Wolf Schneider zieht Bilanz

"Ich habe meine Arbeit getan"

Der Journalist und Moderator Wolf Schneider
Der Journalist und Moderator Wolf Schneider, bekannt als Sprachkritiker und Verfasser von Stillehrbüchern. © picture alliance / dpa / Georg Wendt
Wolf Schneider im Gespräch mit Miriam Rossius · 25.04.2015
"Qualität kommt von Qual" lautet sein Credo: Kurz vor seinem 90. Geburtstag erklärt der Journalist, Autor, Sprachkritiker und Lehrmeister Wolf Schneider warum gute Texte "mit Feuer" geschrieben werden müssen.
Der Journalist, Autor, Sprachkritiker und Lehrmeister vieler Journalistengenerationen Wolf Schneider hat kurz vor seinem 90. Geburtstag eine gemischte Bilanz seines Wirkens gezogen.
"Ich habe das, was ich konnte, wirklich mit großer Vehemenz und ungeheurem Eifer unter junge Leute auszustreuen versucht, aber (...) dass ich dadurch einen Einfluss auf die Journalistensprache oder die deutsche Sprache insgesamt gehabt habe, wäre übertrieben", sagte Schneider im Deutschlandradio Kultur über seinen jahrzehntelangen Einsatz für die Qualität der Sprache im deutschen Journalismus: "Ich habe meine Arbeit getan, mehr kann man nicht", ergänzte Schneider auch mit Blick auf seine Jahre als Gründungsdirektor der der Hamburger Journalistenschule, der den Satz "Qualität kommt von Qual" prägte und durch zahlreiche Bücher über gute Sprache und richtiges Schreiben als gnadenloser Wächter der deutschen Sprache bekannt wurde.
Mit Hartnäckigkeit und Engagement überzeugt
Seine Schüler habe er durch "große Hartnäckigkeit" überzeugt, und "die Einsicht ´ganz doof ist er wohl nicht, der Schneider und das Engagement, das er betreibt, ist ja ganz eindrucksvoll'. Also habe ich sie allmählich für die Einsicht gewonnen, dass man sich quälen muss, wenn man sich seinen Lesern verständlich machen will", erinnerte sich Schneider insbesondere an den 1. Jahrgang der Journalistenschüler 1979. Er selbst habe durch seine Lehrtätigkeit bis heute vom Kontakt mit jungen Menschen profitiert: "Ich weiß, wie junge Leute ticken."
Prägender Einfluss: Henri Nannen
Wichtigen Einfluss in seinem Leben habe die Begegnung mit Henri Nannen gehabt: "Er war der ganz starke prägende Eindruck, dass man und wie man ringen muss, um das Unwahrscheinliche zu erreichen: Ich schreibe einen langen Artikel und die Leute lesen das zu Ende. Das ist statistisch unwahrscheinlich und Nannen wusste, wie man das überwindet", erinnerte sich Schneider, dessen Memoiren am 24. April unter dem Titel "Hottentottenstottertrottel – Mein langes, wunderliches Leben" erschienen sind und der am 9. Mai 90 Jahre alt wird.
Mit Feuer schreiben
Bis heute folge er selbst dem eigenen Credo der Arbeit am Text und der Erkenntnis, dass um den Leser geworben werden muss: "Ich arbeite mich an meinen Büchern halb zu Tode. Ich lese zehn bis fünfzehnmal Kontrolle, ich lasse mich von meiner Frau beraten. (...) Also von alleine entsteht kein guter Text.""Das statistische Normalverhalten ist, ich lese nicht zu Ende. Und dagegen müsst ihr anarbeiten, indem ihr mit Feuer schreibt und euch selbst gegenüber misstrauisch seid. "
Bis heute ärgere er sich auch über schlechte Texte. Seitdem er aber keine Seminare mehr gebe, fehle ihm aber die Möglichkeit "Rache an dem schlechten Text zu nehmen", indem er sie als abschreckende Beispiele vorführte, sagte der Journalist und Autor, der unter anderem bei der Nachrichtenagentur AP, der "Süddeutschen Zeitung", beim "Stern", der "Welt", der "Zeit" und beim NDR arbeitete und 1994 für seine Leistungen auf dem Gebiet der Sprachpflege und der Sprachkritik mit dem Medienpreis für Sprachkultur ausgezeichnet wurde.
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Das vollständige Interview im Wortlaut:
Miriam Rossius: Geliebt, gehasst, gefürchtet und hoch angesehen als Hüter der deutschen Sprache. Das sagt man Wolf Schneider nach. Er war der erste Chef der Hamburger Journalistenschule, lange Jahre das Gesicht der "NDR-Talkshow" und hat turbulente, pralle und sehr prägende Jahre bei der "Süddeutschen Zeitung", der "Welt" und beim "Stern" erlebt. Davon erzählt er in seinen Memoiren. Gestern sind sie erschienen, kurz vor seinem 90. Geburtstag am 9. Mai. Guten Morgen, Herr Schneider!
Wolf Schneider: Guten Morgen!
Rossius: Sie haben Ihr Buch "Hottentottenstottertrottel" genannt – üben Sie immer noch Zungenbrecher?
Schneider: Ja, Zungenbrecher übe ich, wenn ich noch einen öffentlichen Auftritt habe. Hin und wieder halte ich ja noch einen Vortrag. Und Reden können ist nicht genug, man möchte auch nicht über die Buchstaben stolpern. Und deswegen ist es eine gute Sitte, dass man sich vorher die Zunge schmiert. Das tun auch viele Schauspieler.
Rossius: Dieser Zungenbrecher, das beschreiben Sie, war als Kind, als Jugendlicher Ihr Durchbruch, ein Sieg im Schnellsprechen. Irgendwann führte das dann zum Titel "Deutscher Sprachpapst", und als Leiter der Hamburger Journalistenschule war Ihr Motto "Qualität kommt von Qual". Wie überzeugt man denn junge angehende Journalisten von diesem Motto?
Erste Generation der Hamburger Journalistenschule durch Hartnäckigkeit überzeugt
Schneider: Das war schwer, sie zu überzeugen, insbesondere im ersten Lehrgang 1979. Da saßen noch die zu spät gekommenen Neffen und Nichten der 68er und wollten das absolut nicht hören. Ich habe sie überzeugt durch große Hartnäckigkeit und wohl durch die Einsicht "Ganz doof ist er ja nicht, der Schneider", und das Engagement, das er betreibt, ist ja ganz eindrucksvoll. Also habe ich sie allmählich für die Einsicht gewonnen, dass man sich wirklich quälen muss, wenn man sich seinen Lesern verständlich machen will.
Rossius: Sie zitieren in Ihrem Buch eine Absolventin des zehnten Jahrgangs, nämlich Meike Winnemuth, "Stern"-Kolumnistin und Bestseller-Autorin inzwischen, und die hat über Sie geschrieben, "er hat ja immer so verdammt recht, und wer ihn trotzdem oder gerade deshalb hasst, hasst ihn auf Knien". Wenn Sie das zitieren, da hört man ein gewisses Vergnügen raus und auch Stolz – viele Absolventen haben ja auch sehr profitiert von der Ausbildung. Was haben Sie denn eigentlich umgekehrt von Ihren Schülern gelernt?
Schneider: Was ich von meinen Schülern gelernt habe? Nun ja, also vor allem sehr viel Psychologie, –
Rossius: Müssen Sie erst einmal überlegen?
Schneider: – sehr viel Chancen, mit jungen Leuten umzugehen, mich in Sie hineinzudenken. Das kommt mir bis heute zugute. Es gibt noch Schüler, die uns regelmäßig, wenn in München Oktoberfest ist, zu einem Weißwurstfrühstück zu Hause besuchen. Viele halten brieflich sogar netten Kontakt mit mir. Also, ich weiß, wie junge Leute ticken. Und das ist natürlich ganz fabelhaft, wenn man noch im Geschäft bleiben will. Und im Übrigen macht es Spaß.
Erinnerung an Henri Nannen: "Ein Berserker, ein Unikum in der Presse"
Rossius: Ich hab noch ein Zitat. Dass Sie Chef der Journalistenschule wurden, das hat Henri Nannen damals nämlich damit begründet, dass Sie zwar ein Arschloch seien, aber der einzige, der diesen Job machen könne. Sie haben über ihn gesagt, er war ein zu großer Mann, um auch noch ein angenehmer Mensch zu sein. Vermissen Sie Journalisten von diesem Schlag?
Schneider: Das ist zu viel gesagt. Ich kenne ja niemand von dem Kaliber von Henri Nannen heutzutage. Er war halt ein Berserker, ein Unikum in der Presse, ein Schlagetot an Selbstdarstellung. Nein, also Vermissen kann man nicht sagen. Er war die große Station meines Lebens, hat Jahrzehnte meines Lebens praktisch gestaltet und war der ganz starke, prägende Eindruck, dass man und wie man ringen muss, um das Unwahrscheinliche zu erreichen: Ich schreiben einen langen Artikel, und die Leute lesen bis zur letzten Zeile. Das ist statistisch unwahrscheinlich. Und Nannen wusste, wie man das überwindet.
Rossius: Sie offensichtlich ja auch. Und Ihr ganzes Leben drehte sich um Sprache. Es ging oder es geht darum, sie in den Griff zu bekommen, andere damit zu gewinnen und natürlich für geschliffenes Deutsch zu begeistern. Haben Sie jetzt eigentlich das Gefühl, Ihre Mission ist erfüllt?
Mit Vehemenz und großem Eifer für Qualität im deutschen Journalismus
Schneider: Nein, Mission erfüllt ist zu viel gesagt. Also, ich habe das, was ich konnte, wirklich mit großer Vehemenz und ungeheurem Eifer unter junge Leute auszustreuen versucht. Aber das als Mission zu bezeichnen, würde mir nicht einfallen, vor allem, dass ich damit nun einen Einfluss auf die deutsche Sprache oder die Journalistensprache insgesamt gehabt hätte, wäre übertrieben. Nein, ich habe meine Arbeit getan, mehr kann man nicht.
Rossius: "Einer muss sich plagen, der Schreiber oder der Leser. Der Leser will aber nicht." Auch das stammt von Ihnen. Plagen sich viele Schreiber heute zu wenig?
Schneider: Ob sie sich nun heute zu wenig plagen, weiß ich nicht. Aber die allgemeine Tendenz war und ist die Unterstellung, da ich die Grammatik beherrsche und die Rechtschreibung beherrsche und etwas zu sagen habe, ist genug getan. Das ist eben falsch. Sondern wenn ein Text da steht, muss er, wenn irgendwie die Zeit reicht, drei- und vier- und fünfmal überarbeitet werden. Es ist nicht selbstverständlich, dass man mit korrekter Grammatik sofort das zu Papier bringt, was die Leute lesen wollen. Also arbeiten am Text. Unter Journalisten ist häufig nicht die Zeit dafür da, aber wenn sie da ist, dann soll man das tun. Ich arbeite mich an meinen Büchern halb zu Tode. Ich lese zehn und fünfzehnmal Kontrolle, lasse mich von meiner Frau beraten, bin misstrauisch von vorne bis hinten. Also, von alleine entsteht kein guter Text.
"Mit Feuer schreiben" - auch im Zeitalter des Bloggens und Twitterns
Rossius: Wie stehen Sie denn eigentlich zu Anwendungen wie Twitter?
Schneider: Ich benutze sie nicht. Es gibt gegenüber dem Blog einen großen Vorteil: Der Twitter ist 140 Zeichen lang, damit ist die ungeheure Geschwätzigkeit, die gerade in den Blogs ausgebrochen ist, natürlich gebremst. In 140 Zeichen lassen sich ja die meisten Bibelverse unterbringen, weshalb ja auch erwogen wird, die Bibel oder das neue Testament jedenfalls auf Twitter herauszubringen. Also ein relativer Fortschritt gegenüber der uferlosen Geschwätzigkeit, die sich sonst im Netz breit gemacht hat.
Rossius: Also eigentlich könnte Twitter ja durchaus vielleicht auch eine journalistische Übung sein für angehende Journalisten, weil es sehr diszipliniert, oder?
Schneider: Oh ja. Ja, vollkommen richtig. Das würde ich selbstverständlich machen, wenn ich heute noch tätig wäre. In 140 Zeichen das Optimum auszudrücken, ist eine schöne Kunst, ja.
Rossius: Was hätten Sie sonst vielleicht noch für Ratschläge oder für Tipps für gutes Deutsch im Zeitalter von Blogs und von Twitter?
Schneider: Das ist nun leider in ein, zwei Minuten nicht darzustellen, darüber habe ich Bücher geschrieben.
Rossius: Sie hätten noch anderthalb.
Schneider: Nein. Die Generalregel lautet, der Deutschunterricht entlässt uns als Beherrscher der deutschen Grammatik, hoffentlich. Aber kein Deutschlehrer in meiner Erfahrung hat jemals gesagt, das genügt nicht, sondern der Leser ist einer, um den ihr werben müsst. Das statistische Normalverhalten ist, ich lese nicht zu Ende. Und dagegen müsst ihr anarbeiten, indem ihr mit Feuer schreibt und euch selbst gegenüber misstrauisch seid und noch mal schreibt und noch mal schreibt.
Rossius: Was lesen Sie selber eigentlich gerne? Und wie sehr ärgern Sie sich noch über schlechte Texte?
Schneider: Tja, das mit dem Ärger ist eine merkwürdige Sache. Als ich noch Seminare machte bis vor zwei Jahren, habe ich besonders schlechte Texte mit einer gewissen Genugtuung herausgepickt, um sie dann meinen nächsten 20 Journalisten oder Öffentlichkeitsarbeitern als abschreckendes Beispiel vorzuführen. Das war eine Art Rache an dem schlechten Text. Da ich nun keine Seminare mehr mache, ärgere ich mich nur noch.
Rossius: Und was lesen Sie, damit Sie sich nicht täglich ärgern müssen, rund um die Uhr?
Schneider: Ich lese primär meine Basisinformation, das ist die "Süddeutsche Zeitung", auch den "Spiegel", der ja seit zehn Jahren seine alten Sprachmarotten nicht mehr hat. Und im Übrigen Bücher, ja, aber das kann ich nicht im Einzelnen aufzählen.
Rossius: So viel lesen Sie. Okay. Dann wollen wir Sie davon nicht länger abhalten. Herzlichen Dank, dass Sie sich heute Morgen Zeit genommen haben.
Schneider: Mit Vergnügen!
Rossius: Wolf Schneider zieht Bilanz in seinem Buch "Hottentottenstottertrottel". Bei Rowohlt ist es erschienen gestern, also noch druckfrisch. Und ich wünsche Ihnen am 9. Mai einen schönen Geburtstag!
Schneider: Vielen Dank!
Rossius: Tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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