Wohnen in Deutschland

Zwischen "Parkviertel" und "Am Englischen Garten"

Ein Kran überragt im Neubaugebiet Widdersdorf-Süd in Köln (Nordrhein-Westfalen) im Bau befindliche Häuser. Auf etwa 1200 Baugrundstücken entstehen hier Ein- und Mehrfamilienhäuser.
Neubau auf der grünen Wiese: Widdersdorf-Süd in Köln © Henning Kaiser/dpa
Von Thorsten Poppe · 17.10.2014
Nicht für soziales Wohnen, sondern für betuchtere Kölner entsteht derzeit in Widdersdorf Deutschlands größtes Neubaugebiet "Prima Colonia". Dabei geht es vor allem ums ein: die Bedürfnisse der Bewohner.
Baggern, Hämmern, Schutt abladen: Das ist hier im größten Neubaugebiet Deutschlands zurzeit der Pulsschlag. Wer von der Kölner Innenstadt rausfährt in den Westen, sieht hinter der Autobahn A1 eine fast unwirkliche Landschaft. Hier mitten auf der grünen Wiese, umgeben vom Nichts, wachsen die Baukräne in die Höhe. 16 Stück sind es zurzeit. Seit 2007 helfen sie mit insgesamt 1200 Wohneinheiten im neu entstehenden Stadtteil Widdersdorf-Süd zu bauen. 800 sind schon fertig, das restliche Drittel folgt in den nächsten Monaten.
Carmen Fober lebt seit gut einem Jahr hier mit ihrem Mann und den beiden Töchtern. Den Baulärm hört sie mittlerweile schon gar nicht mehr, sie erfreut sich an ihrem neuen, frei stehenden Eigenheim:
"Unser Haus ist quadratisch, rechts und links stehen auch überall Häuser im Bauhausstil. Gegenüber auf der anderen Straßenseite nicht, da haben wir ein Haus was auch so ein bisschen mediterran angehaucht ist, in einem schönen gelb. Alle übrigen Häuser sind hier weiß, wobei links von uns ist Moment auch noch Baustelle. Da wird ein Doppelhaus hochgezogen, auch im Bauhausstil. Die Straße da sind jetzt noch ein paar Häuser, die jetzt im Rohbau sind. Wir schätzen im Frühjahr nächsten Jahres sind die hier durch. Dann wurde uns auch gesagt, dass dann wahrscheinlich die Straße fertig gebaut also gemacht wird. Ja, und dann haben wir Ruhe!"
Neun neue Viertel sind entstanden
Ihr schickes neues Domizil hat immerhin 260 Quadratmeter Wohnfläche, und einen großen Garten. Ideal für die beiden Töchter Lea und Anna. Damit lockt das Baugebiet mit dem markanten Namen "Prima Colonia", denn es wurden hauptsächlich Ein- und Zweifamilienhäuser gebaut, also der gerade so dringend benötigte Wohnraum für Familien. Dabei sind im neuen Stadtteil einzelne Viertel entstanden, neun Stück an der Zahl. Jedes wurde mit einem anderen Konzept geplant, und ist von der Architektur her ganz individuell. Zum Beispiel das "Parkviertel" mit großzügigen Einfamilienhäusern und Villen neben dem extra errichteten Golfplatz, wo die Fobers wohnen. Die 12-jährige Tochter Anna ist jedenfalls vom Leben im Neubaugebiet angetan:
"Hmmmmhhh, weil man viel draußen sein kann. Weil es auch eine schöne Gegend ist, es hier so einen schönen Park gibt. Und weil man so viele Möglichkeiten hat was zu machen draußen dann...!"
Hinter dem Projekt steht ein privater Investor, der das Gebiet erschlossen hat. Mit uns darüber sprechen, will der Herr der Kräne nicht. Zuviel zu tun. Aber Norbert Amand genießt unter allen Bewohnern eine hohe Wertschätzung wird uns berichtet. Denn von Anfang an hat er auf den Wohlfühlfaktor Wert gelegt. Einmal sind schon Bäume an Straßen und Fahrradwegen gepflanzt worden, als die ersten Häuser gerade gebaut wurden. Deshalb sieht es hier nun schon ziemlich grün und wohnlich aus. Auch die entsprechende Infrastruktur ist direkt mit geplant worden. Neben einer Schule eben auch die Kindertagesstätten, und mehrere Spielplätze.
Es sollte auch keine reine Schlafstadt entstehen, damit das tägliche Leben im neuen Viertel stattfinden kann. Dazu gehört aber mehr als der bisher errichtete Supermarkt, eben auch die Kneipe oder kleine Läden, die es bis jetzt noch nicht hierhin geschafft haben. Darauf hofft auch Carmen Fober:
"Also ich denke, was hier fehlt noch sind ein paar Restaurants, oder ein Restaurant. Das fehlt hier einfach, um vielleicht hier auch sich noch ein bisschen besser kennenzulernen. In Alt-Widdersdorf gibt es eine Eisdiele, die ist auch immer sehr gut besucht, sobald das Wetter schön ist. Da sind natürlich auch viele Leute aus dem Neubaugebiet, die dann auch darüber gehen. Da merkt man schon, die hocken dann da zusammen und erzählen sich einen, ach ja du wohnst da, ich wohn direkt in der nähe, man kennt die Straßen aber alle noch nicht so. Im alten Viertel kennt jeder die Straßen, man ist halt bekannter als hier. Das kommt halt noch, das muss halt wachsen."
Alte Widdersdorfer zeigten wenig Begeisterung
Allerdings gibt es ja da noch den alten Teil Widdersdorfs, hier gibt es diese gewachsenen Strukturen. Die neuen Bewohner waren nicht unbedingt willkommen. Obwohl die Alteingesessenen überwiegend selber in den 60er oder 70er Jahren hier gebaut haben, hat Deutschland größtes Neubaugebiet erst einmal für wenig Begeisterung bei ihnen gesorgt. Kein Wunder, wenn auf einmal ein ganzes Stadtviertel mit hinzukommt. So klettert die Einwohnerzahl dadurch von 6.500 auf über 10.000. Susanne Betz von der Interessengemeinschaft Widdersdorf – kurz WIG - will alle, die alten und die neuen Bewohner mit ihrem Verein verbinden.
"Weil die Skepsis der älteren Bevölkerung natürlich relativ groß war, und jetzt darf man auch nicht vergessen: Wenn so viele Menschen auf einmal neu hingezogen sind, haben viele dies ein bisschen als Bedrohung empfunden, und nicht als Chance gesehen, dass da sich daraus was Gutes entwickeln könnte. Wir als WIG sind ziemlich bemüht, das Gespräch zwischen alt und neu zu fördern, weil das ja ganz, ganz wichtig ist. Wir machen ja immer eine Weihnachtsbaumaktion, und haben die letzten drei Jahre festgestellt, wenn wir unseren Weihnachtsbaum aufstellen, und dann unser traditionelles anglühen machen, dass da doch mehr von den Jüngeren jetzt auch mal so langsam mit hinzukommen."
Deutschlands größtes Neubaugebiet zeigt eine sinnvolle Planung – ohne das Leben dorthin zu holen, wo die Menschen sich niederlassen, und ihre meiste Zeit verbringen, hätte es nicht diesen Erfolg. Nur wer heutzutage die Bedürfnisse der Bewohner mit berücksichtigt, kann sich sicher sein, die Baugrundstücke auch vor den Toren einer Millionenstadt zu verkaufen. Leere Grundstücke sind hier mittlerweile Mangelware, obwohl die Kosten im angespannten Wohnungsmarkt hochpreisig sind. Ein nicht freistehendes Haus gibt es schon ab 290.000 Euro. Wer aber ein wenig mehr Platz möchte, zahlt alleine für das Grundstück schon eine Viertelmillion. Das schreckt aber die Menschen kaum, hier sesshaft zu werden:
"Man startet noch einmal hier richtig neu durch, und das ist eigentlich ganz spannend. Auch so wie sich das hier alles entwickelt. Ich weiß ja jetzt noch gar nicht, wie sind die Nachbarn, die jetzt hier rechts nebenan einziehen. Ich kenne sie zwar ein bisschen, aber wenn die dann hier leben, sind die dann immer so nett, wie sie es halt jetzt sind..."
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