Wolffsohn kritisiert Plakataktion zu Nazi-Verbrechen als geschmacklos

Michael Wolfsfsohn im Gespräch mit Gabi Wuttke · 23.07.2013
Michael Wolffsohn lehnt das vom Simon Wiesenthal Zentrum ausgeschriebene Kopfgeld für Nazi-Kriegsverbrecher vehement ab. Viel wichtiger sei, dass die Aufarbeitung der NS-Diktatur solide und intensiv weitergehe, so der Historiker und Publizist.
Gabi Wuttke: "Spät, aber nicht zu spät. Operation Last chance" – so steht es auf dem Plakat des Simon Wiesenthal Zentrums, das von heute an für zwei Wochen in Berlin, Hamburg und Köln helfen soll, noch lebende Mittäter des Holocaust zu finden. Der zweite Anlauf des Israel-Büros unter der Leitung von Efraim Zuroff.

Der Historiker Michael Wolffsohn ist am Telefon, einen schönen guten Morgen.

Michael Wolffsohn: Guten Morgen.

Wuttke: Ist das jetzt wirklich die letzte Chance?

Wolffsohn: Biologisch und chronologisch, also von der Zeit her gesehen ja. Aber es wird ja damit unterstellt, dass wir über das Dritte Reich nichts wüssten und auch nicht alle Täter verfolgt worden seien, sofern man ihrer habhaft werden konnte. Also da sollte man etwas niedriger den Korb hängen.

Wuttke: Es heißt, um diese Aktion zu stützen, die Verurteilung von John Demjanjuk hätte die Rechtslage für eine Anklage in Deutschland maßgeblich verändert. Es sei jetzt schwerer, Verfahren einzustellen, wie in den letzten Jahrzehnten öfter geschehen, und also damit die Chance größer, über diese Plakataktion tatsächlich noch Täter zu finden. Sie glauben das nicht?

Wolffsohn: Es geht ja nicht um glauben, sondern es geht um Fakten, und Fakt ist, dass der Demjanjuk-Prozess ja nun alles andere als aufbauend war in Bezug auf die Zielsetzung der Aufarbeitung. Nun gut, da kann man sagen, alter Mann. Richtig! Aber dann bringt so ein Urteil auch nichts. Fünf Jahre werden dann plakatiert und gesagt, ja er ist aber wenigstens verurteilt worden… Das hat doch überhaupt nichts gebracht.

Der Historiker Michael Wolffsohn, aufgenommen während der ARD-Talksendung "Anne Will"
Michael Wolffsohn© picture alliance / dpa - Karlheinz Schindler
"Das löst eher Mitleidseffekte aus"
Viel wichtiger ist, dass eine solide intensive Aufarbeitung der NS-Verbrechen weiter erfolgt. Hier ist die Geschichtswissenschaft, sind die Medien, sind die politisch-pädagogisch Verantwortlichen seit Jahrzehnten auf gutem Wege. Und jetzt so zu tun, als ob es zwei Minuten vor zwölf ist, das bringt nun wirklich überhaupt nichts. Im Gegenteil, das löst eher Mitleidseffekte aus mit Leuten, die kein Mitleid verdienen.

Wuttke: Inwiefern?

Wolffsohn: Inwiefern? Das haben wir doch erlebt beim Demjanjuk-Prozess, wo sehr viele und zwar keineswegs nur verbrannte Nationalsozialisten, alte und neue gesagt haben, dass man einen so todkranken uralten Mann doch nicht sinnvollerweise vor Gericht bringen könnte. Das hat rein emotional eher Mitleid erweckt, als Empörung über all die Schrecklichkeiten, die dieser Mann mit zu verantworten hatte. Es ist – das muss ich in aller Härte sagen – auch institutionelle und vielleicht sogar personelle Wichtigtuerei dabei.

Wuttke: Darauf möchte ich gleich ganz konkret mit Ihnen zu sprechen kommen, aber das, was Sie gesagt haben, als Kritik auch noch mal an einem Beispiel aufgreifen, nämlich den Belohnungen, die das Simon Wiesenthal Zentrum, also das Israel-Büro ausgesetzt hat bei dieser Plakataktion, um einen Nazi-Verbrecher zu finden: zwischen 100 und 25.000 Euro. Das kann dem Gegenstand nicht angemessen sein?

Wolffsohn: Das ist absurd, das ist ein Aufwiegen in Zahlen, und ich finde es geradezu pietätlos und schamlos, 25.000 Euro für Schwerstverbrecher. Sind die nicht "mehr wert", wenn sie verfolgt werden? Das sind doch alles absurde unappetitliche Fragen, die nun mit einer moralisch intensiven Aufarbeitung weniger als nichts zu tun haben. Ich finde das Ganze geschmacklos.

"Wiesenthal wollte Gerechtigkeit und nicht Rache"
Wuttke: Efraim Zuroff, der Leiter des Israel-Büros, hat ja auch die Liste der zehn schlimmsten Antisemiten sozusagen erfunden. Das ganze war eine sehr umstrittene Geschichte. Wo, Herr Wolffsohn, steht das Simon Wiesenthal Zentrum eigentlich nach dem Tod von Simon Wiesenthal?

Wolffsohn: Ja, das ist eine sehr gute Frage. Das Simon Wiesenthal Center trägt zwar den Namen des großen und großartigen Simon Wiesenthal, der Gerechtigkeit und nicht Rache wollte, wie er immer wieder überzeugend sagte, aber das ist nur der Name. Die Aktionen von Simon Wiesenthal hatten mit diesem Center nichts zu tun. Das Center hat den Namen Wiesenthals aus verschiedenen Gründen dann später übernehmen dürfen, auch gekauft, was für das Dokumentationszentrum von Simon Wiesenthal durchaus wichtig und hilfreich gewesen ist. Aber der Geist von Simon Wiesenthal weht leider nicht in diesem Simon Wiesenthal Center, das oft für Klamauk, aber nicht für wirklich intensive, pietätvolle Aufarbeitung steht, und das, muss ich sagen, ist höchst bedauerlich.

Wuttke: Welcher Geist kurz gesagt ist es?

Wolffsohn: Der Geist von Wichtigtuerei, von Männern, die dieses Zentrum leiten, die polarisieren, die meistens daneben liegen. Ich erinnere an den November 1989, wo die heute Verantwortlichen damals auch schon an führender Stelle waren und das Vierte Reich an die Wand malten wie andere, aber noch extremer. Es ist immer dieses Laute, dieses Beschuldigen auch von Unschuldigen. Das ist nicht hilfreich. So zu tun, als ob wir jetzt die letzte Chance hätten, das ist wieder eine von diesen völlig daneben gehenden Aktionen des Simon Wiesenthal Center, das leider – ich wiederhole mich absichtlich – mit dem Geist von dem großen Simon Wiesenthal nichts zu tun hat.

Wuttke: Die Meinung des Historikers Michael Wolffsohn im Deutschlandradio Kultur. Besten Dank dafür und einen schönen Tag.

Wolffsohn: Gerne.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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