinrichtungen waren hochgradig verschlissen"
Berghofer: Verheerend! Wobei erst das Zusammensetzen des gesamten Mosaiks letztlich meine Entscheidungen auch aus wirtschaftlichem Blickwinkel beeinflusst haben. Also, klar war, mit der Einführung der Honeckerschen Politik von Einheit, von Sozialem und Wirtschaftlichem im März 1972 haben wir in der DDR immer mehr konsumiert als produziert, das heißt einen immer größer wachsenden Schuldenberg vor uns hergeschoben, sodass kein Geld übrig blieb für Investition, für Akkumulation in den Betrieben. Die Produktionseinrichtungen waren hochgradig verschlissen, einerseits wuchs der Anspruch an die Pläne ins Gigantische, ins Illusionäre, und andererseits waren die grundsätzlichen Mittel dafür nicht mehr vorhanden. Das war einheitlicher Tenor aller Schilderungen.
von Billerbeck: Man hört Ihnen richtig den Unternehmensberater an jetzt, schon vom Duktus! Sie waren aber 1989/90 stellvertretender Vorsitzender der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, sind dann ausgetreten und haben das damals auch öffentlich begründet. Und das hören wir noch mal!
"Sie können mir glauben, die Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen. Ich bin vor 25 Jahren Mitglied der SED geworden, ich hatte Ideale, ich bin nicht in die Partei gegangen, um eine politische Karriere zu beginnen, sondern aus tiefer Überzeugung, dass die Ziele, die diese Partei sich gegeben hat, für alle Menschen die richtigen sind. Ich will sagen, ich habe diesen Schritt getan, nicht um eine neue politische Karriere zu beginnen. Eine gründliche Analyse der Lage im Land, in der Stadt, auch in der Partei und die Erkenntnis – das ist meine persönliche Meinung –, dass die SED/PDS in ihrer jetzigen Zusammensetzung nicht in der Lage sein wird, sich radikal zu erneuern, weil die Altlasten, die Erblasten viel zu groß sind."
O-Ton Reporter: Gegenüber der "Aktuellen Kamera" erklärte Parteivorsitzender Gysi telefonisch, dass er diesen Schritt mit tiefem Bedauern zur Kenntnis nimmt. Er habe am 20.01. aus einem langen Brief von Wolfgang Berghofer von dessen Absicht erfahren, aus Sorge um unser Land die SED/PDS zu verlassen. Gysi bemüht sich um ein persönliches Gespräch mit Berghofer, nicht um dessen Entscheidung infrage zu stellen, sondern zur Klärung von inhaltlichen Fragen.
von Billerbeck: Das war die Berichterstattung der "Aktuellen Kamera" im DDR-Fernsehen darüber, nachdem Sie, Wolfgang Berghofer, Anfang 1990 die Gründe öffentlich dargelegt haben, warum Sie aus der SED/PDS austreten. Und Sie wollten dann als nunmehr ehemaliges SED-Mitglied in die SPD eintreten. Warum aber wurde daraus nichts?
Zu sehen ist der Dresdner Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer bei einem Rathausgespräch mit der oppositionellen "Gruppe der 20".
Der Dresdner Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer (l.) bei einem Rathausgespräch mit der oppositionellen "Gruppe der 20".© picture alliance / dpa / Ulrich Hässler
Berghofer: Das hat natürlich auch wieder, wie Sie eingangs schon richtig erwähnen, eine längere Vorgeschichte. Dresden und Hamburg hatten im Jahre 1987 einen Partnerschaftsvertrag abgeschlossen, was mich in die Lage versetzte, mit führenden Sozialdemokraten über Jahre näher ins Gespräch zu kommen, darunter Klaus von Dohnanyi, später Henning Voscherau, die ersten Bürgermeister der Hansestadt.
In den Wirren dann der friedlichen Revolution habe ich auch ein längeres Gespräch mit Willy Brandt geführt, mit Egon Bahr. Und da entstand so Schritt für Schritt der Grundgedanke, die SED ist ja mal zu ihrer Gründung aus KPD und SPD entstanden, es wäre ja historisch logisch, den Grundsatzbeschluss für viele der Zwangsvereinigung aufzuheben, beide Parteien wiederentstehen zu lassen und damit für die Mitglieder der SED die Möglichkeit zu eröffnen, zu wählen: Zu wem will ich gehören? Egon Bahr formulierte das damals unter dem Motto: "Jetzt holen wir uns unser Blut zurück".
Mit diesem Gedanken habe ich mich beschäftigt und vor und während des Sonderparteitages, der ja Anfang Dezember '89 begann, versucht, mit einer Handvoll einflussreicher jüngerer SED-Kollegen dieses Thema zu besprechen. Und es wurde schnell klar, das war aussichtslos. Also, die bedeutendste Errungenschaft – in Anführungszeichen – der Arbeiterbewegung, die Vereinigung der beiden Parteien zur SED rückgängig zu machen, das erschien unmöglich, das war Sakrileg.
von Billerbeck: Erschien Ihnen das unmöglich oder wollte die SPD nicht?
SED-Mitglieder durften nicht in die SPD eintreten
Berghofer: Das war nicht umsetzbar. Also, niemand wollte das. Wir waren ja so erzogen, dass das das historisch bedeutsamste Ereignis in der Geschichte der 150-jährigen Arbeiterbewegung war. Also blieb nur die Frage, darüber nachzudenken, auszutreten und etwas Neues zu beginnen. Und wenn Sie 25 Jahre treuer Parteisoldat waren wie ich, an Parteidisziplin gewöhnt, dann war das keine Entscheidung, die man über Nacht aus dem Hut zaubert, sondern die lange bedacht wird. Ich habe mit vielen Menschen, Mitgliedern der SED vor allen Dingen in Dresden darüber geredet.
Und nun muss man wissen, in dieser Zeit ging ja alles sozusagen drunter und drüber, die Ereignisse überschlugen sich, viel Zeit zum Nachdenken blieb also auch nicht. Professor Manfred von Ardenne, also einer der bekanntesten, bedeutendsten Dresdner, hatte die Idee, von sich aus, sein Gartenhaus zur Verfügung gestellt, und zwei führende Sozialdemokraten der DDR-SPD – Markus Meckel, der spätere Außenminister, und Martin Gutzeit – zu einem Gespräch mit mir zu bewegen. Dieses Gespräch fand dann Anfang Januar statt und ich habe also mit zwei SPD-Vertretern das Thema "was würde passieren, wenn" besprochen.
Das Ergebnis, auf den Punkt gebracht, lautete: Ja, Herr Berghofer, Sie würden wir gerne nehmen, aber wenn Ihre Schilderung – ich hatte damals gesagt, wenn ich die SED verlasse, dann ist damit zu rechnen, dass weitere Hunderttausende folgen werden –, aber für weitere Mitglieder in großen Massenzahlen stehen wir nicht offen, denn dann würden wir ja wieder nichts zu sagen haben. Das habe ich verstanden und damit war für mich die Entscheidung klar: Dieser Weg ist verschlossen.
Die SPD hat dann auch ganz schnell angefangen, Hürden aufzubauen, also, ehemalige Mitglieder der SED/PDS können sich für die erste Legislaturperiode in der SPD in eine Kandidatur bei Parteifunktionen auf allen Ebenen nicht bewegen.
Einige erzählen das heute anders. Ich habe neulich mal einen brandenburgischen SPD-Mann gehört, der sagte, unsere Türen standen offen, aber Sie sind ja nicht gekommen. Also, das war nicht so. Sodass sich diese Idee letztlich verflog und wir in unsere Austrittserklärung geschrieben haben, wir unterstützten sozialdemokratische Positionen. Damit war unsere Grundposition beschrieben, wo und wie wir bereit waren, an weiteren Fortschritten der Revolution und in Richtung deutsche Wiedervereinigung mitzuwirken.
von Billerbeck: Wolfgang Berghofer, der einstige Oberbürgermeister von Dresden und stellvertretender Vorsitzender der SED/PDS über die Zeit vor 25 Jahren in unserer Reihe "25 Jahre. Auf dem Weg zur deutschen Einheit". Ich danke Ihnen, Herr Berghofer!
Berghofer: Ich danke Ihnen!
von Billerbeck: Und das nächste Interview, das hören Sie am 6. Februar, dem Tag, an dem Kohl die Währungsunion anbot. Edgar Most wird zu Gast sein, einst Vizechef der Zentralbank der DDR und dann in der Geschäftsleitung der Deutschen Bank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.