Wirtschaftshistoriker: Löschers Ablösung ist folgerichtig

Moderation: Ute Welty · 30.07.2013
Die derzeitige Krise bei Siemens habe zwar negative Imagewirkungen auf den Wirtschaftsstandort, sagt Werner Abelshauser. Aber auch wenn der Konzern auseinanderbreche, sei kein entscheidender wirtschaftlicher Schaden für Deutschland zu erwarten, so der Bielefelder Historiker.
Ute Welty: Die Kanzlerin wünscht sich ruhigeres Fahrwasser für das Flagsschiff der deutschen Wirtschaft. Danach sieht es aber zurzeit nun gar nicht aus. Auf der Brücke von Siemens, genauer in der Chefetage des Konzerns, tobt ein Machtkampf mit Seltenheitswert. Der heutige Dienstag wird wohl der letzte Tag von Siemens-Chef Peter Löscher auf Posten sein. Für morgen jedenfalls ist die entscheidende Sitzung des Aufsichtsrates angesetzt. Einige Mitglieder scheinen sich aber daran zu stören, wie Löscher gegangen wurde, unter anderem Ex-Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, und nach wie vor steht die Forderung im Raum, dass auch Aufsichtsratschef Gerhard Cromme den Hut nimmt! Das alles klingt nach einem ziemlich einmaligen Vorgang, und ob es tatsächlich einer ist, kann Professor Werner Abelshauser beurteilen. Er unterrichtet Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Bielefeld, guten Morgen!

Werner Abelshauser: Guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Wie beurteilen Sie die Siemens-Gemengelage im historischen Kontext? Tatsächlich einmalig oder doch eher symptomatisch für einen Konzern, der vielleicht zu groß und zu reich geworden ist?

Abelshauser: Na ja, also, im Kern ist es nicht einmalig. Natürlich gibt es diesen Kernkonflikt zwischen dem Aufsichtsrat und dem Vorstand, es ist eigentlich die einzige wesentliche Aufgabe des Aufsichtsrats, was die Aufsicht angeht, dass er den Vorstandsvorsitzenden bestimmt. Und das ist immer eine Machtfrage. Und von daher ist das nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist, dass es in der Öffentlichkeit vollzogen wird, dass man sich gegenseitig versucht den Schwarzen Peter zuzuschieben.

Aber im Kern geht es darum, einen Mann, der mit Vorschusslorbeeren berufen wurde, der aber gezeigt hat, dass er nicht die Unternehmerfunktion wahrnimmt, dass er schlechte Entscheidungen getroffen hat, abzulösen durch einen anderen. Wobei ich das Gefühl habe, dass das Problem dann auch darin liegt, dass man nicht unbedingt jemanden parat hat, der diese Funktion nun wirklich übernehmen könnte.

Welty: Gibt es denn eigentlich heute noch diesen Managertypen, von dem Sie gesprochen haben?

Abelshauser: Ich spreche ausdrücklich von Unternehmer. Man muss unterscheiden zwischen einem Manager, das ist jemand, der die Routine gut verwaltet, der Entscheidungen durchsetzt, der entscheidungsdurchsetzungsfähig ist. Und dann gibt es den Unternehmer, und das ist ein Künstler. Ein Mann der, oder eine Frau, die den Markt kennt, die vertraut ist mit dem Markt und die richtige Entscheidungen unter Unsicherheit treffen kann. Und das zeigt sich natürlich oft erst dann, wenn die Entscheidungen falsch waren. Und einen solchen Unternehmer hat Siemens nicht.

Welty: Das erinnert ja so ein bisschen an das Bild des guten Kaufmanns, was Sie da gerade auffächern. Taugt das denn noch im globalisierten 21. Jahrhundert?

Abelshauser: Na ja, es geht hier darum, dass man gerade auf diesem ja etwas unübersichtlicheren Markt – es gibt ja immerhin 750 Weltmärkte, wenn man so will –, dass man in einem solchen Markt weiß, was für die speziellen Fähigkeiten des eigenen Unternehmens der richtige Markt ist und die richtige Strategie. Und das muss man zum Teil zehn Jahre vorher entscheiden, bevor das realisiert werden kann. Ich denke da zum Beispiel an die Entscheidung vor zwölf Jahren der BASF, in China einen riesigen Chemiestandort zu gründen. Das hat viele Milliarden Euro gekostet und war selbstverständlich hoch riskant, setzte aber eine unternehmerische Entscheidung voraus, die in dem Fall offensichtlich richtig war. Bei Siemens haben wir leider das Problem, dass man zu spät aus dem Atomgeschäft ausgestiegen ist. Dass man die Sache mit den Windparks in der Nordsee nicht regeln kann, dass diese Desertec-Sache, also die Vorstellung, man könne ...

Welty: Solarstrom aus der Wüste.

Abelshauser: ... genau, man könne hier sozusagen mit einem Schlag die Energieprobleme Europas lösen, dass das offenbar angesichts des Arabischen Frühlings gescheitert ist. Dann die Frage der Solarthermie, die offenbar auch nicht das ist, was Siemens eigentlich können sollte, das ist zu wenig Hightech, das ist zu viel Standard. Und das ist auch ein Problem von Siemens. Und das ist ein typisches Managerproblem, weil Manager lieben den Standard. Manager wollen möglichst große Produktionsserien haben. Während die Fähigkeit der deutschen Wirtschaft, also deren komparative Vorteile, die liegen vor allem darin, Maßschneiderei zu machen, nachindustrielle Maßschneiderei, Qualitätsarbeit, sehr kundenspezifisch, sehr maßgeschneidert auf die Bedürfnisse der Kunden. Also Anlagen, intelligente Maschinen, komplexe Infrastruktur und so weiter. Das ist die Chance von Siemens und das funktioniert auf dem medizintechnischen Bereich hervorragend.

Welty: Peter Löscher gibt sich ja nach wie vor verbunden mit dem Haus und sagt, es geht mir ausschließlich um das Wohl von Siemens und der 370.000 Siemensianer, die zu Recht stolz auf ihr Unternehmen sind. Worauf kann sich dieser Stolz gründen, und hat Löscher dazu beigetragen, ihn zu mehren? Wie würden Sie das einschätzen?

Abelshauser: Nun ja, Siemens ist sicher eine Technologie-Ikone der deutschen Wirtschaft, seit über 150 Jahren. Und international, also auf dem Weltmarkt, nur vergleichbar mit General Electrics, denen es übrigens auch nicht besonders gut geht. Und von daher ist das schon wichtig, was mit Siemens passiert, ob Siemens auseinanderbricht in eine erfolgreiche Medizinsparte und eine gescheiterte Industriesparte oder Ähnliches. Das ist natürlich schon von entscheidender Bedeutung für das Image der deutschen Wirtschaft, der Qualitätsproduktion aus Deutschland. Es ist aber nicht wirtschaftlich entscheidend. Weil entscheidend für uns in Deutschland ist die Performance der mittleren Unternehmen, der kleinen und mittleren Unternehmen, die 75 Prozent aller Unternehmen ausmachen und die immer mehr auf dem Weltmarkt operieren. Mit 40 bis 60 Prozent sind die am Weltmarkt engagiert. Und die bringen eigentlich das Geld. Siemens ist da nur sozusagen eine Art Flaggschiff, aber von daher natürlich auch sehr wichtig.

Welty: Der Bielefelder Wirtschaftshistoriker Werner Abelshausen über die Krise bei Siemens und über den Unterschied zwischen Manager und Unternehmer. Ich danke dafür!

Abelshauser: Bitte sehr!

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