Wolf Kampmann: "Jazz"

"Den Jazzhörer als solchen gibt's nicht mehr"

Ein farbiger Mann spielt auf einer Trompete, die mit der Öffnung nach links vorne zu sehen ist.
Der Jazz-Trompeter Wynton Marsalis © picture-alliance/ dpa / epa pap Jacek Turcyk
Wolf Kampmann im Gespräch mit Matthias Wegner · 12.12.2016
Wie sich Jazz immer wieder zwischen den unterschiedlichen Musikformen behauptet, diese Geschichte erzählt der Autor und Musikjournalist Wolf Kampmann in "Jazz". Und wie sieht die Zukunft dieses Musikgenres aus? Auch dazu wagt sein bemerkenswertes Buch eine Prognose.
Der Jazz ist nicht gerade schlecht dokumentiert. Unvergessen sind zum Beispiel bis heute das Standardwerk "Das Jazzbuch" von Joachim Ernst Berendt und Günther Huesmann, aber natürlich gibt es auch etliche Lexika, Porträtbücher und weitere Veröffentlichungen.
Aber es ist immer noch Platz für etwas Neues: Der Autor und Musikjournalist Wolf Kampmann ist noch einmal tief in die Jazzgeschichte eingestiegen und hat ein sehr bemerkenswertes neues Buch mit dem Titel "Jazz – eine Geschichte von 1900 bis übermorgen" veröffentlicht.
"Ich erzähle die Geschichte des Jazz aus meinem Blickwinkel, und will auch gar keine Definition liefern, was Jazz ist. Sondern Jazz hat sich immer zwischen unterschiedlichen Musikformen behaupten müssen und sich durch diese Musikformen immer wieder angereichert – und diese Geschichte will ich eben auch erzählen", erklärt Wolf Kampmann im Interview mit Deutschlandradio Kultur.

Als der Rock dem Jazz das Publikum wegnahm

Dem Jazz-Trompeter Wynton Marsalis widmet sich Kampmann unter vielen anderen. Der sei "ein ganz ganz wichtiger Mann gewesen, der im Grunde genommen einen Schlusspunkt gesetzt hat, hinter eine kontinuierliche Entwicklung der Avantgardismen, und gesagt hat: 'Ey Moment mal, jetzt müssen wir einfach mal wieder gucken, woher wir kommen'."
Besonders viel geforscht habe er zu der Frage, wie sich Jazz und Rock in den 60er-Jahren angenähert hätten.
"Und da war ich doch erstaunt, dass diese Annäherung wesentlich stärker von Seiten der Rockmusiker stattgefunden hat als von der anderen Seite. Es waren ganz große Vorbehalte von Seiten des Jazz gegenüber dem Rock dagewesen, und der Jazz hat sich dem Rock wirklich erst geöffnet, als es absolut nicht mehr anders ging, weil der Rock dem Jazz das Publikum weggenommen hat, weil er dem Jazz sozusagen die Improvisationshoheit abgeknüpft hat."
Die Jazz-Entwicklung "bis übermorgen" zu erzählen, das hat Wolf Kampmann laut Buchtitel vorgenommen. Wie geht es also weiter mit dem Jazz?
Cover von Wolf Kampmann: Jazz - Eine Geschichte von 1900 bis übermorgen
Cover von Wolf Kampmann: Jazz - Eine Geschichte von 1900 bis übermorgen© Reclam
"Ich kann da natürlich nur so ein bisschen an der Tür kratzen und gucken, wie so bestimmte musikwirtschaftliche Aspekte aussehen, wie sich das Publikumsverhalten ändert, wie sich das Hörverhalten durchs Internet ändert. Den Jazzhörer als solchen gibt's ja gar nicht mehr. Ich denke, da muss sich der Jazz neu ausrichten und ich denke, da muss er auch seine Hörer gewissermaßen an einer anderen Stelle abholen, als er das in der letzten Zeit hat."

Wo bleibt der Wille, sich einzumischen?

Und 2016, war das ein gutes Jazzjahr? Ihm liege immer noch das Jazzfest Berlin im Magen, so Wolf Kampmann, dass zwei Tage vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen geendet habe, und wo kein einziger Musiker Bezug darauf genommen habe.
"Wenn ich daran zurückdenke, wie Jazz sich in der Vergangenheit positioniert hat als ein Ausdruck sozialer und politischer Befindlichkeit, habe ich das komplett vermisst und habe mir gedacht, wo sind denn Bitte die sozialen Kompetenzen und die Kraft und der Wille der Jazzmusiker, sich einzumischen und teilzuhaben am politischen Diskurs geblieben?"
Und doch bleibt Wolf Kampmann optimistisch. Spannende politische Zeiten seien immer auch spannende Zeiten für die Kunst – und insofern sicherlich auch für den Jazz.

Wolf Kampmann: "Jazz - Eine Geschichte von 1900 bis übermorgen"
Reclam-Verlag, 392 Seiten, 34,95 Euro

Mehr zum Thema