Wo der Atommüll lagert

Von Michael Watzke, Nadine Lindner, Alexander Budde · 14.10.2013
Nach einer Bestandsaufnahme von Umweltschützern gibt es in Deutschland eine ganze Reihe von Orten, an denen radioaktive Abfälle vorhanden sind. Es ist die Rede von rund 90 Orten: Unsere Korrespondenten haben sich in Bayern, Niedersachsen und Sachsen umgeschaut.
Gundremmingen von Michael Watzke

Deutschlands größtes atomares Zwischenlager sieht von weitem aus wie eine Turnhalle. Wer will, kann sich dem weißen Gebäude auf dem Gelände des Kernkraftwerks Gundremmingen bis auf 70 Meter Abstand nähern. Dann steht man vor einem Stahlgitterzaun. Nach zehn Minuten kommen uniformierte Sicherheitsleute und notieren das Autokennzeichen, sagt der Augsburger Anti-Atom-Aktivist Raimund Kamm:

"Die haben einen Werkschutz, der ist für die Sicherheit zuständig. Nachdem es vor einigen Jahren Hinweise gegeben hatte, dass die Bedrohungslage wesentlich größer ist, als man bisher zugegeben hat, haben sie den Werkschutz verstärkt und mit der Polizei Regelungen ausgemacht, dass die sehr schnell am AKW sein muss."

Hinter den Wänden der Halle stehen 41 blaue Castorbehälter des Typs V-52. Sie sehen von außen wie Getreidesilos aus. Jeder ist knapp sechs Meter hoch und birgt 52 verbrauchte Brennstäbe, also rund zehn Tonnen hoch radioaktiven Abfalls. Die Stahlwände der Castoren sind meterdick, die Hallenwände dagegen sind aus Wellblech. Sie dienen lediglich als Sicht- und Wetterschutz.

"Die Hallen sind nicht als Bunker gebaut, weil man gesagt hat: wenn eine solche Halle mal, aus welchen Gründen auch immer, zusammenbricht - Unfall, Bauschaden, Anschlag - und es fallen dann die Trümmer auf die Castoren, dann ist, wenn diese Halle sehr massiv gebaut ist, die weitere Luftkühlung der Castoren nicht mehr gewährleistet. Und die ist existenziell wichtig."

Denn der strahlende Atommüll im Innern der Castoren entwickelt Wärme, die abgeleitet werden muss. Sonst erhitzen sich die Castoren zu stark. Erhitzt ist auch AKW-Anwohnerin Barbara Günther:

"Dieses Zwischenlager ist ja nicht gesichert. Diese Castoren sind da in einer Scheune, quasi. Sie sind nicht gesichert gegen Flugzeugabstürze, sie sind nicht gesichert gegen jede Form terroristischer Angriffe."

In den letzten Monaten hat es am Gelände des Zwischenlagers Gundremmingen bei Augsburg Bauarbeiten gegeben. Die Betreibergesellschaft des Kraftwerks äußert sich dazu nicht, dafür aber Wolfgang Mayer, der Bürgermeister der Gemeinde Gundremmingen.

"Die Baustraße ist hergerichtet worden. Wir hoffen, dass es noch dieses Jahr beginnt. Aber es fehlt noch die Baugenehmigung."

Betriebsgenehmigung für Gundremmingen endet 2046
Die Baugenehmigung für eine zehn Meter hohe und einen Meter dicke Stahlbeton-Mauer, die in Zukunft die Castoren schützen soll. Das sieht eine Auflage des Bundesamtes für Strahlenschutz vor. Bürgermeister Mayer fragt sich allerdings, warum die Barriere nur an zwei von vier Seiten der Halle gebaut werden soll. Aus Sicherheitsgründen, erklärt das Umweltministerium knapp. Aber das überzeugt Wolfgang Mayer nicht. Überhaupt findet der Kommunalpolitiker der Freien Wähler, dass die Kommunikation mit den Kraftwerksbetreibern und der Landes- und Bundespolitik verbesserungswürdig sei.

"Was uns in der Bevölkerung - und auch mich persönlich - irritiert, ist die Tatsache, dass durch die neue Endlager-Standortsuche, mit dem neuen Gesetz vom Altmaier, hier in meinen Augen das ganze auf den St. Nimmerleinstag verschoben wird. Wir wissen nicht, ob das Zwischenlager wirklich 40 Jahre nach der ersten Inbetriebnahme geleert wird."

Die Betriebsgenehmigung für das atomare Zwischenlager Gundremmingen endet im August 2046. Bis dahin könnten bis zu 192 Castoren in der Halle stehen - fast fünfmal so viele wie bisher.

"Wenn hier in der Endlager-Standortsuche nicht bald eine Entscheidung getroffen wird, dann bin ich sicher, dass auch hier der eine oder andere Bürger auf die Barrikaden gehen wird. Weil dann die Zwischenlager zu Mittellagern werden und - ich will's nicht behaupten und hoffe es nicht! - zu entsprechenden Quasi-Endlagern."

Die Betreiber des Kernkraftwerks Gundremmingen, die Energiekonzerne RWE und E.ON, dementieren das. Allerdings lässt sich Ralf Güldner, der Chef von E.ON Kernkraft, mit folgender Aussage zitieren:

"Es besteht durchaus ein gewisses Risiko, dass die Brennelemente, die in den dezentralen Zwischenlagern am Standort eingelagert sind, dort deutlich länger bleiben müssen, als das vorgesehen ist. Auch länger gelagert werden müssen, als die jetzige Genehmigung dieser Zwischenlager es zulässt."

Der meiste Atommüll türmt sich in Gundremmingen auf
Raimund Kamm, der Anti-Atom-Aktivist aus Augsburg, ist jetzt schon sicher, dass es so kommt. Mit einem genehmigten Atommüll-Endlager rechnet der 61-Jährige weder in seinen Lebzeiten noch zu denen seiner Kinder.

"Wir spalten in Deutschland seit etwa 1962 Uran, und dabei entsteht dieser hoch radioaktive Atommüll. Wir haben noch nicht ein einziges Kilo entsorgt. All' dieser Müll, der entsteht, der wurde bei Wiederaufbereitungsanlagen aus Plutonium rausgeholt. Und ansonsten zwischengelagert, zwischengelagert, zwischengelagert."

Und der meiste Atommüll türmt sich mittlerweile in Gundremmingen auf, am Ufer der Donau. Weil hier gleich zwei Kraftwerksblöcke stehen, wie Bayerns Umweltstaatssekretärin Melanie Huml betont. Und weil seit einigen Jahren keine Castortransporte in Wiederaufbereitungsanlagen mehr stattfinden.

"Und wir haben ja den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Der ist ja Beschlusslage. Wir werden ja in Gundremmingen Block B Ende 2017 abschalten, und dann Block C. Für uns hat die Sicherheit oberste Priorität."

Der Atommüll verschwindet damit allerdings nicht. In Gundremmingen kann man das besonders gut am dritten Reaktorblock A beobachten. Den musste der Betreiber bereits 1977 nach einem Totalschaden abschalten. Die Brennstäbe sind längst in Castoren verpackt. Aber das Gebäude steht noch immer, seit 36 Jahren, bestätigt Kraftwerkssprecher Tobias Schmidt.

"Wann wir das Gebäude selbst zurückbauen, das hängt auch davon ab, wann die Bundesregierung das Endlager Schacht Konrad in Betrieb nimmt. Für den zügigen Rückbau der deutschen Kernkraftwerke ist das Endlager Konrad die Voraussetzung."

Wismut von Nadine Lindner

"Also hier haben wir jetzt eine Sichtachse in Richtung Osten. Sagen wir mal knapp viereinhalb fünf Kilometer. Sie sehen also ein schönes malerisches Tal, bunte Laubbäume. Und wenn man genauer hinschaut, sieht man eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs Halden."

Der Leiter des Uranbergbaumuseums von Bad Schlema, Hermann Meinel, steht im Kurpark und deutet mit dem Arm weit ausholend in die Herbstlandschaft. Auf den Anhöhen vor ihm steht das bunte Laub in der fahlen Sonne. Und man muss schon sehr genau hinsehen, um zu erkennen, dass die Hänge der Hügel ein bisschen zu gerade verlaufen, dass die Wege des Bergbaulehrpfads auf ihnen ein bisschen aussehen, wie mit dem Lineal gezogen. Sie sind alle vom Menschen gemacht: Hinterlassenschaften des Uranbergbaus, der diese Gegend um Bad Schlema im Erzgebirge jahrzehntelang zerpflügt hat, bis zum Zweiten Weltkrieg ein renommierter Kurort.

"Diese grüne Wiese war bebaut mit 320 Häusern. Und inmitten der 320 Häuser standen also diese 20 Schachttürme. Und 1948 sind hier 48.000 Bergleute eingefahren zum Arbeiten."

Bad Schlema, kaum ein anderer Ort ist so sehr Symbol für die Zerstörungen, die durch die Suche nach Uran entstanden sind. Tal des Todes wurde er nach der Wiedervereinigung auch genannt. Die Wohnhäuser der Menschen standen eingequetscht zwischen Halden, mitten im Ort war ein riesiger radioaktiver Schlammteich.

Trügerische Winteridylle bei Ronneburg in Ostthüringen - die schneebedeckten Wismut-Spitzkegelhalden, bestehend aus strahlenbelasteten Material, sind kilometerweit zu sehen.
Trügerische Winteridylle bei Ronneburg in Ostthüringen - die schneebedeckten Wismut-Spitzkegelhalden, bestehend aus strahlenbelasteten Material, sind kilometerweit zu sehen.© AP
Der Boden war vollkommen durchlöchert
Heute, mehr als zwanzig Jahre später gibt es erste Erfolge: Dort, wo sich der Kurpark erstreckt, war 1990 Sperrgebiet. Der Boden war vollkommen durchlöchert mit Bergwerksschächten. Organisiert wurde die Sanierung durch die Wismut GmbH. Sie muss sich um Halden, Schlammteiche und Gruben kümmern. Stefan Mann, technischer Geschäftsführer, erklärt anhand der Halden das Arbeitsprinzip:

"Schädliche Auswirkungen auf die Atmosphäre und den Wasserhauhalt zu verhindern, was wir in aller Regel mit einer Abdeckung tun. Das heißt, wir decken die ehemaligen Schüttkegel oder Halden je nachdem mit einem sauberen, sicheren Material ab."

Das strahlende Material ist damit im Berg eingeschlossen. Das muss vor allem wasserfest sein. Regen oder Grundwasser darf die strahlenden Steine nicht erreichen. Zu groß ist sonst die Gefahr, dass es als kontaminiertes Sickerwasser in die Umwelt gelangt.

"Das ist der eine Grund. Der andere Grund, dass wir damit die Ausgasung eines Zerfallsproduktes des Urans minimieren. Indem wir eine Aufdeckung aufbringen und die freie Konvektion des radioaktiven Edelgases weitestgehend verhindern."

Radon dringt als Gas in die Lunge des Menschen ein und zerfällt dort. Die Reststoffe, die dabei entstehen, können Lungenkrebs auslösen.

Ein ähnliches Prinzip wendet die Wismut GmbH auch bei den Teichen an, in denen Schlämme lagerten, die mit Uran und Schwermetallen verseucht waren. Abschirmen gegen das Wasser nach unten und abdecken gegen die Luft nach oben.

"Die Materialien, mit denen wir zu tun haben, werden noch ein paar Millionen Jahren strahlen. Weil es natürliche Stoffe sind. Das Ziel jeglicher Sanierung ist ja, dass nix eingezäuntes mehr übrig bleibt. Wir wollen ja die Flächen für die Bevölkerung wieder bereitstellen."

Uran für die Waffenproduktion
Erklärt Frank Wolf, ebenfalls von der Wismut GmbH. Die Wismut: ein riesiger Betrieb, der sich zu DDR-Zeiten über das Gebiet erstreckte, das heute Westsachsen und Ost-Thüringen ist. Schlema, Crossen, Ronneburg. 1990 haben hier noch fast 30.000 Menschen gearbeitet. Gut bezahlt, aber großen Gesundheitsgefahren ausgesetzt. Das einzige Ziel: Abbau von Uran für die Waffenproduktion der UdSSR. Die DDR war der viertgrößte Uranproduzent weltweit.

"Die abgelieferte Menge Uran waren 231.000 Tonnen. Das ist eine gigantische Menge. Ich weiß nicht, wie viele Hunderttausend Atombomben man daraus bauen kann oder wie viele Kernstäbe."

Und auch der Betriebsname Wismut, der eigentlich ein chemisches Element bezeichnet, war ganz bewusst gewählt:

"Der Name Wismut ist nach dem Zweiten Weltkrieg definiert worden. Und man muss es eher als Tarnbezeichnung betrachten."

Die Wismut GmbH untersteht als staatseigener Betrieb direkt dem Bundeswirtschaftsministerium. Ihr einziger Zweck: Sanierung der Schäden in Sachsen und Thüringen. Und die Schäden waren immens: 48 Halden, 160 Millionen Kubikmeter giftige Schlämme an mehreren Standorten. Ein aufwendiges Projekt, für das insgesamt sieben Milliarden Euro aus Bundesmitteln bereitstehen.

"In den nächsten zehn Jahren wird die Kernsanierung abgeschlossen sein. Also alle Halden abgedeckt, alle Wasseraufbereitungsanlagen angelegt."

Nun geht es daran, die Halden und Teiche langfristig zu überprüfen. An vielen Stellen in Bad Schlema finden sich kleine Messstationen für Statik, Luft und Wasser.

Das Ministerium für Umwelt- und Landwirtschaft in Dresden bestätigt die Erfolge der Sanierung. Stefanie Hurst ist dort für den Bereich natürliche Radioaktivität zuständig und verfolgt regelmäßig die Messwerte:

"Wir sind weitestgehend bei einem geogenen Hintergrund schon seit einiger Zeit. Das heißt also die Bevölkerung hat keine höhere Belastungen als anderswo in Deutschland."

Nicht nur wegen des Umfangs war die Sanierung des Uranbergbaus ein Sonderfall, wie Stefanie Hurst erklärt. Auch rechtlich gab es hier einige ganz besondere Entwicklungen:

"1990 gab es im Atomgesetz und in der wichtigsten Verordnung des Atomgesetzes für diese Sachverhalte Strahlenschutzverordnung keine Regelung zur Hinterlassenschaft aus dem Uranbergbau. Deshalb hat man sich angeschaut, was man im damals gültigen DDR-Recht Hilfreiches dazu zu finden war."

Man musste schnell handeln. Also hat man sich kurzerhand der DDR-Gesetze bedient. Einige DDR-Regelungen gelten sogar bis heute.

Noch einmal zurück zu Hermann Meinel in den neuen Kurpark von Bad Schlema. Mit der Sanierung gelang dem 5.000 Einwohner zählenden Ort nicht nur unter ökologischen Aspekten eine Wiedergeburt. Durch die nach Jahrzehnten wieder aufgenommene Kurtradition mit radonhaltigem Heilwasser, erhofft man sich in der strukturschwachen Region auch wirtschaftlich eine bessere Zukunft:

"Durch das Kurbad haben wir 400 Arbeitsplätze. Mittelbar und unmittelbar. Wo für viele Leute eine neue Perspektive geschaffen worden ist."

Gorleben von Alexander Budde

Marianne Fritzen, ein Urgestein der Protestbewegung. Die Veteranin ist Jahrgang 1924. Im Widerstand seien sie alle miteinander gereift, ist sie überzeugt: Nachbarn, Familien - über Generationen hinweg.

"Es hat viel Arbeit gebracht. Es hat sehr viel auch Ärger gebracht. Es hat aber sehr, sehr viel Gutes gebracht. Wir mussten uns mit Sachen beschäftigen, was wir sonst nie gemacht hätten. Es hat uns geistig auch sehr bereichert. Es hat uns auch menschlich sehr bereichert. Es ist ja nicht alles auf unserem eigenen Mist gewachsen: Wir haben aus England gelernt, wir haben aus Amerika gelernt, wir haben sogar aus Japan gelernt. Und genauso haben natürlich die nachwachsenden Generationen an anderen Standorten auch von Gorleben gelernt: dass man den langen Atem haben muss!"

Transportbehälter mit hoch radioaktiven Abfällen, darunter auch Castor-Behälter, stehen in Gorleben im Transportbehälterlager.
Transportbehälter mit hoch radioaktiven Abfällen, darunter auch Castor-Behälter, stehen in Gorleben im Transportbehälterlager.© AP
Die Protestfahne flattert im Wind
Sein Hut sitzt tief in der Stirn, seine kleine Protestfahne mit der Sonne der Anti-Atom-Bewegung flattert im Wind: Gerhard Has schreitet energisch voran. Nur eine Handvoll Aufrechte haben sich an diesem Morgen zum traditionellen Spaziergang aufgemacht. Im Schatten einer haushohen Betonmauer führt ein Schotterweg einmal um die Atomanalgen herum. Jenseits des Bollwerks lugen Bedienstete der Wach- und Schließgesellschaft argwöhnisch durch den Stacheldraht.

"Wir gucken jetzt seit bald vier Jahren sonntags mal um den Schwarzbau herum und gucken, ob sie schon angefangen haben mit dem Rückbau. Leider noch nicht! Und dann sind wir mal mehr und mal weniger. Aber wir lassen sie nicht ohne Kontrolle."

Hier im Landkreis Lüchow-Dannenberg, einer strukturschwachen Region im Osten Niedersachsens, sollte vor bald vier Jahrzehnten ein nukleares Entsorgungszentrum der Superlative entstehen - komplett mit Brennelementefabrik, Wiederaufbereitungsanlage und Endlager. Die heute wahnwitzig anmutenden Atompläne der damaligen niedersächsischen Landesregierung unter Ernst Albrecht (CDU) ließen sich gegen den auflodernden Widerstand der Bevölkerung nicht durchsetzen.

An den Plänen für ein Zwischen- und Endlager hielt man dennoch fest. Heute zieht sich ein sieben Kilometer langes Stollensystem durch den Salzstock Gorleben. Ein paar Hundert Meter entfernt stehen - streng bewacht - in einer oberirdischen Halle bereits 113 sogenannte Castorenstahlbehälter mit radioaktivem Müll. Erblasten, die Gerhard Has keine Ruhe lassen, allein schon, weil er gleich um die Ecke wohnt.

"Ich habe es nicht produziert, das Problem. Das waren andere, die hell begeistert waren davon. Und uns irgendwas erzählt haben, dass die Stromzähler in den Häusern abgeschafft werden, weil der Atomstrom so billig ist. Aber natürlich bin ich mitverantwortlich dafür, weil ich nun mal in der Gesellschaft lebe. Ich muss aber auch sagen: Ich bin ratlos, wie das gehen soll, diesen höllenlangen Zeitraum strahlenden Abfall so zu verwahren, dass da keine Gefahr von ausgeht."

Gorleben als Drehscheibe für deutschen Atommüll
Im November 2011 rollten wegen der Endlagerdebatte die vorerst letzten Castoren an. Dabei wäre im Zwischenlager noch jede Menge Platz. Und es wird auch weiter gefüllt. Schwach- und mittelradioaktiver Müll etwa aus dem Atomkraftwerk Gronde werde weiterhin in beachtlichen Mengen unangekündigt einmal quer durch Niedersachsen angeliefert, räumte unlängst Landesumweltminister Stefan Wenzel ein. Atomkraftgegner wie Gerhard Has fühlen sich in ihrem alten Verdacht bestätigt, insgeheim werde Gorleben als Drehscheibe und Endlager für deutschen Atommüll zementiert. Zugleich ist die Klärung wesentlicher Details auf die lange Bank geschoben. Etwa, wo genau die letzten 26 Castoren aus den Wiederaufbereitungsanlagen in La Hague und Sellafield für womöglich 40 Jahre und länger zwischengelagert werden sollen.

"Die will doch keiner haben, die Dinger! Und sämtliche dezentralen Zwischenlager an den Atomkraftwerken sind nicht dafür eingerichtet, haben keine Genehmigung dafür. Wir schreiben fest, dass keine Castoren mehr nach Gorleben gehen; das heißt: Wir haben hier keine fünfte Jahreszeit mehr, wo wir bis zu 100.000 Polizisten hier begrüßen dürfen - und auf jeden Fall mehr Demonstranten. Und wahrscheinlich ist die Rechnung, dass damit ja ein Konflikt schon mal stark befriedet ist. Aber ich finde, das ist ein ziemlich oberflächliches Spielchen, bei dem am Ende wieder Gorleben rauskommt."

Nach monatelangem Tauziehen haben sich Bund und Länder, Union, FDP, SPD und Grüne darauf geeinigt, dass die Suche nach einem Endlager für hoch radioaktiven Atommüll von vorne beginnen soll. Die politischen Akteure suggerierten zwar Ergebnisoffenheit, führten tatsächlich aber unbeirrt Regie, dämpft Martin Donath die Erwartungen. Der Vorsitzende der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg fühlt sich getäuscht. So würden etwa nach Parteienproporz auch solche Wissenschaftler in die sogenannte Endlagerkommission zur Ausarbeitung der Suchkriterien berufen, die vom Standort Gorleben felsenfest überzeugt seien und gar keinen Neustart wollten.

Eine ganz andere Diskussion
"Eine unabhängige und auf dem Sachverstand beruhende Debatte sehe anders aus. 35 Jahre lang sind alle Kriterien an diesem Standort entwickelt worden. Und das ist der Ausgangspunkt, auf dem jetzt die Kommission beginnen soll. Die Diskussion wird weiter über Gorleben geführt werden. Aber wir müssen eine ganz andere Diskussion führen. Nämlich die Frage: Wie ist das mit Rückholbarkeit? Wo überall in der Republik liegt und lagert Atommüll rum? Wie lange kann er da liegen. Und was soll eigentlich weiter geschehen? Wie soll der Rückbau von Atomkraftwerken zum Beispiel auch weiter vonstattengehen? Wann fühlen wir uns sicher? Genau das muss öffentlich debattiert werden - und das kann man keinen Fachleuten überlassen."

Der Streit um die Castoren lässt erkennen, dass der größte gesellschaftliche Konflikt der Bundesrepublik noch lange nicht befriedet ist, da gibt sich auch Marianne Fritzen, die Veteranin, keinen Illusionen hin. Sie wirbt gleichwohl dafür, das Momentum zu nutzen, etwa die nun folgenden öffentlichen Sitzungen der Bund-Länder-Kommission kritisch zu begleiten, den Protest nach Berlin zu tragen. Der Widerstand gegen die Atomanlagen wird weiterleben, da ist Marianne Fritzen überzeugt.

"Also ich persönlich bin froh, dass Bewegung wieder hineinkommt, politische Bewegung. Und daraus müssen wir versuchen, das Beste zu machen. "
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