Wo man keine Achselhöhlen zeigen darf

Von Susanne Lettenbauer · 12.11.2012
Alljährlich treffen sich die besten Filmhochschüler der Welt in München, um ihre neuesten Arbeiten zu zeigen. Dabei sind auch Studierende aus Ländern, in denen restriktive Vorgaben herrschen, was ein Film zeigen darf und was nicht, wie im Iran, China oder Singapur. Mit viel Geschick umgehen sie die Zensur.
Nackte Hähnchenkörper liegen auf einem Holzblock, das Messer saust herab. Finger heben tote Fischleiber empor, die Innereien fallen in eine Plastikschüssel. Ein traditioneller Markt in Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur. Für europäische Augen ungewohnt, doch das ist Programm. Dieser Markt gehört zum Alltag von Nell Eu, Regiestudentin aus Malaysia und mit ihrem Film "Pasak" zurzeit auf dem Filmfest der Filmhochschulen in München:

"Viele unserer Regisseure drehen ihre Filme von Anfang an für ein ausländisches Publikum, für Europa, Hongkong, Taiwan. Unser Publikum interessiert sich nur für Hollywood. Dabei wollen wir die Situation in unserem Land zeigen. Ganz oft gehen wir einfach raus mit der Kamera, drehen den Alltag. So lernen wir das Handwerk."

Eine Schere im Kopf, die andere im Computer, so hat Nell Eu ihren Film "Pasak" realisiert. Fast ohne Geld. Minibudgets gehören zum Alltag an der Artschool von Kuala Lumpur. Das fördert die Kreativität ist Eu überzeugt. Wer Regie studieren will, muss das in Malaysia wirklich wollen. Muss sich mit den Behörden anlegen, sagt die Regisseurin:

"Zensiert wird immer, wenn man einen Film ins Kino bringen möchte oder er im Fernsehen laufen soll. Im Prinzip kann man jeden Film drehen, jede Story, wenn man das Geld dafür hat, aber sobald er veröffentlicht werden soll, gibt es immer Probleme, vor allem aus religiösen Gründen. Völlig erstaunt war ich kürzlich, als man mir erklärte, man dürfe keine Achselhöhle zeigen im Fernsehen. Das finde ich wirklich lustig."

Die Iranerin Talkhon Hamzavi, in München mit dem Film "Parvaneh" im Wettbewerb, findet das weniger lustig. Zensur gehört für Regisseure aus dem Iran ab dem ersten Semester dazu, sagt die heute in Zürich lebende Regisseurin, Storyboards werden kontrolliert, müssen abgesegnet werden:

"Man kann eben nicht über alles frei sprechen, man muss sich bewusst sein, entweder man macht einen Film, der nicht regimefeindlich ist, oder wenn er kritisch sein soll, muss man das unten durch machen irgendwie."

Stattdessen zeigt Hamzavi Asylbewerber. Mit langsamen Kamerabewegungen zoomt der Blick an das Mädchen am Münztelefon heran, das vergebens die Familie anruft. Denn dort nimmt keiner mehr ab. Ihre Flucht in die Schweiz gerät zu einer Irrfahrt durch die Fremde. Ist das regimefeindlich?

"Die Erlaubnis einen Film zu drehen, gleicht einer Lottoziehung. Die Bürokratie dahinter ist enorm. Alles, was irgendwie kritisch erscheint im Drehbuch, muss sofort verändert werden."

Ganz oft sei nicht klar, welche Kriterien man einhalten müsse, sagt die Iranerin Sara Zandieh. Ihr Film "Hassani goes to the Mall" nimmt sich der Fremde ebenfalls an. Der Kulturschock für einen Iraner in einer amerikanischen Shoppingmall, gedreht in New York, kritisiert die Reizüberflutung. Dort im Iran die Armut, da in Amerika der Überfluss. Eigentlich interessiere sie aber eher die Entwicklung der Menschen in der Geschichte, kritische Kommentare zur Politik seien für Film zu plakativ:

"Mir geht es mehr um die Charaktere, ich will keine Message erzählen, sondern einfach nur eine Geschichte erzählen."

Diesen Ansatz verfolgt auch der chinesische Filmstudent Lin Feng Wu. Dreimal bewarb er sich an der Filmschule Peking, wurde immer abgelehnt. Heute studiert er in Singapur. Für die Ausbildung sei dies nicht wesentlich besser, meint Feng Wu verhalten:

"In Singapur sind sie sehr restriktiv. Sobald auch nur die Regierung im Storyboard erscheint, wird es kritisch. Es heißt immer, dort ist alles möglich, aber einige Themen darf man nicht verwenden, zum Beispiel Kritik an der Regierung, Religion. Darin gleicht Singapur China."

Feng Wu zeigt in seinem Film für München die Ausbeutung junger Frauen in Restaurants, versteckt in einer Familiengeschichte. Man müsse einfach immer ein Hintertürchen finden, das lerne man sehr schnell im Studium, sagt der junge Regisseur und wirkt dabei viel forscher als der ebenfalls zum ersten Mal nach Europa gereiste Siqing Zhang, geboren in Quanzhou, Student an der Filmakademie Peking. Dass er sich über die Einparteienherrschaft in China ärgert, sagt er nur in München. Dass es besser wäre, wenn die jungen Regisseure mehr Freiheit bekämen, den Menschen ihr Land zu erklären auch. Dass Straßenkinder auf Pekings Straßen betteln gehen zum Beispiel. Dass Taschendiebe in Chinas Hauptstadt ein gutes Auskommen haben. Armut und Verelendung sind seine Themen. Dass er damit die Zensur umging bislang, begründet er so:

Zhang: "Wenn man einen Film über Armut in China macht, denken die Leute, es geht in dem Film um Armut. Das ist nicht so, mir geht es um die Beziehung der Menschen untereinander. Wenn man die Gefühle zeigt im Film, kann man so viel mehr damit sagen. Das ist viel schwieriger, als Kritik zu üben an der Gesellschaft."

Die Zwischentöne sind es, die in München auf dem internationalen Filmhochschultagen den Ton angeben. Andeutungen, unausgesprochene Kritik, die trotzdem erkennbar wird. Zwischenmenschliche Dramen, die ihren Ursprung in der politischen Gesellschaft haben.