Wirtschaftskrise

Hauptsache versichert: Griechen arbeiten ohne Lohn

Passanten auf einer Athener Straße
Passanten auf einer Athener Straße - auf dem Weg zur Arbeit? © Imago / Wassilis Aswestopoulos
Von Alkyone Karamanolis · 14.01.2015
Viele griechische Unternehmen können ihre Mitarbeiter nicht mehr bezahlen, doch bei 27 Prozent Arbeitslosigkeit erdulden dies viele. Denn wer keinen Job hat, findet nur schwer wieder den Einstieg - so arbeiten viele Griechen ohne Lohn.
Ein kurzer Moment der Entspannung im Haus Karamagali. Es ist Samstag Vormittag, Eleni und ihr Mann trinken einen Kaffee und lassen die vergangene Woche Revue passieren. Eleni, die in einer Produktionsfirma arbeitet, hat dunkle Ringe unter den Augen. Gestern hat sie wieder 16 Stunden am Stück gearbeitet, vor kurzem lag sie mit einem Burnout im Bett. Dabei wird sie nicht einmal regulär bezahlt.
Eleni Karamagali:"Der Werbemarkt ist komplett eingebrochen, die Produktionen müssen möglichst billig sein, das heißt, mein Arbeitgeber hat sehr geringe Einnahmen. Von diesen Einnahmen bezahlt er erst die für ihn dringlichsten Verpflichtungen, also Steuern, Außenmitarbeiter und so fort. Und wenn dann was übrig ist, bekommen auch wir Angestellten unser Geld. Oft werden wir zwei oder drei Monate am Stück nicht bezahlt. Stattdessen bekommen wir ab und an um die 100 Euro. Gerade genug, damit wir nicht abkratzen."
Schon seit Anfang der Krise geht das so. Auch bei ihrem Mann. Andreas ist Journalist und von seinen drei letzten Arbeitgebern nicht bezahlt worden, und so fehlen in der Haushaltskasse der Familie 100.000 Euro, für die die Karamagalis gearbeitet haben. Eleni zeigt auf den Kühlschrank. Mit bunten Magneten sind dort Rechnungen fest gemacht, die noch bezahlt werden müssen. Die Sprachenschule für die beiden Söhne, Strom, Handy und Telefon. Wenn etwas Geld reinkommt, bezahlen sie zuerst die Miete, aus Angst vor der Kündigung. Doch derzeit sind sie selbst damit drei Monate im Rückstand. Es ist Mitte des Monats, und das Paar hat zusammen gerechnet noch 150 Euro in der Tasche.
Eleni Karamagali: "Unser Alltag hat sich auf dramatische Weise verändert. Wir sparen an allem. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal etwas für mich eingekauft habe. Kleidung und Bücher gibt es nur für die Kinder, ansonsten versuche ich, eine ausgewogene Mahlzeit auf den Tisch zu bringen. Aber selbst im Lebensmittelladen kaufe ich nur ein, was wir für den nächsten Tag brauchen. Drei Tomaten, einen Salat, Milch fürs Frühstück. Meistens habe ich ja nur ein paar Euro im Geldbeutel."
Fast jedes zweite Unternehmen in Griechenland kann heute seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen. Weder gegenüber dem Staat, noch gegenüber seinen Angestellten. Doch bei 27 Prozent Arbeitslosigkeit erdulden die vieles, bevor sie kündigen. Zumal es nach Ablauf der Arbeitslosenunterstützung in Griechenland weder eine Hilfe zum Lebensunterhalt noch eine Sozialversicherung für die Arbeitslosen gibt. Und: wer einmal draußen ist, findet nur schwer wieder den Einstieg, sagt Andreas.
Andreas Karamagali: "Ich bin 50 Jahre alt, meine Situation ist anders als die eines 25- oder eines 30-Jährigen. Viele meiner Kollegen arbeiten weiter, auch ohne Bezahlung, weil sie woanders keine Arbeit finden würden. Man hält sich quasi die Stelle warm, in der Hoffnung auf bessere Zeiten."
Viele haben überlegt, auszuwandern
Jackson, der weiße Spitz, wuschelt in die Küche. Nach außen hin unterscheidet sich die Familie Karamagali in nichts von einer Familie in Deutschland. Ihre Wohnung ist freundlich, hell und modern eingerichtet. 5000 Euro kamen früher monatlich rein. Heute klingelt Andreas Handy mehrmals am Tag: Schuldeneintreiber. Die große Veränderung aber sei die in ihrem Inneren, sagt Eleni. Denn die Familie überlebt dank der Finanzspritzen ihrer Verwandten. Erst kürzlich hat Elenis Vater auf eine Herzoperation verzichtet, damit er weiter helfen kann:
"Am Anfang habe ich mich entsetzlich gefühlt, und ich habe gesagt: ich nehme nie wieder etwas an. Aber wenn die Not groß ist, fängt man an Abstriche zu machen. Abstriche beim Stolz, Abstriche bei der Würde, ein bisschen hier, ein bisschen da. Man senkt das Haupt und akzeptiert das Taschengeld, mit dem einen der Arbeitgeber abspeist, und man akzeptiert all seine Bedingungen. Denn die Kinder und das Überleben haben Vorrang. Bis man sich fragt: was ist von meinem alten Selbst eigentlich übrig geblieben?"
Die Küche ist zum Wohnzimmer hin offen, drüben läuft leise der Fernseher, eingestellt auf einen Infokanal. Andreas schielt immer wieder auf den Bildschirm. Was sie sich von den Wahlen erwarten? Einen Wechsel, sagt Eleni, das korrupte politische Personal gehöre ausgetauscht, das sei eine Frage der Würde. Doch die Krise werde noch lange anhalten:
"Griechenland wird mindestens 30 Jahre brauchen, um wieder auf die Beine zu kommen. Also denke ich automatisch an die Kinder. Sie sind leider eine verlorene Generation. Ich sage unseren Söhnen deshalb immer, dass sie intelligente Lösungen werden finden müssen. Und ich versuche sie darauf vorzubereiten, dass sie im Grunde nur im Ausland eine Zukunft haben. So schmerzhaft das für uns ist."
Elenis Blick gleitet zum Fernseher, dann schaut sie aus dem Fenster. Oft überlegen sie auszuwandern, ergänzt Andreas. Doch selbst für eine Reise zu einem Vorstellungsgespräch fehlt inzwischen das Geld.
Mehr zum Thema