Wirtschaft

Das planierte Oberrheintal

Von Ludger Fittkau · 14.01.2014
Täglich verschwinden in Deutschland rund 100 Fußballfelder an fruchtbarem Boden unter Beton und Asphalt. Vor allem entlang des Rheins sind in den vergangenen Jahrzehnten gigantische Gewerbe- und Industrieareale entstanden. Das hat gravierende Folgen. Die Innenstädte veröden und Blechlawinen schieben sich durch kleine Dörfer.
Kapitel 1. Das umzingelte Gemüsedorf
Ruchheim - ein westlicher Vorort von Ludwigshafen. Ein altes Bauerndorf mit guten Böden. Landwirtschaft bestimmte Jahrhunderte lang den Alltag in Ruchheim. Das ist auch heute noch zu spüren, wenn man in den Ortskern kommt. Hofeinfahren zwischen ein- und zweigeschossigen Häusern bieten Platz für landwirtschaftliche Fahrzeuge, früher für Pferdewagen, heute für Traktoren.
"Ja,wir haben hier einen reichen Strauß von Gemüse. Fast alles an Gemüse. Mehrere Ernten im Jahr sind hier möglich aufgrund der guten klimatischen Bedingungen und der guten Beregnung, die wir hier haben. Das geht bis in den Spätherbst, wo der letzte Spinat geerntet wird und beginnt im Frühjahr mit den Radieschen. Also wir haben mit Sicherheit acht Monate Pflanz- und Erntezeit hier in Ruchheim. Das ist schon eine sehr intensive Landwirtschaft, die man hier betreiben kann. Sind wirklich Produkte, die die Region versorgen. Das ist schon was Besonderes."
Sagt Peter Tanzmeier. Er ist einer der Begründer der Bürgerinitiative „Für ein lebenswertes Ruchheim“. Statt Kartoffeln, Salatköpfen oder Kohl in den sogenannten „Gemüsesonderkulturen“ wachsen aber nun auf den Feldern rund um das Dorf, das heute zu Ludwigshafen gehört, immer mehr Gewerbehallen. Zufahrtsstraßen zu den nahen Autobahnen im Rheintal werden planiert und Tankstellen am Rande der Straßen in die Landschaft gesetzt.
Immer mehr Verkehr schiebt sich auch mitten durch Ruchheim. Deshalb will die Bürgerinitiative nun den Bau neuer, riesiger Gewerbegebiete auf den fruchtbaren Böden rund um Ruchheim verhindern.
"Sicher, wir sind in der glücklichen Lage, dass wir ein sehr gutes Klima hier haben. Und die Verbindung von Klima, fruchtbarem Ackerboden und der Möglichkeit zu bewässern lässt natürlich diese Sonderkulturen zu. Das ist in Deutschland nicht überall der Fall und ich möchte es noch einmal wiederholen. Früher kamen die umliegenden Händler auch von sehr weit weg zu uns, um Ruchheimer Kartoffeln zu holen."
Jutta Kreiselmaier- Schricker engagiert sich ebenfalls in der Bürgerinitiative. Die drahtige Frau um die fünfzig stammt selbst von einem Ruchheimer Bauernhof. Sie weist darauf hin, dass in Deutschland täglich rund 100 Fußballfelder fruchtbare Böden unter Beton und Asphalt verschwinden.
Ausschnitt aus Werbefilm: Die „Rhine-Region“ – ein Wirtschaftsstandort mit außergewöhnlichen Qualitäten. Zentral in Europa gelegen, mit guter Infrastruktur und einer hochqualifizierten Bevölkerung.
Wenn man von einem Feldweg am Ortsrand von Ruchheim aus im Dunkeln den Blick auf die Stadt richtet, sieht man die abertausend Lichter des größten zusammenhängenden Chemieareals der Welt. Der BASF gehören einige der Äcker rund um Ruchheim, sie will sie auf Wunsch der Stadt Ludwigshafen zur Bebauung freigeben. Anderer Boden für die geplanten Gewerbeansiedlungen kommt von Landwirten, bedauert die Bauerntochter Jutta Kreiselmaier-Schricker:
"Es ist auch so, dass zumindest zwei Landwirte ihr Land nicht verkaufen werden. Schöner wäre es, wenn niemand verkaufen würde."
Wer bei Tageslicht dem Werk den Rücken zukehrt und Richtung Westen schaut, hat freie Sicht auf die dicht bewaldeten Höhen des Pfälzer Waldes - den sogenannten „Haardtrand“. Bis jetzt. Jutta Kreiselmaier-Schricker befürchtet, dass sich das bald ändert. Denn die Gewerbegebiete, die hier entstehen sollen, sind größer als das Dorf selbst.
"Absolut! Also es ist ja noch so, dass Ruchheim eher eine dörfliche Struktur hat. Uns ist es auch wichtig, was mit dem Umland passiert. Es ist für mich zum Beispiel wichtig, dass wenn ich nach Maxdorf fahre, nicht durch zwei große Gewerbegebiete fahre und auch noch den freien Blick auf die Haardt habe. Ich denke, das ist in gewisser Weise auch ein ethisches Problem, das durch diese ökonomischen Interessen völlig überlagert wird."
Ausschnitt aus Werbefilm: Die „Rhine-Region“ – ein Wirtschaftsstandort mit außergewöhnlichen Qualitäten…
Ein Werbefilm, der für ein neues Gewerbegebiet am Rhein wirbt. Überall längs des Stroms von Basel bis nach Holland entstehen zurzeit neue Industrie- und Handelsareale. An vielen Stellen am Oberrhein siedeln sich auch Internet-Händler an, die für ihre Waren große Lagerhallen in der Nähe von Autobahn-Auffahrten bauen. Auch rund um Ruchheim bei Ludwigshafen sollen solche Logistikzentren entstehen, so die Planung.
Schon jetzt schieben sich manchmal Lastwagen-Kolonnen durch Ruchheim, vor allem wenn es Staus auf der nahegelegenen Autobahn gibt. Peter Tanzmeier ist vor etwas mehr als zwei Jahrzehnten in den Ort gezogen, weil es hier so schön ruhig war. Zusätzliche Gewerbegebiete, so fürchtet er, werden rund um Ruchheim zu einem regelrechten Verkehrsinfarkt führen:
"Schlimm ist es für die Menschen, die in Ruchheim an den Durchgangsstraßen wohnen. Die sind wirklich vom Verkehr gebeutelt."
Die Gewerbegebiete wachsen seit langem aus Richtung Ludwigshafen auf Ruchheim zu und bringen mehr und mehr Verkehr in den Ort, beobachtet auch Jutta Kreiselmaier-Schricker.
Ruchheim ist umgeben von mehreren Autobahnen – gerade für Internet-Händler und Logistikunternehmen ist ein solcher Standort reizvoll:
"Ja, die zentrale Lage, das sehen wir auch, die macht es attraktiv. Trotzdem ist es so, dass wir überbelastet sind und wir auf keinen Fall mehr Belastung durch Einpendlerverkehr oder durch Lastwagen, die zum Beispiel nicht von der Autobahn kommen, vertragen. Wie sind ja von drei Autobahnen und einer Bundesstraße umgeben. Das würde bedeuten, dass wenn Staus sind, die Lastwagen durchaus bei uns noch durchfahren würden. Und die Durchgangsstraßen wären dann noch mal betroffen. Das möchten wir auf jeden Fall verhindern."
Peter Tanzmeier und Jutta Kreiselmaier-Schricker sind die Ruchheimer Davids, die nun gegen Goliath den Kampf aufnehmen. Die Goliaths sind die Logistikunternehmen des Internetzeitalters, die ihre Waren per Paket verschicken und dazu riesige Lagerhallen in der Nähe der Großstädte und von Autobahnauffahrten bauen. Ruchheim ist gerade für Online-Händler ein idealer Standort, weiß Peter Tanzmeier:
"Das ist mit Sicherheit so. Da hat eine Kulturveränderung stattgefunden, wie man heutzutage einkauft. Für viele ist das halt bequemer, man lässt sich etwas schicken, in mehreren Größen, probiert das einfach aus und schickt das zurück. Da läuft offensichtlich etwas schief. Und es muss auch nicht sein, dass man jedes Teil, das man bestellt, per Express am nächsten Tag bekommt. Da wäre auch die Frage, wie man mit solchen Bestellungen umgeht und das würde vielleicht ein weniger an Verkehr erzeugen."
Doch Beschleunigung ist bis jetzt das Credo der Internet-Waren-Welt. In den Rathäusern von Ludwigshafen und der benachbarten Stadt Frankenthal will man die Ansiedlung von Logistik-Unternehmen, auch von Internet-Händlern. Das soll Arbeitsplätze schaffen, aber vor allem auch Gewerbesteuer in die Kassen der Städte spülen. Ludwigshafen gehört bundesweit zu den Städten mit der höchsten Verschuldung. Peter Tanzmeier:
"Das ist richtig. Andererseits ist das eine Phantom-Diskussion. Denn die Verschuldung der Stadt ist nicht zu lösen durch ein Gewebegebiet von 42 Hektar, das man nun zusätzlich in die Landschaft knallt. Das sind ein paar tausend oder vielleicht auch ein paar zehntausend Euro, die da eingehen, aber die ändern überhaupt nichts an der Problematik. Die Problematik der Stadt ist die chronische Unterfinanzierung der Stadt und die hohen Sozialkosten, die die Stadt aufgrund gesetzlicher Regelungen leisten muss."
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Stammwerk der BASF in Ludwigshafen© picture alliance / dpa
Kapitel 2. Die verlassene Einkaufsstraße
Gut zehn Kilometer weiter östlich, die Innenstadt von Ludwigshafen. In der zentralen Fußgängerzone, der Bismarckstraße, stehen viele Geschäfte leer. Die Konkurrenz für die Einzelhändler hier war zu groß: Zwei große Einkaufszentren am Rande der Innenstadt, dann die nahegelegene und attraktive Mannheimer City. Und mehr und mehr Einkaufszentren und Gewerbegebiete auf der grünen Wiese. Bei Ruchheim und anderswo im Rhein-Neckar-Raum. Eine Konsequenz: Die Fußgängerzone in Ludwigshafen bietet schon seit Jahren ein tristes Bild.
- "Steht viel leer. Ich bin selber Geschäftsmann. Hatte mal eine B-Lage, jetzt habe ich ne C-Lage dadurch."
- "Alles zu."
- "Falsche Politik. Dauernd 'ne andere Struktur in der Stadt und keine gewachsene mehr. Jeder Bürgermeister versucht, sein Denkmal zu setzen und versucht, neue Verkaufsflächen zu involvieren, die aber schon da waren."
Im Rathaus von Ludwigshafen hat man die Hoffnung aufgegeben, die Fußgängerzone noch einmal mit neuem Gewerbe beleben zu können. Man setzt jetzt auf Gastronomie. Oder man überlegt, dass leerstehende Geschäftshäuser zu Studentenwohnheimen umgebaut werden könnten. Denn die Universitäten im nahen Mannheim und auch in Heidelberg sind von der Ludwigshafener Innenstadt gut mit der S-Bahn zu erreichen. Klaus Dillinger, Baudezernent der Stadt:
"In Ludwigshafen haben wir eine Fachhochschule, Mannheim und Heidelberg sind ganz in der Nähe. Insofern ist Studentenwohnen ein Thema. Ist auch im Kommen, sowohl im Altbaubestand als auch bei Neubauten. Aber das ist eine Szene, die sich erst noch entwickeln muss. Wo der eine oder andere Investor entdecken muss, dass man in Ludwigshafen ganz gut studentisch leben und arbeiten kann."
Der Dortmunder Stadtplaner Rolf Junker gilt bundesweit als Experte für Innenstadtentwicklung. Er kennt die Lage in Ludwigshafen und sieht die Wohnidee recht skeptisch:
"Das man in einer Fußgängerzone wohnt, da braucht man schon Nerven. Vor allem in einer so heruntergekommenen Fußgängerzone, wo es so ein bisschen aussieht wie damals in Laramie."
Doch die Stadt Ludwigshafen fördert bereits den Bau neuer Wohn- und Bürokomplexe am südlichen Rheinufer, ganz in der Nähe der Innenstadt. Denn Wohnen und Arbeiten am Ufer des Stroms ist angesagt. Ob Köln, Mainz oder eben Ludwigshafen: Überall entstehen die schicksten Immobilien direkt am Rhein. Eigentlich könnten die neuen, zahlungskräftigen Bewohner am Ludwigshafener Rheinufer in wenigen Minuten zu Fuß in die Einkaufsstraße gelangen. Nur – dort gibt es kaum noch attraktive Geschäfte.
- "Viel Schrott. Die Fachgeschäfte fehlen, Gucken Sie sich doch um, Ludwigshafen…"
- "... das ist eine reine Geisterstadt, jetzt so langsam."
Doch vielleicht werden ja die neuen Rheinufer-Bewohner und Büromenschen durch unbefriedigte Alltagsbedürfnisse dafür sorgen, dass die Innenstadt von Ludwigshafen eine zweite Chance bekommt. Denn für sie macht es keinen Sinn, raus auf die grüne Wiese zu fahren, um dort einzukaufen. Wenn es schon neue Gewerbegebiete am Stadtrand geben soll, dann doch auf Flächen, die vorher schon anders genutzt wurden als für den Gemüseanbau. Das schlägt auch die Bürgerinitiative in Ludwigshafen-Ruchheim vor. Peter Tanzmeier:
"Es gibt genügend versiegelte Flächen. Ob das jetzt in Mannheim ist, wo US-Truppen abziehen oder ähnliches ist, wo an zumindest mal überlegen könnte, wie weit sind die nutzbar."
Das Problem: Das Gelände der alten US-Kaserne, das die Ruchheimer im Blick haben, liegt nicht auf dem Stadtgebiet von Ludwigshafen, sondern eben auf Mannheimer Gebiet. Ludwigshafen ging also bei der Gewerbesteuer leer aus. Das Rhein-Neckar-Gebiet nennt sich offiziell „Metropolregion“. Bei der Konkurrenz um Gewerbeansiedlungen herrsche aber eher Provinz- und Kirchturmdenken, kritisiert Peter Tanzmeier:
"Und genau das ist etwas, was man eigentlich nicht verstehen kann. Denn die politisch Verantwortlichen reden immer von der Metropolregion Kurpfalz, aber handeln tut jeder für sich ganz egoistisch."
Der zunehmend verlassenen Einkaufstraße in der Ludwigshafener Innenstadt hilft beides nicht: Weder neue Gewerbeansiedlungen rund um das ohnehin schon von Gewerbe umzingelte Dorf Ruchheim am westlichen Stadtrand. Noch ein neues, großes Gewerbegebiet auf dem Kasernengelände in Mannheim, das die Amerikaner aufgegeben haben. Die Ludwigshafener Innenstadt ist nicht attraktiv genug, um sich gegen die umliegende Konkurrenz zu behaupten. Wachsender Internet-Handel wird das Problem des Leerstands in der City- Einkaufsstraße der Chemiestadt wohl eher vergrößern.
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Rheintal: Blick auf die Burg Katz oberhalb von St. Goarshausen© picture-alliance / Frank Kleefeldt
Kapitel 3. Die Verpackungsaktion der Einzelhändler
Koblenz ist nicht Ludwigshafen. Das Zentrum der größten Stadt im Norden von Rheinland-Pfalz ist belebt. Kleine Fachgeschäfte und moderne Einkaufszentren, Restaurants und Cafés bieten dem Flaneur eine attraktive Mischung. Dennoch: Die Gewerbeentwicklung an den Fernstraßen außerhalb der Stadt ähnelt dem, was rund um Ludwigshafen passiert.
Ausschnitt aus Werbefilm: Seit 1996 sind wir hier in Mülheim-Kärlich. Wir haben hier eine Ausstellungsfläche von 1000 Quadratmetern. Das wurde dann im Jahr 2000 zu klein. Wir haben dann ein neues Gebäude gebaut mit 1800 Quadratmetern Ausstellungsfläche.
Ausschnitt aus dem Werbefilm einer Firma im Gewerbegebiet von Mülheim-Kärlich. Dort, vor den Toren von Koblenz ist an der B 9 Richtung Bonn in den letzten Jahrzehnten eines der größten Gewerbegebiete Deutschlands entstanden.
Im Schatten des stillgelegten Atomkraftwerkes Mülheim-Kärlich haben sich rund 300 Firmen angesiedelt, die rund 6000 Arbeitsplätze bieten. Hier ist alles zu bekommen: Baustoffe und Blumen, Elektro- und Erotikartikel, Möbel und Maschinen aller Art. Hotels und Schnellrestaurants ergänzen das Angebot.
- "Das ist das Größte, was es überhaupt gibt hier herum."
- "Da kann man ja hoch reinfahren und gemütlich kaufen gehen."
Die Gebäude des Gewerbeareals sind hässlich, aber hervorragend mit dem Auto erreichbar.
Entsprechend stark sind die Verkehrsströme: Die Moselbrücken, die die Koblenzer Innenstadt mit den Arealen bei Mülheim-Kärlich verbinden, sind in der Rush-Hour verstopft. Das liegt nicht nur am neuen Gewerbepark draußen auf der grünen Wiese – aber auch.
Die Koblenzer Innenstadt scheint sich vorerst noch behaupten zu können – gegen die starke Konkurrenz im Gewerbepark draußen. Auch der stark wachsende Internet-Handel sorgt nicht für Leerstand in der Koblenzer City. Noch nicht. Doch in den kleineren Städten und Dörfern im Umland sieht das oft schon anders aus.
So mancher, der im Herbst in der idyllischen Altstadt von Kastellaun im Hunsrück einen Schaufensterbummel machen wollte, war geschockt. Statt auf adrette Auslagen blickte
er auf mit braunem Packpapier zugeklebte Fenster und auf Plakate mit der Aufschrift: „Wir malen den Teufel an die Wand“. Das Szenario einer Innenstadt ohne Einzelhandelsgeschäfte, weil der Handel komplett ins Internet und auf die grüne Wiese abgewandert ist. Kundin Sonja Teschow war nach dem ersten Schock von der Aktion begeistert:
"Ich finde es super. Da fällt erst mal auf, wie tot die Innenstadt ist. Finde ich gut, dass da drauf aufmerksam gemacht wird und es fehlt einem doch der Schaufensterbummel."
5000 Einwohner hat das Hunsrückstädten Kastellaun. Und mehr als 60 Einzelhandelsgeschäfte. Noch. Doch Einkaufzentren auf der grünen Wiese wie der nur rund 40 Kilometer entfernte Gewerbepark Mülheim-Kärlich bei Koblenz sowie die Zunahme des Internethandels bedrohen die Existenz vieler Geschäfte. Deshalb starteten die Einzelhändler in Kastellaun ihre spektakuläre Aktion. Sie haben die Schaufenster ihrer Stadt mit braunem Packpapier verklebt. Eine Zukunft ohne Läden wird simuliert.
Kosmetikherstellerin Andrea Altenweg beteiligte sich mit ihrem Laden an der Aktion und beschreibt, wie die Kunden reagierten:
"Verstört, erschrocken. Alteingesessene machen die Daumen hoch. Und Fremde sind verstört einfach. Die kommen hier rein und fragen: Was ist hier los? Und haben viele Fragen. Und wir haben dann einen Flyer, den könne wir mitgeben und können den Leuten sagen: Kauft auch in Eurer Stadt beim Einzelhändler."
Anja Altenweg und ihre Händler-Kollegin Martina Born vom ebenfalls in Packpapier gehüllten Naturkostladen schräg gegenüber fühlen sich in letzter Zeit immer häufiger von Kunden ausgenutzt:
Es gibt ja Leute, die sich hier beraten lassen und dann Trockenprodukte im Internet besorgen.
Eine Kundin sagte das, die sagte: Ach ja, Mandelmilch oder Sesammus nehme ich noch bei ihnen – den Rest kriegt meine Tochter ja übers Internet, das passiert schon."
Eine Woche lang blieben die Schaufenster der Läden verpackt. Mit ihrer spektakulären Aktion wollten die Einzelhändler auch diejenigen erreichen, die aus dem Hunsrück regelmäßig ins Rheintal fahren und im gigantischen Gewerbepark von Mülheim-Kärlich einkaufen. Apotheker Holger Berger war begeistert über die Solidarität vieler Ladeninhaber, die Dienstleistungen anbieten, die gar nicht übers Internet abgewickelt werden können:
"Es macht ein gutes Bild, denke ich. Und es ist auch ganz erstaunlich, dass alle an einem Strick ziehen: Die Friseure machen mit, der Kebab-Laden, der ja mit dem Problem gar nichts zu tun hat. Insofern, das macht durchaus Spaß. Und diejenigen, die rumgegangen sind und gefragt haben, haben offene Türen eingerannt."
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Ein Feld mit Blumenkohl, aufgenommen bei Ruchheim in der Süd-Pfalz© picture-alliance/ dpa
Vorläufiger Schluss: Wachsender Widerstand
Der Bürgerinitiative "Lebenswertes Ruchheim" am Stadtrand von Ludwigshafen machen solche Beispiele von Bürgersolidarität Mut. Allerdings – die Lage des Einzelhandels im Ortskern ist längst nicht mehr so gut wie in Kastellaun, stellt Jutta Kreiselmaier-Schricker fest:
"Wenn Sie bei uns allerdings Läden zuhängen wollten, würden Sie nicht mehr allzu viele finden. Und das ist auch unsere Angst, dass dieser kleine Rest, der noch da ist oder vielleicht auch wieder anzusiedeln wäre, dann nicht kommt oder ganz weggeht.
Ausschnitt aus Werbefilm: Die „Rhine-Region“ – ein Wirtschaftsstandort mit außergewöhnlichen Qualitäten.
Die hochfliegenden Pläne für immer neue Gewerbeansiedlungen längs des Rheins geraten nicht nur in Ruchheim in die Kritik: Überall im Rheintal regt sich Widerstand.
In Darmstadt weigern sich Lokalpolitiker, die Einkaufsareale, die die kleine Nachbargemeinde Weiterstadt unmittelbar an der Stadtgrenze hochgezogen hat, an das Straßenbahnnetz der Großstand anzuschließen. Wer bequem mit der Tram zum Einkauf fahren will, muss weiterhin in die Innenstadt fahren.
In Mainz haben aufmerksame Bürger erzwungen, dass ein neues Einkaufszentrum kleiner als geplant und so gebaut wird, dass es der Attraktivität des gewachsenen Einzelhandels in der Innenstadt möglichst wenig schaden kann.
Bei Worms habe eine Bürgerinitiative die Menschen so aktiviert, dass ein neues Gewerbegebiet auf der grünen Wiese verhindert werden konnte, erzählen Peter Tanzmeier und Jutta Kreiselmaier- Schricker von der Ruchheimer Bürgerinitiative. Auch sie geben nicht auf. Peter Tanzmeier:
"Unsere Initiative heißt ja bewusst 'Für ein lebenswertes Ruchheim'. Und darum geht es uns auch, dass durch das, was hier geplant wird, die Lebensqualität der Menschen, die hier leben und hier ihre Kinder hochziehen, drastisch verschlechtert werden würde. Und das ist eigentlich das Interesse aller, das zu verhindern, das merken wir täglich. Und deswegen ist unsere Hoffnung schon relativ groß, dass die Politik das irgendwann auch kapiert, dass das so ist."