"Wohnmaschine" des 21. Jahrhunderts

Leben im Smart House

Von Anne Kohlick · 27.08.2015
Wohnungen verwandeln sich – mitsamt den Haushaltsgeräten – in riesige Maschinen, vernetzte Computer, werden zu "Smart Homes". Schon 1921 schrieb Le Corbusier, ein Haus solle eine "Wohnmaschine" sein. Diese Forderung scheint aufgegangen zu sein.
Am Gartentor schaut mich eine Kamera an, mit rundem Fischaugenobjektiv. Ich lächle hinein, bis das Tor sich mit einem summenden Ton öffnet. An der Haustür erwartet mich Sahin Albayrak, Professor für Agententechnologie an der Technischen Universität Berlin. Er ist der Fachmann in Deutschland für künstliche Intelligenz und vernetztes Wohnen und lebt – wie könnte es anders sein – in einem Smart Home in Berlin-Dahlem.
"Bei uns hängt alles an das Netz dran: Spüler, Ofen, Kaffeemaschine, Kühlschrank. Zusätzlich haben wir noch Bewegungsmelder, Rauchmelder und wir können in jedem Raum die Lichtstärke messen."
Von außen sieht das Smart Home von Professor Albayrak nicht anders aus als die dreißig anderen Ein- und Zweifamilienhäuser im Neubaugebiet: flache Dächer mit Photovoltaikanlagen, große breite Fenster, glatte weiße Wände. Das erste, was für mich ungewohnt ist: die Eingangstür. Als ich sie hinter mir zuziehe, spüre ich einen Widerstand. Ich lasse die Klinke los und die Tür schließt sich die letzten Zentimeter von selbst. Es rattert kräftig, als mehrere Sicherheitsschlösser automatisch einrasten.
"Wir haben überall ein BUS-System eingelegt, das heißt wir können die Türen und Fenster kontrollieren. Wir können die Jalousien kontrollieren."
Das Haus denkt mit. Es warnt Professor Albayrak, wenn niemand zu Hause ist und trotzdem ein Fenster im Erdgeschoss offen steht. Dann bekommt er auf seinem Smartphone eine Warnung angezeigt und automatisch fährt die Jalousie nach unten - sodass kein ungebetener Gast ins Haus gelangen kann.
Das Smart Home von Professor Albayrak kommt mir vor wie eine einzige große Maschine. Unsichtbar verlaufen hinter der Tapete Kabel, die all die Sensoren und Geräte miteinander und mit dem Rechner im Keller verbinden. Wenn man so will, leben Professor Albayrak, seine Frau und sein Baby inmitten eines riesigen Computers – in einer hochentwickelten Wohnmaschine.
Ein Raum nach einer objektiven Ordnung
"Machine à habiter" – diesen Begriff prägte der Architekt Le Corbusier 1921 in einem Artikel in der Zeitschrift "L'Esprit Nouveau". Dort schrieb er: "Wenn man aus seinem Herzen und aus seinem Geist die unbeweglich gewordenen Vorstellungen des herkömmlichen Hauses herausreißt und die Frage des Wohnens von einem kritischen und sachlichen Standpunkt aus ins Auge fasst, wird man zur "machine à habiter", zur Wohnmaschine gelangen."
Häuser sollten effizient und funktional wie Maschinen sein – ohne Dekor und Ornament, forderte Le Corbusier. Der Architekt orientierte sich an Fabrikgebäuden, an Fahrzeugkabinen in Autos, Dampfschiffen oder Flugzeugen: standardisierte Einrichtungsgegenstände, hergestellt in Massenproduktion, optimierter Raumbedarf. Ausgehend vom menschlichen Maß hat Le Corbusier diese Zweckmäßigkeit auf Häuser übertragen: Gemäß seines Proportionssystems "Modulor" liegt die ideale Deckenhöhe zum Beispiel bei zwei Meter 26 – so hoch, dass ein Mann die Decke mit ausgestrecktem Arm gerade eben berühren kann. Ein Raum, für Menschen gemacht, nach einer objektiven Ordnung – eine Wohnmaschine eben.
Den provokanten Begriff, hat der Architekt ganz bewusst gewählt, erklärt der Corbusier-Experte Thilo Hilpert:
"Das war ein bisschen ein polemischer Satz, das ist klar. Aber dieser polemische Satz, der hat seine ästhetische Faszination. Damit wollte er sagen, dass es ein zweckmäßiges Instrument ist, eine Wohnung. Dass die architektonischen Elemente nicht dazu da sind, die Bewohner in irgendwelche psychischen Zustände zu versetzten, sondern ihnen das Leben zu erleichtern."
Das Leben erleichtern, die Hausarbeit effizienter gestalten – Le Corbusier baute dafür in seine Häuser Müllschlucker ein, Aufzüge, moderne Heiz- und Elektrosysteme. Das Smart Home von Professor Albayrak geht viel weiter. Im Keller zeigt er mir den Rechner, an dem alle Leitungen von den Haushaltsgeräten, Sensoren und Steuerungselementen zusammenlaufen.
Albayrak: "Das Herz des Systems, der Rechner selber befindet sich hier. Die ganze Steuerung ist hier."
Reporterin: "Das sieht aber nach mehr aus als in einem normalen Sicherungskasten!"
Albayrak: "Genau, das hat viel mehr! Die ganzen Akteure, die ganze Sensorik ist hier drin. Man kann also alles damit steuern."
Der Schrank ist voller Kabel und Anschlüsse. Es sind so viele, dass ich keine Ahnung habe, was zu welchem Gerät gehört. Insgesamt sammeln rund hundert Sensoren im Smart Home von Professor Albayrak Daten. Temperatur, Lichtstärke, Bewegung, Rauch, Wasser, Stromverbrauch – alles wird erfasst und miteinander verknüpft. Als ich im Wohnzimmer ein Fenster öffne, schaltet sich die Heizung automatisch ab. In Echtzeit kann Professor Albayrak das auf seinem Smartphone verfolgen.
"Sie können sehen, wie schnell das geht: closed... [Geräusche vom Fensteröffnen] ...open"
Intelligente Textilien, die den Sauerstoffgehalt der Raumluft messen
Er hat jederzeit alle Fenster und Türen, alle Elektrogeräte, alle Bewegungsmelder auf seinem Handy im Blick. Auch wenn er nicht zu Hause ist, weiß er, in welchem Zimmer sich gerade jemand bewegt, ob seine Frau den Fernseher an hat oder Wäsche wäscht. Ich weiß nicht, ob ich das wollen würde: in einer so kontrollierbaren Umgebung leben. Inmitten eines Systems, das sich – wenn die Technik einmal dazu in der Lage ist – selbst kontrolliert, die Daten, die ich produziere mit Sollwerten abgleicht, mich ermahnt, besser zu leben. Wäre das noch Privatsphäre? Und baut man Häuser nicht gerade, um sich einen privaten Raum zu schaffen? Darauf hat zumindest Le Corbusier großen Wert gelegt, sagt Thilo Hilpert:
"Jedenfalls spielt die Schaffung einer Zelle oder eines Raums, der uneinsehbar ist und unantastbar ist von den Nachbarn – und von staatlicher Intervention – eine zentrale Rolle bei ihm."
Professor Albayrak geht davon aus, dass es in ein bis zwei Jahren Smart-Home-Lösungen schon für hundert Euro zu kaufen gibt. Dann wird es normal werden, seine Wohnung nicht mehr mit dem Schlüssel, sondern mit dem Smartphone aufzuschließen. Schon jetzt kosten die intelligenten Thermostate und Rauchmelder von Google Nest weniger als 250 Dollar. Und das Internet der Dinge, für das Google gerade das Betriebssystem Brillo entwickelt, wird noch mehr Möglichkeiten für Smart Homes eröffnen: etwa intelligente Textilien, deren Farbe uns Aufschluss über den Sauerstoffgehalt der Raumluft gibt. Professor Albayrak sieht das positiv.
"Diese ganze Vernetzung bringt viele Vorteile: Neben der Tatsache, dass man den ganzen Lebensstandard erhöhen kann, den Komfort erhöhen kann, hat man auch ziemlich hohe Sicherheit."
In viele Häuser in der Neubausiedlung ist schon eingebrochen worden – nicht bei Professor Albayrak. Als ich das Smart Home verlasse und hinter mir die Sicherheitsschlösser einrasten, ist mir klar warum. Ich denke an die hundert Sensoren, an all die Daten, die sie sammeln und bin mir sicher: Diese Wohnmaschine funktioniert längst jenseits des menschlichen Maßes, das Le Corbusier so wichtig war. Die Smart Homes der Zukunft, selbstlernend und automatisiert, bewegen sich weg von uns Menschen – hin zu einem Maß der Maschine, das immer unabhängiger von uns funktioniert.
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