Wo Hirn drauf steht, sind nur Hormone drin

01.03.2007
Warum müssen Mädchen ständig telefonieren? Warum lassen sich Frauen nach den Wechseljahren häufiger scheiden? Und weshalb denken Frauen seltener an Sex als Männer? Die Antworten auf diese wirklich wichtigen Fragen glaubt die Neuropsychiaterin Louann Brizendine in der Struktur des weiblichen Gehirns gefunden zu haben.
Frauen haben im Gehirn eine achtspurige Autobahn, um Gefühle zu verarbeiten, Männer hingegen nur eine kleine Landstrasse. Dafür besitzen die Jungs einen riesigen Flughafen als Drehscheibe für Gedanken über Sex, Mädels nur eine Mini-Landepiste für Privatflugzeuge. Um ihre These vom weiblichen Gehirn zu untermauern, benutzt Louann Brizendine gerne drastische Bilder, die besser in eine Sex-Kolumne als in ein Buch mit wissenschaftlichem Anspruch passen würden.

Ihr zugegeben süffig und gut geschriebenes Loblied auf das weibliche Gehirn mit riesigen Arealen für sprachliche, emotionale und soziale Kompetenz ist jedoch eine Mogelpackung. Es steht zwar Hirn drauf, doch es geht nur um Hormone. Es trägt ein fesches, feministisches Mäntelchen, darunter kommt Retro-Kleidung zum Vorschein. Laut Brizendine ticken auch im Gehirn von Managerinnen im Hosenanzug immer noch die alten Steinzeitprogramme. Beeren sammelnd rennen sie im Dauerstress durch die Wildnis, getrieben vom Drang, ihre Kinder zu beschützen. "Das Gehirn der Frau trägt noch die Schaltkreise ihrer Urahninnen in sich".

Bereits im Mutterleib, schreibt die Neuropsychiaterin, werden Mädchen mit Östrogenen überschüttet und so auf Beziehungspflege programmiert. In der Pubertät sorge ein schwankender Östrogen- und Progesteron-Spiegel für Heulkrämpfe und Zickenkrieg mit den Müttern. Die Telefonsucht 14-jähriger Mädchen erklärt sie mit einem hohen Oxytocin-Spiegel. Nach den Wechseljahren sinke der Ocytocin-Spiegel wieder ab, das mache Frauen weniger altruistisch und scheidungslustiger. Als Belege führt die vor allem Untersuchungen an Ratten, Wühlmäusen und Rhesusaffen an und Anekdoten von Freundinnen und Patientinnen, im soap opera-Stil erzählt. "Melissa und Rob verfielen in einen alles verzehrenden Liebestaumel".

Das Hauptproblem ist: Die Autorin kann sich zu keiner klaren Position durchringen. Einerseits stellt sie Frauen als Hormonsklavinnen dar, andererseits behauptet sie, auch das weibliche Gehirn sei eine gigantische Lernmaschine, die Frauen neu programmieren können. Ärgerlich ist, dass sie für die Phase der Wechseljahre völlig kritiklos Hormone als Königsweg zum Glück propagiert. Ihre Begründung: Nachdem sie selbst völlig durch den Wind war, sei sie nach konsequenter Östrogeneinnahme wieder ganz die alte gewesen. Man darf vermuten, dass sich die von ihr gegründete Stimmungs- und Hormonklinik für Frauen und Mädchen in San Francisco vor Anfragen nicht mehr retten kann.

Rezensiert von Birgit Schönberger

Louann Brizendine: Das weibliche Gehirn. Warum Frauen anders sind als Männer
Übersetzt von Sebastian Vogel
Hoffmann und Campe: Hamburg 2007
359 Seiten, 19,95 Euro