Wo die Grenzer wohnten

Rezensiert von Stephan Hilsberg · 30.12.2012
Der Mauer mit ihren Grenzanlagen an der deutsch-deutschen Demarkationslinie war ein aufwendiges und teures Bauprojekt, mit dem der SED-Staat nie wirklich fertig wurde. So vollzog sich das Leben der mehr als 10.000 Soldaten der Grenztruppen unter teils katastrophalen Bedingungen.
Für Axel Klausmeier ist die militärische Infrastruktur der ehemaligen DDR ein Teil unserer Kulturlandschaft, denn wir hätten es mit Denkmalen zu tun,

" mit unbequemen Baudenkmalen",

untertreibt er euphemistisch und fügt - gleichsam als Schlüssel für sein Buch - erläuternd hinzu:

"So wie die 'schönen Landschaften‘ Informationen enthalten, die schriftlich häufig nicht vorhanden sind, so kann die Landschaft rund um Berlin mit ihren zahlreichen militärisch genutzten Gebäuden und Arealen als Buch und Quelle gelesen werden."

Ihm geht es um:

"Spurensicherung".

Denn diese Spuren machen deutlich,
"welchen Aufwand der SED-Staat betrieb, um seine eigene Bevölkerung einzusperren und ihr elementare Grundrechte vorzuenthalten."

Und dazu schuf die Partei eine Grenze,

"an der nach dem Abschluss der Heeresrefom zur Mitte des Jahres 1971 zu jedem gegebenen Zeitpunkt mindestens 13.000 Soldaten ihren zumeist unfreiwilligen Dienst absolvierten."

Cover: "Hinter der Mauer" von Axel KlausmeierDer dafür notwendige Aufwand war alleine schon in finanzieller Hinsicht immens, wie man dem Verteidigungshaushalt aus den frühen 60er Jahren entnehmen kann. Er stieg 1961 um mehr als 30 Prozent an, und ein Jahr später nochmals um knapp 25 Prozent, was in erster Linie durch den Mauerbau zu erklären sein dürfte.

Mitte der 60er Jahre beginnt die Realisierung eines ehrgeizigen und notwendigen Kasernenneubauprogramms. Bis dahin erfolgte die Unterbringung der Offiziere und Soldaten der Grenztruppen unter teilweise katastrophalen Bedingungen.

"Die Offiziere liegen in einer Steinbaracke, deren jetziger Zustand negative Stimmungen auslöst, wobei stellenweise die tragenden Außenwände auf die nicht ausgerodeten Baumstubben aufgesetzt waren.

Die Außenwände waren nur 24 cm dick und mit geringem Wärmedämmwert. Die Steinbaracken waren unverputzt; wegen der schlechten Gründung wiesen 1971 alle Gebäude Risse und aufsteigende Feuchtigkeit auf."


Ein Neubauprogramm war also dringend notwendig, wird aber zunächst aufgeschoben.

"Nach der Abriegelung der Sektorengrenze im August 1961 schien es zunächst eine gewisse Unsicherheit über das weitere militärische Procedere und über investive Maßnahmen gegeben zu haben, denn die vorbereitenden Bemühungen zur Einrichtung der großen Regimentsstandorte für die neuformierten Einheiten der Grenztruppen ließen noch rund 2 Jahre auf sich warten."

Axel Klausmeier spricht von einer

"Findungsphase",

in welcher zunächst die Grenztruppen komplett neu organisiert und in die Armee der DDR, in die Nationale Volksarmee (NVA) eingeordnet werden. Endlich beschlossen, kommen die Standortinvestitionen aber nicht um jene Planungsbürokratie herum, welche den sozialistischen Staat kennzeichnete.

"Die Einbettung der einzelnen Bauvorhaben in die jeweiligen Pläne folgte einem komplizierten System von Beantragung, Vorentscheiden und Genehmigungen, die einen jahrelangen Vorlauf für sämtliche Bauvorhaben nach sich zogen."

Entworfen und errichtet wurden die Kasernen in der getypten industrialisierten Plattenbauweise der 60er Jahre, ausdrücklich jeglicher individuellen Baugestaltung abhold und dem "Prinzip der radikalen Standardisierung" folgend. Wie die ostdeutschen Neubaustädte bildeten sie eintönige, langweilige und triste Gebäudelandschaften.

"Normiert waren auch Vorschriften zur Ausgestaltung von Kasernen mit Kunst."

Dass die militärischen Kulturlandschaften zwar neu, aber nicht modern und durchdacht gebaut wurden, belegt der "katastrophale Zustand des Wassernetzes", wie es in einem internen Bericht über einen der Tanklagerstandorte heißt.

"Das gesamte ungereinigte Abwasser wird in eine örtliche Erdsenke abgeleitet."

Und so wundert es nicht, dass sich Soldaten und Offiziere ungezählte Male über ihre Wohnungen beschweren. Bereits nach einem Vierteljahrhundert war die militärische Infrastruktur der Grenztruppen der DDR marode. Klausmeier bilanziert:

"Der überwiegende Teil sämtlicher für den Betrieb der Grenze notwendigen Anlagen befand sich im Jahre 1989 in einem schlechten baulichen Zustand. Die rund 25-jährigen Anlagen wiesen durch schlechte Materialien, die durchgehend intensive Übernutzung sowie die aus der einstigen schnellen Einrichtung resultierenden Mängel erheblichen Sanierungsbedarf auf."

So gesehen, war die friedliche Revolution mit der anschließenden deutschen Einheit auch für die Grenztruppen in einem mehrdeutigen Sinne eine Erlösung. Fragt sich, ob sich auch die Soldaten, die ganz normalen Wehrdienstleistenden erlöst fühlten, die Fluchtversuche ihrer Kumpel zu vereiteln hatten.

Die wenigen, noch nicht zerfallenen militärischen Anlagen erzählen davon. Doch nur derjenige, der ihre Sprache versteht, wird auch hören können, wie furchtbar das war, was sie hier erlebt haben. Um zu zeigen, wie sehr es den ehemals hier Kasernierten heute noch die Sprache verschlägt, zitiert Axel Klausmeier aus dem Buch "In Zeiten des abnehmenden Lichts" von Eugen Ruge:

"Alexander schwieg. Er schwieg den ganzen Rückweg über, schwieg eisern und nahm sich fest vor, kein einziges Wort mehr zu sagen."