Wo Silver Ager das Flirten üben

Von Anke Petermann · 13.02.2013
Zu faltig fürs Flirten? Quatsch! Bei einer Veranstaltungsreihe im Frankfurter Gesundheitsamt trainieren Menschen jenseits der 50 die Kontaktaufnahme zum anderen Geschlecht. Dabei wird so manche winterdunkle Psyche von einem angenehmen Hormon-Cocktail aufgehellt.
Flirten lernen in staubigen Amtstuben - wie soll das gehen? Vorbehalte dieser Art legen die Schnupperkurs-Besucher im Frankfurter Amt für Gesundheit rasch beiseite. Uta, 66, mit asymmetrischem Haarschnitt, wusste schon vorher, dass der Flirtkurs nicht steif werden würde.

"Die sind ganz locker drauf hier. Also, ich war auch gespannt ja, und bin jetzt fast erstaunt: Frauen sind immer überall in der Überzahl, aber es ist ein Stückchen ausgewogener, vielleicht vierzig, sechzig, und sonst ist es siebzig, dreißig."

"Demenz" und "Diabetes" motivieren die männlichen "Silver Ager", wie sie in der Werbebranche heißen, offensichtlich weniger zum Date im Amt, Flirten dagegen zieht. Im hellen Foyer sind Bistrotische aufgebaut, erste Annäherung bei Kaffee und Gebäck - lässig im Stehen.

Ingrid: "Nehmen sie alle drei Plätzchen mit …"

Das Foyer mit dem changierenden Lichtband verströmt eher Lounge-Atmosphäre als Amtsstaub. Ingrid, 79, dunkelrote Haare, blauer Lidschatten, und Dietrich, 68, schlohweißer Schopf und grauer Rauten-Wollpulli, stecken die Köpfe zusammen - sie kennen sich vom Yoga und anderen Veranstaltungen im Amt. Dessen Adresse finden manche in Ingrids Bekanntenkreis anrüchig, sie dagegen kokettiert damit.

"Es ist hier im Erotik-Viertel, drüben ist das Bordell. Ich sage dann zu meinen Bekannten, (auf die Frage), wo gehst du denn jetzt wieder hin, ‚in die Breite Gass'. Das ist hier die Adresse für Sex, gekauften Sex. Ich finde es irgendwie witzig."

Vor allem als Anlaufstelle für den Flirt von Amts wegen. Fast hundert Interessenten jenseits der 50 haben sich vom Rotlicht und vom eisigen Winterwetter nicht abschrecken lassen. Der Vortragssaal im Gesundheitsamt nahe der Frankfurter Zeil füllt sich bis auf den letzten Platz.

Dozentin: "Flirten ist für uns einfach eine Möglichkeit, sich selbst zu spüren …"

Die theoretische Einführung halten die beiden Sexualpädagogen von pro familia knapp. Mit Lächeln ernte man positive Resonanz, ermutigen sie auch die Bedenkenträger in der ersten Stuhlreihe. Die hatten eingewendet, dass Ältere beim Flirtversuch in dieser jugendverliebten Gesellschaft damit rechnen müssten, aufzulaufen. Flirten sei wohltuende, wertschätzende Kontaktaufnahme, stellen die Dozenten klar, keine plumpe sexuelle Anmache. Was nicht heiße, dass man bei bestimmten Signalen des Gegenübers nicht auch mal unterm Tisch füßeln dürfe.

Dozentin: "Man merkt sehr schnell, ja, was passiert mit dem anderen."

Heiterkeit im Publikum. Die Stimmung löst sich, ein guter Moment von der Theorie zur Praxis zu kommen. Weg mit den Stühlen.

Dozent: "Einfach Aufstehen, einfach alle aufstehen …"

Freies Bewegen durch den großzügigen Raum nach softer Jazzmusik ist angesagt, sich dann in Kleingruppen zusammenfinden und jeweils drei Knie, später Schultern zusammenbringen. Man verrenkt sich, schwätzt und lacht. Offenbar wird so manche winterdunkle Psyche von einem angenehmen Hormon-Cocktail aufgehellt. Die Bedenken, zu faltig fürs Flirten zu sein - wie weggeblasen.

Matthias Hüfmeier vom Frankfurter Verband wundert das nach sieben Jahren Flirtkurs-Angebot nicht mehr:

"Genau deswegen haben wir den Kurs gestartet, weil wir denken, in unserer scheinliberalen Gesellschaft ist das nach wie vor sehr schwierig, wenn ein älteres Pärchen sich trifft, Händchen hält, sich mal auf dem Bahnsteig küsst, zumindest haben die Menschen selbst oft Bedenken. Und da haben wir gesagt, da müssen wir was gegen tun, wir wollen die Gesellschaft wirklich liberalisieren, und - das sagen wir ja immer - wir sollen bis 67 arbeiten, bis 80 ehrenamtlich tätig werden, warum nicht auch mal wieder verlieben. Flirten hilft auf jeden Fall. Das ist sogar im Sinne der Gesundheitsreform wirksam, und man braucht weniger Medikamente, wenn man's richtig macht."

Was die Frage, inwiefern solch ein Schnupperkurs zur kommunalen Gesundheitsfürsorge gehört, indirekt beantwortet. Flirten - im "amtlichen" Schnupperkurs heißt das ohne jede Anzüglichkeit: sich aufeinander zubewegen - körperlich, geistig, seelisch - auch als Weg aus der Einsamkeit im Alter, wenn auch nicht unbedingt als Mittel zur Partnersuche.

Hüfmeier: "Wir machen diese Kurse wirklich mit einem Augenzwinkern, es soll nicht zielgerichtet um eine Partnergewinnung gehen, sondern um eine Selbstwahrnehmung und Selbstfindung. Man soll sich selbst lieben lernen, und erst dann kann man auf andere auch zugehen, und dann ist es bestimmt auch irgendwann erfolgreich."

Dietrich jedenfalls, der 68-Jährige mit dem schlohweißen vollen Haar, genießt es.

"Ja, es macht Spaß. Die Reaktion interessiert mich schon. Zumal ich ja allein bin, schon längere Zeit, und da beobachtet man natürlich die Frauen schon anders, als wenn man gebunden ist. Ich hab jetzt kein bestimmtes Ziel, weshalb ich hierher komme, sondern einfach so."

In der Komplimente-Runde hört Dietrich viel Lob für seine strahlend blauen Augen und seine freundliche Ausstrahlung. Dann kommt die 53-jährige Jutta mit Kurzhaarschnitt, mustert ihn durch die Brille kurz und intensiv:

"Sie sind ein Clown!"

"Ist das ein Kompliment?!"

"Das ist ein Kompliment für einen Clown."

Dietrich nickt, grinst verschmitzt, die Frau hat ihn erkannt. Flirten lernen? Von wegen, die beiden haben's längst drauf, sind mittendrin. Mit fast siebzig - ist Dietrich da nicht zu alt für solches Geplänkel?

"Nein - gar net. So lang ich einer Frau in die Augen gucken kann, merk ich noch, dass ich leb'. Wenn ich das nimmer mach', nimmer machen kann, nimmer machen will, da bin ich schon einen Meter unterm Boden."

Schmunzelt der Rentner und lässt sich vom nächsten Kompliment die Seele streicheln.