Woher kommen die dicken Kinder?

Von Udo Pollmer · 21.06.2009
Jeder kann es sehen, die Kinder werden dicker. Allerorten werden Maßnahmen ergriffen, diesem Treiben Einhalt zu gebieten. Schließlich wollen wir, dass unsere Kinder glücklich und gesund heranwachsen. Doch über das Wie streiten die Experten. Aber bevor wir zu den Maßnahmen kommen, zunächst eine Bestandsaufnahme. Wie sieht die Entwicklung derzeit aus?
So wie immer. Ob die Dicken mehr werden oder nicht ist eine Frage der Statistik – und der Biologie. Die Tatsache, dass wir heute mehr dicke Kinder zu sehen glauben, will wenig heißen. Frauen, die bereits Mütter sind, kennen den Effekt: Während der Schwangerschaft haben sie gestaunt, wie viele schwangere Frauen es gibt. Weder vorher noch nachher fiel ihnen das so ins Auge. Deshalb brauchen wir verlässliche Zahlen.

Aber die zeigen doch einen Trend nach oben?
Das schon – aber die Kinder haben vielfach Eltern, die aus dem Süden zugewandert sind. Wenn wir uns in Europa umschauen, wo es die dicksten Kinder gibt, dann dort, wo Fastfood und Computer im Kinderzimmer eher die Ausnahme sind, dort wo die Kinder frisches Essen erhalten und draußen toben: Auf Kreta und Sizilien – dort leben die dicksten Kids. Die schlanken gibt es eher in Norden. Der Grund ist simpel: Wenn wir uns die Schweden ansehen, dann sind das hochgewachsene Menschen. In Südspanien dominiert der gedrungene untersetzte Typ. Beide haben etwa genau soviel Körpermasse, aber die Menschen im Süden sind kürzer, sie haben vor allem kürzere Oberschenkel. Und damit liegt ihr BMI, ihr Body Mass Index deutlich höher.

Und was hat das mit den Berliner Gören zu tun?
Da in unseren Schulen der Anteil an Zuwanderern aus dem Süden vielfach bei 50 Prozent und höher liegt, stieg damit rein rechnerisch das Übergewicht. Berechnet man die Dinge getrennt nach Ethnie, dann sieht man beachtliche Unterschiede. Kinder zum Beispiel türkischer Abstammung sind wesentlich häufiger übergewichtig als Kinder deutscher Abstammung. Dort wo es kaum Zuwanderer gibt wie in Brandenburg sind die Zahlen denn auch seit 20 Jahren praktisch unverändert. Kämen die Zuwanderer nicht aus dem Mittelmeerraum, sondern aus dem Norden gäbe es allerorten Klagen über den Größenwuchs, die sogenannte Akzeleration der Jugend.

Eine Nationale Verzehrsstudie des Verbraucherschutzministeriums hat aber gezeigt, dass gerade die bildungsfernen Schichten am dicksten sind und auch am meisten essen. "Bildungsfern" heißt, dass es Menschen sind, die einer körperlichen Arbeit nachgehen, die als Maurer oder Metzger arbeiten und dafür sorgen, dass ich ein Dach über dem Kopf und einen vollen Kühlschrank habe. Wer einer körperlichen Arbeit nachgeht, ist meist kräftiger gebaut als eine Pharmavertreterin. Wer am Bau arbeitet, isst auch mehr. Außerdem landen in der Unterschicht die Zuwanderer. Und die kommen aus dem Süden und haben einen höheren BMI. So kommen diese Zahlen zustande.

Es gibt doch immer wieder Beispiele in unseren Medien, in denen Kinder mit Sport und gesunder Ernährung erfolgreich abnehmen.
Ja, aber viele scheitern auch dabei. Die zeigt man uns natürlich nicht. Die Erfolgsmodelle funktionieren ganz anders: Kinder werden oftmals dick, wenn sie daheim als Störenfriede empfunden werden, wenn sie vernachlässigt werden. Vor allem sensible Kinder können darauf mit massiver Gewichtszunahme reagieren. Wenn dann die Fernseh-Nanni zum Zwecke des Verschlankens kommt, hat Mama auf einmal Zeit. Da sie sich natürlich die Bewunderung im TV nicht entgehen lassen will, steht das Kind auf einmal im Mittelpunkt. Das Kind ist glücklich, sein Cortisol sinkt, und es nimmt ab – aber nicht wegen Sport und Körnerbrötchen sondern trotz ungeliebter Turnstunden und trotz Knäckebrot.

Literatur:
Wabitsch M: Adipositas bei Kindern und Jugendlichen. Internist 2006; 47: 130-140
Sundquist J, Winkleby M: Country of birth, acculturation status and abdominal obesity in a national sample of Mexican-American women and men. International Journal of Epidemiology 2000; 29: 470-477
Will B et al: Overweight and obesity at school entry among migrant and German children: a cross-sectional study. BMC Public Health 2005; 5: e45