Wissenschaftsbetrieb

Gefangen in einem Geflecht von Abhängigkeiten

Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) steht am 30.01.2013 vor Beginn der Kabinettssitzung in Berlin an ihrem Platz.
Ex-Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) © picture alliance / dpa / Foto: Michael Kappeler
Von Jochen Stöckmann · 02.08.2014
Die Hochschulen buhlen jährlich um Fördergelder in Millionenhöhe. Wer da gute Kontakte und Netzwerke hat, ist oft im Vorteil. Ex-Bildungsministerin Annette Schavan verteilte in ihrer Funktion einst viel Geld an die Universitäten. Das zeigt heute noch Wirkung.
Wer selber viel auf Achse ist, kennt Klatsch und Tratsch aus dem Wissenschaftsbetrieb. Entlastende Anekdoten gestresster Jungakademiker, aufgeschnappt im ICE zwischen Halbtagsstellen, Wohnort und der nächsten Bewerbungsrunde. Aber hin und wieder kristallisiert sich daraus ein Lehrstück, eine reelle, runde Geschichte über die vorgeblich so unabhängige Wissenschaft. Tatsächlich ist sie längst zum Betrieb herabgesunken, gefangen in einem Geflecht von Abhängigkeiten – denn am Ende dreht sich alles nur ums Geld, um Fördermittel für Forschungsprojekte, Lehrstühle und vor allem die millionenschweren Exzellenzcluster.
Versuchte Einflussnahme von Wissenschaftsfunktionären
Verantwortlich für solche Etats war an entscheidender Stelle Annette Schavan, damals noch Frau Dr. Schavan. Und daraus erklärt sich wohl, warum ihr "Fall" – die Aberkennung des Doktortitels – nicht nur viel Aufsehen erregte, sondern allerlei Winkelzüge, Intrigen und ebenso pathetisch wie tatsachenwidrig formulierte Ergebenheitsadressen allerhöchster akademischer Kreise nach sich zog. Nun wird in einem Abschlussbericht des Dekans der Philosophischen Fakultät en Detail aufgelistet, wie hochrangige Wissenschaftsfunktionäre versucht haben, das Aberkennungsverfahren zu beeinflussen oder sogar von vornherein zu verhindern.
Die simple Lesart des eher mentalitäts- denn ideengeschichtlichen Dokuments könnte lauten: Wenn es all den Magnifizenzen und Spektabilitäten tatsächlich um ein Ethos der Wissenschaft, um Freiheit und Unabhängigkeit der Universitäten zu tun war, dann hätten sie ihr nun über die Hintertreppe aufgebrachtes Engagement vor einigen Jahren bereits öffentlich demonstrieren müssen: Damals gab es kaum Resonanz auf eine Initiative, die massenhafte Aberkennung von Doktortiteln jüdischer Wissenschaftler durch die NS-Bürokratie rückgängig zu machen.
Der Skandal fängt an, wenn der Wissenschaftsbetrieb ihm ein Ende bereitet
Wer es sich so einfach macht, verpasst allerdings die Moral dieser Sittenfabel. Mit Karl Kraus gesagt: Der Skandal fängt an, wenn der Wissenschaftsbetrieb ihm ein Ende bereitet. Da erbost sich etwa ein Professor, dass sich jetzt schon "Gott und die Welt" – auf gut deutsch: Krethi und Plethi – "berufen fühlen, Rufschädigungen der CDU-Politikerin für bare Münze zu halten und zu übertreffen". Ebenso ermahnt der Fundamentaltheologe die "nicht akademisch Gebildeten", nämlich "Politiker, Journalisten et cetera". Und so wird gegen seine Intention kenntlich, dass auch er den verbissenen Kampf um den Doktorgrad der Annette Schavan im Namen einer höheren Instanz führt: Es geht um die Bewahrung des akademischen Titels als einer Bastion gegen das, was gemeinhin "Öffentlichkeit" heißt – und im politischen Alltag als "vierte", nämlich kontrollierende Gewalt für Transparenz sorgen soll.
Genau das wird nun möglich durch das im Internet veröffentlichte Dossier der Düsseldorfer Universität. Briefe von Stiftungspräsidenten an Uni-Rektoren, E-Mails von Senatoren oder Generalsekretären, sonderbar "halbamtliche" Schreiben sind einfach nur als Zitate aneinandergereiht. Aber genau damit stellt sich die Schavan-Connection nun selbst an den Pranger – und zwar in aller Öffentlichkeit. Die Lektüre lohnt sich, wie übrigens auch bei Projektanträgen oder der nun leider nicht gehaltenen Rede von Bundestagspräsident Norbert Lammert zum 50-jährigen Jubiläum der Düsseldorfer Uni. All das ist eine Literaturkritik wert oder eine soziologische Analyse. Denn die Wissenschaft, sie ist so frei.
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