Wo Meer und Sand sich treffen

09.10.2009
Man spürt die Lust, mit der Hans-Jürgen Gaudeck in seinen Aquarellen der Bewegung von Wellen, Bäumen im Wind und den Linien von verwehtem Sand folgt. Gaudeck beherrscht sein Handwerk, wie die in seinem Buch "Ostsee" versammelten Aquarelle vor Augen führen.
Ganz banal und aktuell begonnen: die Ostsee ist auch in diesem Jahr nach glaubhaften Umfragen das beliebteste Reiseziel der Deutschen. Und wer nicht unbedingt nur den Sommer an der Ostsee favorisiert, dem legt diese Landschaft im beginnenden Herbst Farben zu Füßen, die man eigentlich gerade jetzt besonders genießen kann.

Ein wunderschönes Buch von Hans-Jürgen Gaudeck – "Ostsee. Stimmungen einer Landschaft" – hält das in Aquarellen fest, mit denen wenige Fotos konkurrieren können. Aber um eine solche Konkurrenz geht es auch gar nicht – und doch fiel mir das beim Betrachten ein, weil unsere visuelle Erfahrung durch die Wucht der technischen Möglichkeiten, durch die Feinheit, die Eleganz und den Minimalismus dieser Bilder regelrecht herausgefordert wird – wozu? Zu Stille und Langsamkeit.

Gaudeck ist ein Berliner Aquarellist, dessen Raffinesse im Technischen voller Eleganz und Natürlichkeit ist. Eine bezwingende Paarung, weil pure Eleganz leicht manieriert und Natürlichkeit allein schnell bieder werden kann.

Doch Gaudeck beherrscht sein Handwerk nicht nur, man spürt die Lust, mit der er der Bewegung von Wellen, Bäumen im Wind und den Linien von verwehtem Sand folgt. Alles bleibt angedeutet und bekommt doch genügend Deutlichkeit, um die jeweilige Atmosphäre zu spüren. Die Motive - hohe Horizonte, das dunkle Holz der Buhnen oder Bäume im Wind - werden zu Zeichen, abstrakt und doch dem Gegenstand treu verbunden. So zum Beispiel, wenn Gaudeck die weite Strandlandschaft betrachtet, dort, wo Meer und Sand sich treffen. Nur wenige schwarze zarte Vertikale deuten Menschen an, Zeichen in einer Landschaft, deren Nuancen sich von Minute zu Minuten verändern.

Eine Landschaft, in der der Wechsel der Jahreszeiten eine so transparente Klarheit gewinnt, weil keine Nebensächlichkeit in ihr ablenkt – die beiden Elemente Wasser und Erde treffen aufeinander und manchmal geschieht etwas. Gaudeck bleibt ein Beobachter, der nie auftrumpft und uns dramatische Bilder liefern will. Es sind die ganz einfachen Momente: dunkelbraune, vom Wasser rund geschliffene Steine weisen am Rand eines Steilufers einen Weg zum Meer, das am Horizont zur dritten Farbe wird – weiß, braun und blau – die Andeutung reicht.

Einige Seiten davor: Fischernetzfahnen in kräftigem Rot und Blau. Auch hier nie ein Moment der Folklore – was ja bei solchen Motiven zur Gefahr werden kann. Gaudeck bleibt Minimalist, wischt die Farben zu leicht zerfetzt wirkenden Stoffquadraten, die den Sturm regelrecht spüren lassen und ein letztes Beispiel neben all den wunderschönen Baummotiven: ein Gehöft im Nebel. Die weißen Mauern werden vom grauen Dunst fast verschluckt, nur das rote Dach des Gehöfts strahlt neben den noch sichtbaren grünen Baumkronen. Dazu stellt der Maler kurze Texte – nicht mehr als zehn Zeilen, die die Situation beschreiben, in der er auf seine Motive stieß. Auch das von schöner Lakonie, kein Pathos, das der Landschaft nicht zuträglich wäre. Man hat das Gefühl, einem Beobachter beim lauten Denken zuzuhören.

Ein Buch, das mich schlicht glücklich gemacht hat, weil es sich – ohne jede Naivität – getraut, landschaftliche Schönheit zu feiern – zart und sehr nachdrücklich.

Besprochen von Astrid Kuhlmey

Hans-Jürgen Gaudeck: Ostsee. Stimmungen einer Landschaft
Bülten Verlag, Kückenshagen 2009
95 Seiten, 19,90 Euro
"Gehöft im Nebel bei Stege" von Hans-Jürgen Gaudeck
Ein weiteres Bild aus Hans-Jürgen Gaudecks Buch: "Gehöft im Nebel bei Stege"© Hans-Jürgen Gaudeck