WM 2014

Streiks, Proteste, Korruption

Brasilianische Fußball-Fans vor dem WM-Eröffnungsspiel in São Paulo
Brasilianische Fußball-Fans vor dem WM-Eröffnungsspiel in São Paulo © dpa / picture alliance / Diego Azubel
Von Moritz Küpper · 14.06.2014
Diskussion um die WM-Vergabe nach Katar, Korruption im Weltfußballverband, sowie Proteste der Bevölkerung und nicht fertiggestellte Bauvorhaben. Ist das nicht alles egal, wenn der Ball erst einmal rollt? Moritz Küpper kommentiert.
Das Leben besteht häufig aus Gewohnheiten. Das ist praktisch, weil sich Menschen, aber auch ganze Gesellschaften, so mehr oder weniger unausgesprochen organisieren können und das Zusammenleben so einfacher wird. Wenn hierzulande beispielsweise in einem Kino-Saal das Licht ausgeht, dann verstummen auf einmal alle Unterhaltungen, dann werden in der Regel alle Handys ausgeschaltet - zumindest wird daran erinnert - und nur ab und an gibt es ein Störgeräusch, Popcorn-Rascheln etwa, während von der großen Leinwand epische Bilder ins Dunkel wirken und das Publikum gebannt schaut.
Das Prinzip Fußball
Alle vier Jahr gibt es in Deutschland im Sommer großes Kino: Dann findet die Fußball-Weltmeisterschaft statt. Seit 2006 werden die Leinwände dann nach draußen getragen, Public Viewing heißt das Ganze, das es aber im Grunde genommen schon seit dem ersten deutschen WM-Triumph 1954 gibt. Nur damals stand der Fernseher eben in einer Kneipe, das Bild war schwarz-weiß und aus dem Hintergrund schoss eben Rahn und nicht Podolski.

Wenn der Ball einmal rollt, dann geben Arbeitgeber früher frei, dann werden Klausuren umgelegt, dann verabschieden Politiker ungeliebte Gesetze. Wenn der Ball einmal rollt, dann ist alles andere Geschichte, einfach vergessen. 1954 waren das die Sorgen der Nachkriegszeit, 2006 waren es nur noch die Sorgen um das Abschneiden der deutschen Mannschaft und 2014? Ist letztlich nicht entscheidend. Denn das interessante an diesem Prinzip ist, dass es - ähnlich wie der Fußball selbst - eigentlich überall auf der Welt wirkt. Egal, ob in Europa, Afrika, Australien, Nord- oder eben Südamerika. Wenn der Ball einmal rollt, dann ist alles vergessen.

So lautet auch die Grundlage, auf der sich - spätestens mit der eintretenden Kommerzialisierung im Fußball aus den 70er-Jahren - der Weltfußballverband FIFA bewegt. So ist es möglich, Milliarden-Gewinne abzuschöpfen und gleichzeitig geschröpfte Gastgeber-Länder zu hinterlassen; so ist es möglich, Werte wie Fairness zu predigen und gleichzeitig Diktaturen auszuwählen; und so ist es möglich, dass ein 78-jähriger Schweizer, der seit Jahrzehnten den Weltfußballverband leitet, erneut kandidiert und dies damit begründet, dass er die FIFA erneuern will. Sepp Blatter ist so etwas wie das größte Gewohnheitstier im Fußball.
Sepp Blatter während einer Gala am Redepult
Sepp Blatter© Patrick Seeger, dpa picture-alliance
"Nach-uns-die-Sintflut"-Haltung der FIFA
Doch die Geduld, die dieser Kurs, die diese Person, die dieser Weltverband für seine Existenz benötigt, scheint nun - bei der 20. Auflage der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien - aufs Äußerte strapaziert. Die viel zitierten Schmiergeld-Zahlungen und die Diskussion rund um die Turniervergabe nach Katar 2022, die die englische Zeitung "Sunday Times" nun Woche für Woche durch Veröffentlichungen aus den ihnen zugespielten E-Mails neu befeuert, sorgen beständig und weltweit für neuen Gesprächsstoff. Die auf einmal besorgten Äußerungen der WM-Sponsoren werden mit Sicherheit für Unruhe in der FIFA-Spitze sorgen. Und durch die mahnenden, leer-stehenden Stadien in Südafrika, dem Spielort von vor vier Jahren, und der auch in Brasilien immer deutlicher werdenden "Nach-uns-die-Sintflut"-Haltung der FIFA, muss der Kinofilm in diesem Sommer ein richtiger Blockbuster werden, damit mit dem Eröffnungsspiel mal wieder alles vergessen ist. Damit niemand mehr von dem geradezu grotesken FIFA-Kongress vom Mittwoch dieser Woche spricht.

Natürlich, bisher hat es die FIFA immer geschafft, Probleme kleinzureden, hat es Sepp Blatter, immer wieder geschafft, sich im Amt zu halten und auch das "Wenn der Ball einmal rollt, dann ist alles vergessen"-Prinzip hat verlässlich gegriffen. Natürlich, der Gastgeber hat am Donnerstagabend zumindest das Auftaktspiel gegen Kroatien mit 3:1 gewonnen, doch schon allein das Zustandekommen durch einen mehr als umstrittenen Elfmeter befeuert die ohnehin hartnäckigen Vermutungen, dass der Gastgeber - wie üblich - durch das Turnier gepfiffen werden soll. Denn angesichts der aktuellen Gemengelage braucht die FIFA in diesem WM-Sommer nicht nur einen brasilianischen Auftakt-, sondern vielmehr einen brasilianischen Finalsieg.

Fußball ist schließlich ein Ergebnissport. Dass dieser Satz wahr ist, könnte sich in Brasilien, bei dieser Weltmeisterschaft im doppelten Sinne bestätigen. Im Stadion - aber vor allem auch daneben.
Der erste Treffer bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien: Ein Eigentor des brasilanischen Verteidigers Marcelo im Spiel gegen Kroatien (3:1).
Der erste Treffer bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien: Ein Eigentor des brasilanischen Verteidigers Marcelo im Spiel gegen Kroatien (3:1).© picture alliance / dpa / Maxppp
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