Wissenschaft

Risse im Hirn

Eine Frau betrachtet eine Magnetresonanztomographie-Aufnahme (MRT) eines menschlichen Gehirns.
Eine Magnetresonanztomographie-Aufnahme (MRT) eines menschlichen Gehirns © AFP / Foto: Miguel Medina
Von Volkart Wildermuth  · 26.09.2014
Viel, was wir über das menschliche Gehirn wissen, sei Quatsch, sagt zumindest der Neurobiologe Henning Beck in "Hirnrissig". So sei es ein Mythos, dass weibliche und männliche Gehirne verschieden denken. Mit seinem Buch kommen allerdings weitere Behauptungen dazu.
Wir nutzen nur zehn Prozent unseres Gehirns, ist eine oft wiederholte Behauptung. Und so gehen Scientologen mit dem Versprechen auf Menschenfang, die restlichen 90 Prozent freizusetzen. Auch der aktuelle Blockbuster "Lucy" mit Scarlett Johansson in der Hauptrolle malt aus, wie ein Leben mit voller Neuronenleistung aussehen könnte. Es gibt aber ein Problem, schreibt Henning Beck: Die Sache mit den zehn Prozent ist ein Neuromythos - eine Aussagen über das Gehirn, die zwar gut klingt, aber nicht stimmt.
Wie unser Hirn wirklich tickt
In seinem Buch "Hirnrissig" nimmt der Hirnforscher das Denkorgan vor allen in Schutz, die aus Einzelbefunden gleich weitreichende Theorien ableiten. Und dazu gehören durchaus auch seine Forscherkollegen. Munter wiederlegt er so "Die 20,5 größten Neuromythen" und verspricht im Untertitel gleich auch noch, zu erklären " wie unser Gehirn wirklich tickt". Und so lernt man, dass an Aussagen wie "Links die Logik, rechts die Kunst", "Weibliche und männliche Gehirne denken verschieden" und "Spiegelneuronen erklären unser Sozialverhalten" genauso wenig dran ist, wie an der Theorie der unterschiedlichen Lerntypen.
In vielen Schulen werden die Kinder getestet und dann in visuelle, auditive oder motorische Lerner eingeteilt. Klingt gut, passt auch irgendwie zu den eigenen Erfahrungen, aber in objektiven Tests zeigt sich: Es gibt keine relevanten Unterschiede. Ein angeblich auditiver Typ lernt mit Bildern genauso gut oder schlecht, wie ein visueller. Und bei allen Kindern bleibt am meisten hängen, wenn beim Lernen möglichst viele unterschiedliche Sinneskanäle angesprochen werden. Nur dann, so erklärt Hennig Beck, entsteht eine weit vernetzte Gedächtnisspur, die sich später leichter aktivieren lässt.
Lesespaß mit schalem Beigeschmack
Nach dem Boom von Büchern über die Wunder des Gehirns ist es offenbar Zeit für Bücher, die gegen die Deutungshoheit der Hirnwissenschaftler anschreiben. Den Anfang machte Felix Hasler, der allerdings sehr wissenschaftlich technisch argumentierte. Henning Beck, immerhin Deutscher Science Slam Meister von 2012, schlägt dagegen einen leichten Plauderton an, wenn er die vermeintliche Gewissheiten der Hirnforschung demontiert. Das liest sich über weiten Strecken gut weg, auf Dauer aber bleibt ein schaler Eindruck zurück:
Denn obwohl Beck immer wieder betont, dass das Denkorgan selbst so komplex ist, dass es sich nicht in das Korsett simpler Mythen pressen lässt, liefert auch er nur eine recht beliebige Auswahl an Fakten zu den kleinen grauen Zellen, die übrigens weder klein noch grau sind, wie Neuromythos Nummer elf deutlich macht. Da wäre ein eigener Standpunkt, zumal als Forscher, wünschenswert gewesen. Unterm Strich bietet Henning Beck mit ´"Hirnrissig" einen unterhaltsamen Grundkurs in Sachen übertriebenen Behauptungen von Seiten der Neurowissenschaften. Nicht mehr und nicht weniger.

Henning Beck: Hirnrissig. Die 20,5 größten Neuromythen und wie unser Gehirn wirklich tickt
Hanser Verlag, München 2014
272 Seiten, 16,90 Euro