Wladimir Putin

Der Mann, der eine Parallelwelt erfindet

Journalisten während der Jahrespressekonferenz des russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Journalisten während der Jahrespressekonferenz des russischen Präsidenten Wladimir Putin. © picture alliance / dpa / Mikhail Japaridze
Von Thomas Franke · 18.12.2015
Am Donnerstag hat im Kreml wieder die Jahrespressekonferenz des russischen Präsidenten stattgefunden. Dabei erläuterte Wladmir Putin mehr als 1000 Journalisten seine Weltsicht. Thomas Franke hatte Mühe, zwischen Wirklichkeit und Fiktion zu unterscheiden.
Es ist ein Ritual. Es wirkt modern, doch unter der Oberfläche ist es zutiefst rückwärtsgewandt. Präsident Putins Macht geht weit über die der Generalsekretäre der Sowjetunion hinaus. Und um die zu festigen, entwirft er eine Welt, die ihm gefällt - oder nützt. Willkommen in Putins Paralleluniversum – bei der Inszenierung "Jahrespressekonferenz des Kreml".
Die dazu geladene internationale Öffentlichkeit wird Zeuge, wie tief die Sowjetunion noch in der Gesellschaft verwurzelt ist. "Vladimir Vladimirovitsch. Ich überbringe Ihnen die herzlichsten Grüße der Veteranen aus Sibirien." Da freute sich Herrscher Putin und trug seinerseits auf, den Veteranen im tiefen Osten die besten Wünsche zum Jahreswechsel auszurichten.
Absurd? Keinesfalls. Die anwesenden Mediengesandten klatschten ernst und begeistert. In den Jahren davor wurden auch schon Ernteerfolge verkündet. Kennt man alles aus der Sowjetunion. Erschreckend ist nur, dass die russische Öffentlichkeit das nicht skandalös findet.
Medien dienen den Mächtigen
Fast gewinnt man den Eindruck, sie sei froh, dass nicht mehr so viele kritische Fragen gestellt werden. Haben die Russen vergessen, wofür sie am Ende der Sowjetunion und in den 90er Jahren auf die Straße gegangen sind?
Pressefreiheit – das ist ein Prinzip aus dem Westen, so der Tenor damals wie heute. Medien dienen immer den Mächtigen. Und Einigkeit macht stark. Viele Medienvertreter in Moskau begreifen sich denn auch als Gesandte, die aus ihrer Region zur Macht in die Hauptstadt geschickt wurden, die das Verkündete nach Hause transportieren und so den Kreml unterstützen.
Putins Parallelwelt ist zutiefst patriotisch und paranoid. Da arbeiten alle zum Wohle des Vaterlands und gegen die immer mehr werdenden Feinde von außen. Und damit alle Patrioten motiviert bleiben, gratuliert Putin während der Pressekonferenz den Ingenieuren.
Die geschlossene Gesellschaft der Sowjetunion tauschte er gegen ein geschlossenes Gedankengebilde ein, das selbst informierte Betrachter an sich zweifeln lässt. Sepp Blatter ist da ein ehrenwerter Mann, dem der Friedensnobelpreis gebührt.
Außerdem ist Russland unschuldig an den Konflikten mit den Nachbarn Georgien und der Ukraine. Oder nach dem Abschuss des Kampffliegers durch türkische Militärs verkündete das Außenministerium, russische Touristen sollten die Türkei verlassen, dort sei es zu gefährlich. Der Stuss bleibt in Russland weitgehend unwidersprochen.
Aussagen halten der Prüfung nicht stand
Das Großmachtgehabe nicht nur gegenüber der Türkei gehört ebenso zur Putinschen Parallelwelt. Über Nacht wurde Präsident Erdogan vom besten Kumpel zum Förderer des internationalen Terrorismus. Und Moskau stilisiert sich als die Kraft, die entschlossen gegen den selbsternannten Islamischen Staat vorgeht. Zahlreiche Quellen deuten aber darauf hin, dass Russlands Soldaten in Syrien offensichtlich nicht allein gegen den IS kämpfen, sondern für den Diktator Assad.
Weiter geht es in dieser Parallelwelt: Russland habe die Krise überwunden, verkündet Wladimir Putin, und Investoren würden sich dem Land zuwenden. Viele seiner Aussagen halten ernsthafter Prüfung nicht stand. Manchmal lügt er sogar. Nichts hat das besser gezeigt als die Mär von den "freundlichen Menschen", die über Nacht die Krim besetzt haben. Das seien keine russischen Soldaten, die er da später mit einem Orden auszeichnete.
Die alljährliche Pressekonferenz ist ein Ritual, das dazu dient, Tatsachen zu verdrehen und solange zu wiederholen, bis sie als Realität angesehen werden - zumindest in den Köpfen eines erschreckend willfährigen Publikums im Inland, aber auch im Ausland.
Rituale und Reflexe aus Zeiten der Sowjetunion sind das Fundament von Putins Parallelwelt. Das muss man im Hinterkopf haben, wenn man sich wundert über die Gepflogenheiten in Russland im Jahr 2015.

Thomas Franke studierte Politologie, Geschichte sowie Soziologie. Seit dem Jahr 1989 arbeitet er als freiberuflicher Journalist. Franke ist Mitbegründer des Büros "texte und toene" und hat sich bei seiner Arbeit auf Themen aus Ost- und Südosteuropa spezialisiert. Seit 2012 lebt er ständig in Russland und berichtet für Deutschlandradio, die Programme der ARD sowie für die BBC in London.

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