Wissen und Eigentum

Von Guido Graf · 20.05.2009
Immer mehr Werke aus Literatur, Wissenschaft und Kunst sind im Internet kostenlos zugänglich. Den Nutzer freut es, die Autoren, Forscher und Künstler ärgert es meist. Denn ihre Rechte am geistigen Eigentum werden verletzt. Entstanden sind sie vor mehr als 200 Jahren aus Not. Die Bedingungen, unter denen geistige Produkte wie materielle gehandelt werden, regelt das Urheberrecht. In jüngster Zeit erscheint es manchen als lästiges Hindernis.
Reuß: "Wenn sie in einen Supermarkt gehen, dann gibt es dort ein großes Warenangebot und wenn sie sich jetzt nicht den Magen verdorben haben, finden sie eigentlich mehr oder weniger jeden zweiten Artikel in der Lebensmittelabteilung genießenswert und interessant und sie würden ihn am liebsten gleich mitnehmen. Sie sind aber gezwungen, sich an die Regeln zu halten, dass das, was andere Leute produziert haben, eben von ihnen auf die irgendeine Art und Weise bezahlt werden muss. Was gar nicht geht, ist, dass sie in den Supermarkt reingehen und sich die Sachen einfach mitnehmen. Dann kommt die Polizei. Und das, was in diesem ganz einfachen Bereich materieller Güter gilt, muss auch durchgesetzt werden für den Bereich geistiger Güter."

Seeliger: "Google scannt Bücher von Autoren und fragt die Autoren vorher nicht, sondern sie scannen sie und sagen, okay, Autor, wenn du das jetzt nicht willst, dass dieses Buch in unseren Suchergebnissen erscheint, dann musst du dich aktiv dagegen wehren. Aber genau dasselbe tun die Zeitungen auch: Sie stellen Artikel von freien Autoren in ihre Bezahlarchive, an denen sie keine Rechte haben, und warten darauf, dass die Autoren dagegen klagen. Und das tun natürlich nicht viele."

Spielkamp: "Es ist ganz klar, dass Google Fakten geschaffen hat, auf eine Art und Weise wie das nur eine weltweit operierende Firma mit Milliarden Umsätzen machen kann, und dass unter Umständen die Rechte von Autoren und Verlegern dabei einigermaßen unter die Räder kommen. Das ist noch nicht ausgemacht, wie das Ganze ausgeht."

Wer ein Werk geschaffen oder daran die Nutzungsrechte erworben hat, soll geschützt werden. Paragraph § 11 Urheberrechtsgesetz:

"Das Urheberrecht schützt den Urheber in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk und in der Nutzung des Werkes. Es dient zugleich der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Nutzung des Werkes."

Im Mittelalter wurde hauptsächlich in Klöstern geschrieben. Antike und frühchristliche Schriften wurden aufbewahrt, kopiert, studiert, übersetzt und kommentiert. Erst im zwölften Jahrhundert begann bei den Kommentatoren ein Bewusstsein für ihre Rolle als 'Autor' zu wachsen. Das Schreiben, das Aufgeschriebene entwuchs den Klöstern und wurde gegen Geld kopiert und gehandelt. Im 15. Jahrhundert, als die ersten Druckerpressen aufkamen, gab es noch kein Urheberrecht, sondern Privilegien. Privilegien wurden von örtlichen Fürsten befristet an Drucker verliehen und galten nur in dem jeweiligen Fürstentum. Nebenan schon konnte fleißig "raubgedruckt" werden, ohne dass jemand Strafe fürchten musste. Heute sorgt ein Geflecht von Verträgen und Organisationen dafür, dass beispielsweise ein deutsches Musikstück auch in China urheberrechtlich geschützt ist – theoretisch jedenfalls.

Sprang: "Das Urheberrecht ist in der modernen Form entstanden in dem Moment, als sich die Kulturschaffenden, die Kreativen ablösten von den sie bis dahin tragenden Schichten, also Hof, Kirche, Staat waren noch im 16. und 17. Jahrhundert diejenigen, die sich Musiker, Literaten leisteten, auch Schauspieler, und auch denen ihr Auskommen gaben, so dass die mit ihrer Kunst eben wirtschaftlich leben konnten. Und das hat sich im 18. Jahrhundert verändert. Im 18. Jahrhundert ist etwas geschehen, was eigentlich das Urheberrecht ausgelöst hat und was bis heute der Fall ist, nämlich der Künstler, der Kreative ist wirtschaftlich gesehen zum Unternehmer geworden, zum freien Unternehmer, der seine Werke selbst zu Markte tragen muss und der darauf angewiesen ist, für sein Überleben aus seinen Werken die Erträge zu ziehen, um leben zu können und weitere Werke schaffen zu können."

Christian Sprang, Justitiar des Börsenvereins des deutschen Buchhandels. Er betont auch, dass sich seit dem 18. Jahrhundert das, was man als Urheberrecht kennt, beständig weiterentwickelt hat.

Sprang: "Es ist grundsätzlich so, dass Medienbrüche und technische Entwicklungen immer Änderungen des Urheberrechts nach sich ziehen."

Was wir heute als Urheberrecht kennen, geht eigentlich auf Ideen der Französische Revolution zurück: Ein Werk als geistiger und kreativer Ausdruck des Urhebers ist untrennbar mit seiner Person verbunden, daher kann der Urheber seine Rechte an diesem Werk auch nie völlig abgeben. Er kann anderen nur die Lizenz erteilen, sein Werk auf bestimmte Art und Weise zu nutzen.

Reuß: "Im Jahr 1806, als das alte deutsche Reich zusammenbrach, weil es aufgelöst wurde von Napoleon, hatte man in Deutschland einen riesengroßen Bereich kleiner und kleinster Flächenstaaten, jeweils mit einer eigenen Gesetzgebung, jeweils mit sehr speziellen Interessenlagen der regierenden Fürsten. Hier in Baden gab es in Karlsruhe einen der berühmtesten Raubdrucker überhaupt, Schmieder, über den sich Goethe, Klopstock, alle tierisch geärgert haben, der mit Unterstützung des Markgrafen die gesamten Werke der deutschen Klassik druckte, ohne dass die Autoren dafür nur einen einzigen Pfennig Honorar sahen."

Roland Reuß, Leiter des Instituts für Textkritik in Heidelberg.

Reuß: "Im Rahmen des Wiener Kongresses nach dem Zusammenbruch dieses eigentümlichen Konglomerats von Klein- und Kleinststaaten gab es eine Initiative, die letztlich angetrieben wurde von Goethe und die das Ziel hatte, mit dieser Art von rechtsfreiem Zustand in Deutschland ein für allemal aufzuräumen. Goethe hat es tatsächlich durchgesetzt, dass ihm der Kaiser, damals in Österreich, für die Ausgabe letzter Hand ein Privileg einräumte, was auch tatsächlich durchgesetzt wurde. D.h. es war ganz klar, dass in Deutschland niemand diese Ausgabe irregulär nachdrucken kann. Und das war sozusagen das Paradigma, wo abzulesen war, dass, wenn der politische Wille da ist, man auch über die differenten Rechtssysteme, die in den einzelnen Territorien herrschten, tatsächlich eine Art von Domestifikation, also eine Art von Zähmung der frei flottierenden Technik hinbekommt."

Auch das erste Urheberrecht auf deutschem Boden, das seinen Namen verdient, verdankt sich französischem Einfluss. Ohne Napoleons Feldzüge hätte es vermutlich das Badische Landrecht von 1810 nicht gegeben.

"Jede niedergeschriebene Abhandlung ist ursprüngliches Eigenthum dessen, der sie verfaßt hat, wenn er nicht allein aus fremdem Auftrag und für fremden Vortheil sie entwarf, in welchem Falle sie als Eigenthum nach gleichförmigen Grundsätzen festzustellen und zu schützen ist."

30, 50, 70 Jahre. Von 1837 an gelten 30 Jahre Urheberrechtsschutz über die Lebenszeit eines Autors hinaus. 1934 wurde die Frist auf 50 Jahre ausgedehnt, 1965 auf 70 Jahre. Für die Dauer dieser Fristen müssen die Verlage an die Urheber oder ihre Erben Zahlungen leisten. In den letzten Jahrzehnten wurde das Urheberrecht mehrfach angepasst, vor allem an EU-Recht. 2003 dann gab es eine Zäsur.

"Die EU-Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft."

Das Urheberrecht regelt das Verhältnis von Urheber und Verwerter. Lange strichen die Verleger, nicht die Autoren die Gewinne ein. Auch die Versuche das zu ändern sind alt.

"Meine Absicht ist, zu versuchen, ob es möglich sey, dass die Gelehrten durch so eingerichtete Subscriptionen Eigenthümer ihrer Schriften werden. Denn jetzt sind sie es nur dem Scheine nach; die Buchhändler sind die wirklichen Eigenthümer, weil ihnen die Gelehrten ihre Schriften, sollen sie anders gedruckt werden, wohl überlassen müssen. Es wird sich bey diesem Anlasse zeigen, ob man darauf hoffen könne, daß das Publicum den Gelehrten, und diese sich untereinander (von dem letzten weiss ich schon jetzt nicht wenig) dazu beförderlich seyn werden, dass sie zu dem wirklichen Besitze ihres Eigenthums gelangen."

1793 wagte Klopstock diesen Vorstoß. Die Entgegnung des Hamburger Gelehrten Reimarus darauf benennt einen Konflikt, der auch die heutige Diskussion noch bestimmt.

"Wenn ein Mahler ein Gemählde verkauft, kann er es dann noch sein Eigenthum nennen, und denjenigen schelten, der Copeyen davon machen wollte? Wenn einer mit vieler Mühe und Kosten eine nützliche Maschine zu Stande gebracht und verkauft hat, kann er dann wehren, daß ein jeder, der da will, sie nachmache, und wohlfeiler gebe? Hat vor der Erfindung der Buchdruckerey je ein Schriftsteller behauptet, daß keiner von seinem ins Publikum gegebenen Werke eine Abschrift nehmen, sondern ein jeder verbunden seyn sollte, es von ihm selbst, als sein beständiges Eigenthum, zu erhandeln?"

2009: Der Literaturwissenschaftler Roland Reuß ist unter anderem Herausgeber einer Ausgabe der Werke und Briefe Heinrich von Kleists. Als er kürzlich im Internet bei GoogleBooks einen Briefband Kleists vollständig eingescannt sah, beschloss Reuß, eine solche Urheberrechtsverletzung nicht länger hinzunehmen. Er formulierte einen offenen Brief, der im März als "Heidelberger Appell für Publikationsfreiheit und die Wahrung der Urheberrechte" erschienen ist und mittlerweile von über 2000 Menschen unterzeichnet worden ist.

"Das verfassungsmäßig verbürgte Grundrecht von Urhebern auf freie und selbstbestimmte Publikation ist derzeit massiven Angriffen ausgesetzt und nachhaltig bedroht. International wird durch die nach deutschem Recht illegale Veröffentlichung urheberrechtlich geschützter Werke geistiges Eigentum auf Plattformen wie GoogleBooks und YouTube seinen Produzenten in ungeahntem Umfang und ohne strafrechtliche Konsequenzen entwendet. Gleichzeitig propagiert national die "Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen", Mitglieder Wissenschaftsrat, Deutsche Forschungsgemeinschaft, Leibnitzgesellschaft, Max-Planck-Institute u.a. weitreichende Eingriffe in die Presse- und Publikationsfreiheit, deren Folgen grundgesetzwidrig wären. Autoren und Verleger lehnen alle Versuche und Praktiken ab, das für Literatur, Kunst und Wissenschaft fundamentale Urheberrecht, das Grundrecht der Freiheit von Forschung und Lehre sowie die Presse- und Publikationsfreiheit zu untergraben."

Reuß: "Eine der Hauptmotivationen bei unserem Vorstoß, an die Öffentlichkeit zu gehen, war, dass wir versucht haben, die kreativen Bereiche ganz verschiedener Herkunft zusammenzuführen und sie auch in Verbindung zu bringen mit den Verlagen - das sind ja in der Regel nicht die großen Verlage, denn denen ist das ziemlich egal, sondern es sind die mittleren und kleinen Verlage, die unter dieser Situation zu leiden haben –, dass wir die aus der Atomisierung hervorbringen und ihnen zeigen, dass es andere Personen gibt, die durchaus dieselben Probleme haben in der Frage der Publikationsfreiheit, auch in der Frage, autonom Publikationen zu bestimmen. Und ich bin eigentlich ganz sicher, dass der Effekt, den wir jetzt haben - wir haben mittlerweile über 1500 Unterzeichner und es sind sehr namhafte Leute darunter - auch dazu führen wird, dass eine Politisierung in dem Bereich insgesamt gelingt.""

Spielkamp: "Ich glaube wirklich, dass viele denken, wenn da so schlaue Leute unterschrieben haben wie Kehlmann oder Michael Naumann und der Leiter der Gesellschaft für deutsche Sprache und so weiter, dann kann das ja so falsch nicht sein. Die Schwierigkeit ist aber, dass in diesem Appell - und das ist das, was mich daran so ärgert - zwei Dinge ineinander gerührt werden, die nichts miteinander zu tun haben. Und das ist das GoogleBooks-Scanning-Projekt auf der einen Seite und Open Access auf der anderen Seite."

Matthias Spielkamp, Journalist und einer der Gründer und Herausgeber der Website iRights.info im Gespräch auf literaturcafe.de. Seit Jahren informiert Spielkamps mit dem Grimme Online Award 2006 ausgezeichnete Website über das Urheberrecht in der digitalen Welt.

Spielkamp: "Wenn so ein Verleger wie Herr Wolff von Stroemfeld/Roter Stern sagt, dass er nur unter großem persönlichen Einsatz solche Editionen finanzieren kann zum Beispiel wie die von Roland Reuß, dann glaube ich das sofort, dann stimmt das auch. Nur, man darf eben nicht den Unterschied verwischen und sagen, das eine ist genau das gleiche wie das andere. Sondern: Open Access ist eine Notwendigkeit in den Wissenschaften. Dann einfach so populistisch damit umzugehen und zu sagen, GoogleBooks-Scanning-Projekt, das ist böse und schlimm, und deswegen ist gleich auch Open Access böse: das führt halt in die total falsche Richtung und das zerschlägt viel Porzellan, weil die Naturwissenschaften da viel Arbeit und Engagement hineingesteckt haben, um diese Open Access-Bewegung überhaupt erst mal zu erschaffen."

Reuß: "Wenn ich eine 15-, 20-bändige Edition der Werke Wielands, Kafkas oder Kleists vortrage, dann ist die unter den momentanen Bedingungen, wenn die Wissenschaftler es für richtig halten, das auch als Buch - nicht nur, aber eben auch als Buch - zu publizieren, es ausgeschlossen, dass innerhalb eines Jahres der erste, der zweite, der dritte Band einer solchen Ausgabe online geht. Wenn man das fordert, fordert man im Grunde, dass keine Papierausgabe mehr gemacht werden kann, denn es wird kein Verlag so dämlich sein, ein solches Buch zu publizieren."

Für Matthias Spielkamp geht der Vorstoß von Reuß an der Notwendigkeit, die Open Access für die Wissenschaften hat, vollkommen vorbei:

Spielkamp: "In den sogenannten STM-Disziplinen - Science, Technology und Medicine - also nicht unbedingt nur Naturwissenschaft, sondern auch Ingenieurwissenschaften und Medizin ist es so, dass Open Access eine Notwendigkeit war für viele Wissenschaftler aus einem Publikationsmodell herauszukommen, das sie wirklich geknebelt hat. Die Wissenschaftler treten alle exklusiven Nutzungsrechte an Verlage ab. Die Wissenschaftler sind meistens von der öffentlichen Hand finanziert, also durch Steuergeld. Sie treten exklusive Nutzungsrechte ab, d.h. sie können anschließend die Artikel nicht mehr auf ihrer eigenen Website veröffentlichen, sie können sie nicht mehr auf der Institutswebsite veröffentlichen oder in ein so genanntes Open-Access-Repository, also eine Datenbank einspeisen, die dafür gemacht ist. Und deswegen ist die Open-Access-Bewegung aus der Wissenschaft selbst heraus entstanden als eine Möglichkeit, diesem Publikationsmodell zu entgehen, denn was daraus folgt ist, dass die Zeitschriften, in denen die Artikel dann erscheinen, für sehr, sehr hohe Preise, vor allem für Preise, die in den letzten zehn Jahren enorm gestiegen sind, an die Bibliotheken zurück verkauft werden. Das heißt, die öffentliche Hand bezahlt anschließend wieder dafür, dieses Wissen den Forschern zugänglich zu machen, die es selber erschaffen haben. Das ist eine absurde Situation."

Auch wenn in zahlreichen begleitenden Kommentaren zum Heidelberger Appell schwere Geschütze gegen Open Access aufgefahren werden, gegen einen befürchteten Zwang, alle Forschungsergebnisse frei und kostenlos in digitaler Form publizieren zu müssen, geht es hier doch eigentlich um eine tiefe Kluft zwischen den Natur- und den Geisteswissenschaften.

Reuß: "Also ich würde schon sagen, dass ein großes Problem darin liegt, dass die im Wesentlichen in der DFG und Helmholtz-Gemeinschaft versammelten Gremien zu 80, 90 Prozent aus Naturwissenschaftlern bestehen, die ihre Publikationsmodelle für selbstverständlich erachten und dabei übersehen, dass es ganz verschiedene Bereiche der Wissenschaft gibt, die sich davon gar nicht abdecken lassen. Es ist leider so, dass die Naturwissenschaftler sehr häufig jede Sensibilität für Differenz dieser Publikationsform vermissen lassen und auch den Respekt verloren haben gegenüber wissenschaftlichen Leistungen, die andere Branchen der Wissenschaft erbringen."

Spielkamp: "Da gibt es halt die Vermutung, dass, wenn die DFG sagt, die mit öffentlichen Mitteln finanzierten Forschungsergebnisse sollen der Öffentlichkeit auch zugute kommen, dann gleich dieser Popanz aufgebaut wird: wir werden jetzt alle gezwungen, das so zu veröffentlichen. Das liegt in den meisten Fällen auch gar nicht im Interesse der Wissenschaftsorganisationen. Wenn wir so eine Kleist- oder Kafka-Edition nehmen: das kann ja überhaupt nur in Zusammenarbeit mit Verlagen verwirklicht werden. Und die Förderer - ob das nun die Max Planck- oder die Leibnizgesellschaft oder wer auch immer ist - wären ja dumm, wenn sie das zu Bedingungen machen würden, zu denen die Verlage dann nicht mehr mitspielen würden. Das ist ja einfach ne ganz andere Situation als eben in den Naturwissenschaften wo es eine enorme Monopolbildung gibt. Das ist ja bei den geisteswissenschaftlichen Verlagen gar nicht so."

Spielkamp: "Es sind eben Bücher ohne Erlaubnis der Rechteinhaber gescannt worden. Das wäre nach deutschem Urheberrecht ganz klar illegal. Nun ist das in den USA passiert. Da gibt es eine andere Situation, d.h. es ist nicht so klar, dass es nicht rechtmäßig ist. Die Verleger- und Autorenverbände haben dann dagegen geklagt und haben eine Einigung erzielt. Und diese Einigung wird jetzt bindend für alle, die daran beteiligt sind. Wie bindend das für die Deutschen ist, ist nicht ausgemacht, aber alleine die Überlegung, dass es bindend sein könnte für deutsche Verleger, ist natürlich für unser Rechtsempfinden auch ziemlich absurd. Das würde ja bedeuten, dass amerikanisches Recht auf einmal in Deutschland durchsetzbar ist. Nun ist das Urheberrecht aber weltweit harmonisiert, d.h. durch internationale Verträge sehr stark verquickt, und es kann tatsächlich sein, dass das so passieren wird."

Die juristische Einigung der amerikanischen Autoren- und Verlegerverbände mit Google, die unter anderem bescheidene Zahlungen von Google an die Urheber vorsieht, kann auch Auswirkungen auf die Buchbranche in Deutschland haben. Da es in der deutschen Rechtssprechung eine Stellvertreterklage wie in den USA, die für alle, die davon berührt sind, bindend wirkt, nicht gibt, sind Buchhändler, Verleger und nicht zuletzt die Autoren hierzulande verunsichert. Wie soll man, wie kann man reagieren? Welche Auswirkungen hat die Entwicklung auf den Buchmarkt? Christian Sprang, Justitiar des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, also des Interessenverbandes der Buchhändler und Verlage, sieht vor allem anderen die Notwendigkeit, Rechtssicherheit herzustellen.

Sprang: "Grundsätzlich sind wir ganz fest davon überzeugt, dass das Urheberrecht nicht etwa ausgedient hat und ein Auslaufmodell ist und dass es durch die neuen Techniken etwa obsolet geworden ist und man darauf verzichten kann, sondern wir sind der Meinung, dass man das Urheberrecht sogar mehr denn je braucht. Wir sind auch der Meinung, dass all das, was im Internet geschieht, am Ende des Tages nicht die Geschäfte von Autoren und Verlagen bedroht, sondern, wenn man den Rechtsrahmen richtig setzt, dass es dann einen absoluten Zugewinn bringt. D.h. niemandem braucht vor dem Internet Bange zu sein. Kein Urheber muss das und auch kein Verlag, wenn es gelingt, politisch die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Und wenn eben an der Durchsetzung von Urheberrechten das nötige getan wird, dann wird es so sein, wie es eigentlich bei allen technischen Entwicklungen gewesen ist, nämlich: die substituieren zwar teilweise bisherige Absatzwege - es wird sicherlich Bereiche geben, wo man weniger gedruckte Bücher hat und künftig mehr elektronische Inhalte nutzen wird -, aber unter dem Strich wird es insgesamt mehr sein, was genutzt wird."

Rechtssicherheit und vor allem auch Politisierung lauten die Stichworte, auf die auch Roland Reuß immer wieder zu sprechen kommt. Dass es damit allein nicht getan ist, scheint aber auch Sprang bewusst.

Sprang: "Es muss sich weiter entwickeln, wenn wir nicht zurückfallen wollen auf eine Situation, wo man letztlich wieder dahin kommt zu sagen: wir verzichten darauf, dass die Kreativen aus ihren Werken leben, sondern wir schaffen jetzt - das ist das Stichwort Kulturflatrate - so eine Gebühr und dann wird nicht mehr geguckt, was das einzelne Werk wert ist, sondern da werden irgendwelche Klicks gezählt und der Künstler kriegt dann mehr oder weniger den Status des Straßenmusikers, dem man dann vielleicht noch irgendwelche Münzen in den Korb wirft, aber der nicht einen Anspruch darauf hat, dass sein Werk einen bestimmten Wert hat und der dann von dem, der das Werk nutzen will, auch bezahlt wird."

Die gegenwärtige Diskussion um GoogleBooks, Open Access und um das Urheberrecht wird sehr von Mahnern und Warnern bestimmt. Angst- und Drohkulissen werden aufgebaut, so hoch, dass niemand mehr dahinter nachschauen mag, was tatsächlich dran ist. Rüdiger Wischenbart, früher Pressesprecher der Frankfurter Buchmesse, seit vielen Jahren als Berater und Publizist tätig und ein exzellenter Kenner des Buchmarkts, hält die Ursachen dieser Ängste für durchaus hausgemachte Probleme des gesamten Buchmarkts.

Wischenbart: "Wir sehen eine sehr, sehr starke kulturelle Vielfalt im Buch. Wir sehen, dass Bücher im Moment im Umbruch sind, weil aus dem digitalen Bereich neue Dinge sich abzeichnen. Aber ich weiß zum Beispiel von einem amerikanischen Haus, das in ein paar Wochen, wenn die amerikanische Buchmesse ansteht, plant, dort in drei Tagen vorzuführen, wie man von der kurzen Herstellung des Manuskripts - das werden irgendwelchen kurzen Texte sein - über das fertige Buch, aber auch über sämtliche elektronischen Formate das in drei Tagen vorführen kann, dass am Schluss in allen möglichen Formaten, zwischen denen dann die Leserinnen und Leser auswählen können, also auf Papier, aber auch digital, das hergestellt werden kann. Das sind tolle neue Möglichkeiten und da ist natürlich ein Gerangel - über die Risiken, aber auch über die Positionen, wer welche Rolle in diesem neuen Zusammenhang einnehmen wird. Davon lese ich auch wieder sehr wenig in den Zeitungen, sondern ich merke nur mit ganz überzogenen Vergleichen, dass ich als lesender Mensch unter einen Generalverdacht gestellt werde des Urheberrechtsmissbrauchs, der Piraterie, als Autor für das eine oder andere zwangsverpflichtet werden soll - das kann doch am Ende des Tages nur ein Schuss ins eigene Knie sein, wenn man nicht sagt: wir sind eine sehr selbstbewusste, zentrale Kulturindustrie, wir sind eine Schlüsselstelle für die Aufarbeitung und Vermittlung des Wissens. Da braucht man ordentliche Rahmenbedingungen, aber da verhandelt man auf einem hohen Niveau mit dem entsprechenden Selbstbewusstsein. Und genau das geschieht nicht."

Was also tun? Die Herausforderungen sind vielfältig. Vielfach wird dieser Unübersichtlichkeit nun damit begegnet, dass man mit allen Mitteln versucht, den Status quo zu bewahren, sich zu schützen und Mauern zu errichten. Das aber führt über kurz oder lang dazu, dass sich der wissenschaftliche Diskurs verändert, während das Publikationswesen verharrt. Rüdiger Wischenbart erzählt von einer Begegnung mit dem Chef des Londoner Bloomsbury-Verlags, in dem u.a. die Harry-Potter-Originale erschienen sind.

Wischenbart: "Bloomsbury ist nicht nur bei Harry Potter sehr erfolgreich, sondern hat einen Teil dieses Geldes jetzt genommen, um eine Wissenschaftsreihe aufzuziehen. Und diese Wissenschaftsreihe - da geht es wirklich um Hardcore-Wissenschaft in allen möglichen Bereichen -, ist die erste Buchreihe, die nicht unter dem normalen gängigen Urheberrecht, also dem Copyright diese Texte stellt, sondern unter die so genannten Creative Commons stellt. Das hat unter anderem den Aspekt, das vor der Publikation auf Papier, ich glaube, einen Monat lang, diese Texte im Internet komplett frei zum Download zur Verfügung gestellt werden, schlicht als Marketingmaßnahme, als Vorbereitung des Leser- und Käuferpublikums, damit sich das orientieren kann. Und ich habe Richard Charkin, den Verleger gefragt, wie das jetzt läuft, und er hat gelacht und gesagt, wunderbar, weil das so ein klares abgestecktes Feld ist, dass das Risiko, das sie bei diesen kleinen Auflagen eingehen, durch die Online-Stellung minimal ist im Vergleich zur Vermittlungswirkung, zur Werbewirkung, mit der sie hier ihren sehr spezialisierten Leserkreis entwickeln. Aber glauben Sie mir, Bloomsbury als Harry-Potter-Verlag ist weder ein Wolkenkuckucksheim, noch eine Phantastenbude. Die wollen schlicht Geld machen."

Gegenüber dem Urheberrecht würde eine Reihe namhafter Zeitungsverlage liebend gern auch ein so genanntes Leistungsschutzrecht für Druck, Vertrieb und Marketing installieren. Anja Seeliger vom Mediendienst perlentaucher.de:

Seeliger: "Es geht einfach darum, dass die Zeitungen aus eigenem Recht gegen Übernahmen oder auch gegen illegales Kopieren ganzer Artikel vorgehen möchten. Jetzt müssen sie immer noch den Autor fragen, ob der damit einverstanden ist, wenn der seine Rechte nicht abgetreten hat, und sie könnten das dann auch ohne die Einwilligung des Autors."

Offenbar hat die Verunsicherung durch die digitalen Entwicklungen nicht nur den Buch-, sondern auch den Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt ergriffen. Die Wirtschafts- und Finanzkrise tut ihr Übriges hinzu, aber natürlich ist angesichts des enormen Drucks, unter dem die Diskussion um den Umgang mit Rechten im Internet steht, auch die Frage nach den Ursachen für offensichtliche Versäumnisse seitens der Zeitungsverlage zu stellen.

Seeliger: "Das kann man schwer sagen, weil es einen wirklichen Umbruch im Augenblick gibt. Ich glaube, es ist eigentlich eine Revolution. Es ist wie mit dem Buchdruck. Der hat auch vieles geändert. Es gab einen sehr interessanten Aufsatz in einem amerikanischen Blog von Clay Sherky, der hat diesen Vergleich gebracht und auch erklärt, dass in solchen Zeiten manchmal so ist, dass etwas Altes wegfällt und das Neue aber nicht rechtzeitig entsteht. Ein Manager des Wall Street Journals hat zum Beispiel neulich in einem sehr interessanten Interview erklärt, wie man zum Beispiel mit bezahlbarem Inhalt umgehen kann. Er sagte, ihre Politik ist die, dass sie alles, was exklusiv ist, exklusive Meldungen, wirkliche Neuigkeiten: das sind Meldungen, die kann man überhaupt nicht schützen, weil das jeder lesen kann und dann im Internet verbreiten. So was stellen sie frei. Sie stellen alles frei, was die meisten Leser anzieht. Weil sie sagen, das ist gut, das lenkt viele Leute auf unsere Website und wir versuchen das dann durch Anzeigen zu refinanzieren. Aber andere Sachen, die für ein ganz spezielles Publikum sind, für die verlangen wir eine Gebühr."

In Deutschland dagegen wird in erster Linie über Verletzungen des Urheberrechts diskutiert und unhinterfragt vorausgesetzt, dass ein starkes Urheberrecht für die Urheber ein sicheres Einkommen gewährleistet.

Seeliger: "Es geht eigentlich nicht um die Urheberrechte, sondern um die Verwertungsrechte. Urheberrecht klingt immer so vornehm, aber das liegt nur beim Autor. Und es geht eigentlich immer nur um die Frage, wie kann man im Internetzeitalter diese Verwertungsrechte ertragreich machen. Dieses Problem löst man, glaube ich, nicht, indem man die Kunden kujoniert. Das hat die Musikindustrie versucht und ist grandios gescheitert, sondern indem man einfach ausprobiert: was ist möglich, was ist nicht möglich, was nehmen die Leser an, was nehmen sie nicht an, wofür sind sie bereit zu bezahlen und wofür sind sie nicht bereit zu bezahlen. Dieses Ausprobieren sehe ich eigentlich in den deutschen Zeitungen wenig."

Vor ein paar Jahren fragte der Wissenschaftshistoriker George Dyson bei einer Party in der Google-Zentrale im kalifornischen Mountain View einen Mitarbeiter nach dem GoogleBooks-Projekt. "Wir scannen", sagte der Google-Mitarbeiter, "all diese Bücher nicht, damit sie von Menschen gelesen werden, wir scannen sie, damit sie in Zukunft von einer Künstlichen Intelligenz gelesen werden." Beobachtet man die andauernde Diskussion in Deutschland um das Urheberrecht in digitalen Zeiten, scheint es, als hätte bislang niemand wirklich genau solch freimütigen Bekenntnissen zugehört.