Wird das Sterben humaner?

Von Jantje Hannover · 01.10.2009
Am ersten September trat das neue Gesetz zur Patientenverfügung in Kraft. Jetzt gilt der festgehaltene Wille einer nicht mehr ansprechbaren Person als verbindlich. Die Mitarbeiter der Bundeszentralstelle Patientenverfügung und einige namhafte ehrenamtliche Unterstützer, darunter der leitende Oberarzt der Rettungsstelle am Urbankrankenhaus Michael de Ridder, engagieren sich für ein humanes und selbstbestimmtes Sterben.
"Bundeszentralstelle Treuschel, Guten Tag."

Die Bundeszentralstelle Patientenverfügung residiert im Parterre des gediegen wirkenden Max-Taut-Gewerkschaftshauses. Drei helle Räume mit großen Fenstern, man befindet sich hier in der Nähe des Alexanderplatzes, trotzdem fahren kaum Autos auf der Straße vor dem Haus, 20 Meter weiter fließt ein Seitenarm der Spree vorbei. Vier Tage in der Woche sitzt Patricia Treuschel hier am Telefon.

"Sie können mir gerne Ihre Adresse mitteilen, dann schicken wir Ihnen die Unterlagen zu."

"Wir sorgen dafür, dass individuelle Patientenverfügungen erstellt werden, mit medizinfachkundiger Beratung, mit den Wertvorstellung der Betroffenen."

Diplompsychologin Gita Neumann ist die Leiterin der Zentralstelle beim Humanistischen Verband.

"Und sehen die Sache als Prozess, also nicht unbedingt als einmaliger Akt einen Vordruck zu unterschreiben und dann hat sich das. Ansonsten ist jeder herzlich willkommen, wenn sich etwas Neues ereignet hat, vielleicht Krankheitsbilder sind dazu gekommen, oder die Wertvorstellungen gehen in eine andere Richtung, hier Aktualisierungen vornehmen zu lassen. Und zu guter Letzt sorgen wir dann auch für die Durchsetzung."

Wer will, kann seine Verfügung gegen eine kleine Jahresgebühr bei der Bundeszentralstelle hinterlegen lassen. Gita Neumann hatte den jetzt zum Gesetz gewordenen sogenannten "Stünker-Entwurf" vor fünf Jahren in der Kommission "Patientenautonomie am Lebensende" des Bundesministeriums der Justiz mit entwickelt. Jetzt hilft sie interessierten Rentnern herauszufinden und zu formulieren, wie sie behandelt werden wollen, falls sie nicht mehr persönlich gefragt werden können - etwa im Wachkoma, bei Demenz oder schwerem Alzheimer oder nach einem Herzstillstand.

Im Büro von Gita Neumann hat jetzt eine ältere Dame mit weißer Bluse Platz genommen. Helga Meissner stammt aus Sachsen. Sie lebt seit einigen Jahren in Berlin.

"Ich bin hergekommen, um meine vor fünf Jahren verfasste Patientenverfügung zu erneuern."

Helga Meissner und Gita Neumann haben sich vor das große Fenster an einen runden Tisch gesetzt. Weiße Tischdecke, ein Teller mit Keksen, Kaffee und eine Karaffe mit Wasser vermitteln Wohnzimmeratmosphäre. Gita Neumann hält die alte Verfügung sowie Stift und Papier bereit und blickt ihrer Gesprächspartnerin konzentriert in die Augen. Helga Meissner kann ihr Gesicht nach einem Schlaganfall nicht mehr vollständig bewegen. Der rechte Mundwinkel hängt ein wenig nach unten:

"Ich bin der Meinung, dass ich das konkretisieren möchte, dass im Ernstfall jeder weiß, was zu tun und zu lassen ist, wenn irgendwas ist. Man sagt, wer weiß wann die das verfasst hat, vielleicht ist sie jetzt anderer Meinung, jetzt ist sie nicht mehr klar im Kopf, also ich bin noch klar im Kopf, ich habe kein Porzellansyndrom, habe noch alle Tassen im Schrank, das wollte ich mit dem neuen Datum kundtun."

Helga Meissner weiß, was es bedeutet, bettlägerig und auf Hilfe angewiesen zu sein. Vor ein paar Jahren wurde der 71-Jährigen der Magen entfernt. Sie lag lange im Krankenhaus und hat sich mit viel Disziplin an zehn kleine Mahlzeiten täglich gewöhnen müssen. Verdauen kann sie nur noch mit dem Darm.

"Wenn es so weit ist, dass ich noch einen Schlaganfall dazu bekomme, einen kleinen hab ich schon, ich habe rechtseitiges Gesichtszucken, und durch Magenkrebs keinen Magen mehr. Es kann sowohl vom Kopf her was passieren, dass ich einen richtigen Schlaganfall kriege und dann vielleicht gelähmt bin, dass ich in ein Pflegeheim muss, also das möchte ich unter überhaupt gar keinen Umständen. Wenn klar ist, dass nichts wieder wird, dann will ich nichts wie weg."

"Da ist schon Hase im Pfeffer, wenn die Ärzte sagen: Ach, da ist ja doch noch was zu machen, wir haben uns in unserem letzten Gespräch darauf geeinigt, dass Sie unter keine Umständen lebensverlängernde Maßnahmen akzeptieren. Wenn klar ist, dass ich entweder nicht mehr laufen kann, nicht mehr reden kann, dass ich gewindelt werden muss, in diesem Zustand will ich nicht mehr weiterleben, das finde ich menschenunwürdig."

Gesunde haben oft keine Vorstellung davon, wie sie sich fühlen werden, wenn sie todkrank sind. Tatsächlich zeigt die Erfahrung, dass sie den Wert eines Lebens mit Behinderungen wesentlich geringer einschätzen, als es die Betroffenen selbst tun. Die ehemalige Krankenschwester Dr. Christine Weinhold ist eine von sieben Beratern und Beraterinnen bei der Bundeszentralstelle:

"Viele Menschen wollen vorsorgen, dass sie nicht lange an Apparaten hängen, sagen sie häufig, oder sie sagen auch häufig: Ich will nicht an Schläuchen hängen. Da ist aber erstmal ein enormer Aufklärungsbedarf, denn so generell kann man Apparatemedizin nicht ablehnen. Denken Sie an einen Diabetiker, der ja auch Spritzen bekommt. Man kann also mit pauschalen Aussagen nichts anfangen, oder die Ärzte können damit nichts anfangen, was an Behandlung gewünscht wird oder nicht, und das wissen viele Menschen nicht. Sie denken dann immer an die Intensivmedizin, an Komasituationen, aber das muss detailliert in der Patientenverfügung enthalten sein."

Wer sich in Berlin zur Patientenverfügung beraten lassen möchte, kann neben dem Humanistischen Verband auch die Zentrale Anlaufstelle Hospiz in Reinickendorf aufsuchen. Die Beratung wird hier vom Senat gefördert und ist kostenlos. Auch die Deutsche Hospizstiftung mit einer Dependance in Berlin berät zahlende Mitglieder zum Thema und bietet auf ihren Internetseiten einen Qualitätscheck zur Patientenverfügung an.

Der Humanistische Verband finanziert seine Beratung über Spenden und Gebühren. Eine individuell ausformulierte optimale Version kostet bis zu 96 Euro an Gebühren. Christine Weinhold:

"Die Standard-Patientenverfügung, da können Sie Festlegungen treffen zu den Standard-Situationen Sterbeprozess, dauerhaftes Koma und schwere Demenz. Während die optimale Version situationsoffen ist und auch differenziertere Antworten zulässt, nicht nur Ja- oder Nein-Antworten wie bei der Standard-Version: ob Sie Wiederbelebung möchten, ja oder nein, ob Sie künstliche Ernährung möchten, ja oder nein, während bei der optimalen Version Sie immer die Möglichkeit haben, auch Zwischenantworten zu geben, je nach Situation. Zum Beispiel, solange mir ein selbstständiges Leben noch möglich ist, solange ist das für mich Lebensqualität."

Den Patientenwillen möglichst genau zu erfassen und Widersprüche in den Aussagen zu klären, das ist die Kunst des Beraters. Gita Neumann und Helga Meissner haben eine Stunde zusammengesessen, jetzt steht die endgültige Fassung kurz vor dem Abschluss. Gita Neumann zeigt auf einen Absatz der vor fünf Jahren verfassten Verfügung:

"Wie es hier steht, wäre dann ja noch in Ordnung. Hier steht nämlich, solange realistische Aussichten bestehen zur Wiedererlangung eines für mich lebenswerten Lebens, die Kriterien für ein lebenswertes Leben bezeichnen sie ja, dann sollte künstlich Ernährung, sofern vorübergehend notwendig ist, allenfalls drei Monate lang durchgeführt werden, das würde dann so bleiben."

Weil Helga Meissner trotz eines langen Arbeitslebens nur eine Rente knapp über dem Hartz IV-Niveau bezieht, braucht sie nichts zu zahlen.

#"Auf Wiedersehen, ich bedanke mich ganz herzlich. Sind Sie zufrieden?"
"Ja, ich bin sehr zufrieden."
"Das freut mich."

"Und ein bisschen in die Knie gehen, ganz leicht, ich stelle jetzt mal die Herzzahl ein und Sie sagen mir sofort Bescheid, wenn irgendwie es Ihnen nicht gut geht, wenn Sie sagen, es ist Ihnen zu anstrengend."

Im Evangelischen Geriatriezentrum Berlin. Sascha Butz arbeitet hier als Physiotherapeut.

Sascha Butz hilft der Patientin Gisela Hagemeister, einen guten Stand zu finden. Sie muss nach einem schweren Schlaganfall das Laufen ohne Rollator wieder erlernen. Deswegen steht sie auf einem stark vibrierenden Brett, das die für das Gleichgewicht entscheidenden Gehirnbereiche optimal aktiviert.

Im Geriatriezentrum versucht man, hoch betagte Menschen wieder fit und mobil zu machen, nachdem sie aus der Intensivstation entlassen wurden. Auf den Teamsitzungen geht es tagtäglich darum, wann und bei wem welche lebensverlängernden Maßnahmen angezeigt sind. Dabei strebt man eine bessere Lebensqualität an, nicht zwangsläufig ein möglichst langes Leben, sagt der Oberarzt Eric Hilf. Er würde nicht jedem 85-Jährigen zur Herzklappenoperation raten:

"Sie müssen den Patienten anschauen und fragen: Profitiert der Patient davon, hat der noch eine Selbstständigkeit und Autonomie, die Sie mit dieser Art der Operation, die ihre Risiken aufweist, auch noch unterstützen? Wenn Sie zum Beispiel einen Patienten haben mit einem degenerativem Hüftleiden, ein Bewegungsumfang nur noch vom Bett bis zum Stuhl hat, und vorher schon das ganzes Jahr überhaupt nicht mehr rausgegangen ist, da müssen Sie sich fragen: Profitiert der von einer neuen Hüfte, oder ist die Hüfte nur eine reine Schmerztherapieform?"

Eine wichtige Frage, die in vielen Akut-Kliniken so nicht gestellt wird. Gerade für junge Ärzte ist der hypokratische Eid Ehrensache. Ohne Rücksicht auf den allgemeinen Gesundheitszustand eines hoch betagten Patienten kommt dann das ganze Repertoire der Intensivmedizin noch einmal zum Einsatz. Oftmals bei Leuten, die vielleicht lieber sterben würden.

Der Ansatz des Evangelischen Geriatriezentrums Berlin könnte einen Paradigmenwechsel in der Versorgung von Menschen in der letzten Lebensphase einläuten. Das Zentrum gehört zur Berliner Charité und vereinigt neben einem kombinierten Versorgungskonzept aus Akut- und Rehakrankenhaus auch den Bereich Weiterbildung und Forschung unter einem Dach. So ist gesichert, dass neueste Erkenntnisse unmittelbar in die Praxis umgesetzt werden. Denn die Forschung zum Fach Altersmedizin steckt noch in den Kinderschuhen.

Klinikchefin Elisabeth Steinhagen-Thiessen beruft sich auf eine Studie, die klar belegt, dass die Betroffenen länger lebten, weniger Medikamente einnahmen und seltener vor dem Tod zum Pflegefall wurden, wenn sie nach dem Akutkrankenhaus in der Geriatrie behandelt wurden.

"Das ist natürlich ein schönes Ergebnis für die Geriatrie, aber das will keiner hören. Jeder hat natürlich auch Angst um seine Pfründe. Die Ärzte wollen das nicht hören, die wollen ihre Patienten in den chirurgischen und internistischen Betten behalten."

Zur umstrittensten Form der Lebensverlängerung zählt der Einsatz von Magensonden. Zahlreiche Studien haben erwiesen, dass eine Magensonde bei alten Patienten nur im Ausnahmefall die Lebensqualität verbessert. Trotzdem ist es in vielen Pflegeheimen üblich, demenzkranke Patienten, die nicht mehr essen wollen, mit einer Magensonde zu versorgen. Häufig müssen sie dann im Bett fixiert werden, damit die Schläuche nicht abreißen. Eric Hilf vom Geriatriezentrum Berlin bevorzugt andere Maßnahmen:

"Wir sind da sehr zurückhaltend, wir haben Ernährungstraining, wir gehen mit den Ergotherapeuten dabei, wir versuchen den demenzkranken Patienten in eine Struktur einzubinden, in einen klar geregelten Tagesablauf mit Frühstückstraining, wo der Patient lernt, die Handlungsabläufe, Essabläufe sich wieder anzueignen."

Sibylle Katzenstein hat für den Berliner Ärztlichen Notfalldienst gearbeitet. Sie findet, dass Mediziner wieder einen natürlichen Umgang mit Sterbenden lernen müssen:

"Ich glaube, es ist eine gewisse Angst, Verantwortung zu übernehmen und es ist natürlich eine Angst, juristisch belangt zu werden. Auf Fortbildungen und so, wird einem eher Angst gemacht, dass so etwas passieren könnte, dass man belangt wird von den Angehörigen für unterlassene Hilfeleistung, dass man Entscheidungen falsch getroffen hat."

Hier verspricht das neue Gesetz zur Patientenverfügung mehr Rechtssicherheit für Ärzte und Betroffene.

"Ich habe keine Erfahrung im Umgang mit Sterbenden und habe einen Heilberuf, wo mir durchaus passieren kann, dass ich mit Sterbenden in Kontakt komme, das ist für mich der Hauptgrund gewesen, dass ich mich hier angemeldet habe."

Sigrid Nunpal arbeitet als Heilpraktikerin. Zusammen mit ihrer Heilpraktiker-Kollegin Doris Thiel macht sie zurzeit eine Fortbildung beim Humanistischen Verband in Berlin zur ambulanten Begleitung Sterbender:

"Wenn man diese Ausbildung macht, ist man natürlich unweigerlich mit diesem Thema sehr konfrontiert und muss sich dann auch Gedanken machen: Wie ist es, wenn ich versterbe und wie plötzlich kann das geschehen? Da werden einem viele Dinge viel bewusster, und man geht auch mit dem Leben anderes um."

Der Humanistische Verband sucht ständig ehrenamtliche Mitglieder für die ambulante Betreuung. Sie werden mit Abendkursen und Wochenendworkshops in einem einjährigen Training auf ihren Einsatz vorbereitet. Gudrun Ott-Meinhold ist die Leiterin des ambulanten Hospizes Visite:

"Wir machen Besuche bei Menschen, die nicht mehr so aktiv sein können, versuchen ihnen beizustehen, wenn sie Sorgen haben, wenn sie was seelisch bedrückt, auch wenn sie in der Familie nicht gut klarkommen, nicht über Dinge sprechen können, zum Beispiel über Themen: Wie ist das, wenn ich sterbe, was wird mit mir gemacht? Dafür werden wir Ehrenamtlichen vorbereitet, dann vielleicht auch vermittelnd tätig zu werden, dass wir dann erreichen, dass die Angehörigen mit ihren kranken Familienangehörigen gut verständigen können, über die schwierigsten Fragen."

In den eigenen vier Wänden zu sterben ist in Berlin nichts Ungewöhnliches. Fast die Hälfte der rund 32.000 im letzten Jahr verstorbenen Berliner hat zu Hause oder in einem Hospiz seine letzten Stunden verlebt. In Berlin gibt es neben Visite vom Humanistischen Verband weitere 19, von Ehrenamtlichen getragene ambulante Hospize, die über die "Zentrale Anlaufstelle Hospiz" vernetzt sind. Dazu kommen neun stationäre Einrichtungen, weitere sind in Planung. Etwas Besonderes ist das Berliner Modellprojekt Home Care, ein Zusammenschluss von Ärzten, die jährlich 2000 Krebspatienten im Endstadium zu Hause betreuen.

"Es ist so, dass dieses Seminar soll sehr realitätsnah sein."

Gudrun Ott-Meinhold leitet gerade ein Seminar in den Räumen der Bundeszentralstelle Patientenverfügung.

"Deshalb machen wir ein Wochenend-Seminar, das nennt sich'Die letzten 36 Stunden', wo wir realitätsnah so eine Situation durchspielen, wie es sein kann, wenn ein Mensch zu Hause stirbt."

Zehn Frauen und zwei Männer, zwischen 20 und 60 Jahren alt, sitzen dicht gedrängt in dem kleinen Zimmer. Es ist mit Kommode, Bett, altmodischer Nachttischlampe und schweren Gardinen wie das Zimmer einer alten Dame eingerichtet. Auf der Kommode türmen sich Inkontinenzwindeln, Wasserkocher und Medikamente, davor ein Toilettenstuhl. An der Wand steht ein Krankenhausbett mit hydraulisch verstellbarem Kopfteil, drinnen liegt eine Schaufensterpuppe - die soeben verstorbene Martha Muster. Kursleiterin Gudrun Ott-Meinhold:

"Ich habe mir eine Geschichte ausgedacht, dass eine Frau, Martha Muster aus dem Krankenhaus entlassen wird und ihren 75. Geburtstag zu Hause feiern kann. Es ist nicht selten, dass Leute gerade auf solchen Höhepunkten sterben, und dann sitzt die ganze Gesellschaft da, was machen wir da, wie verhalten wir uns jetzt."

Im Nebenzimmer der Toten ist ein große Tafel aufgetischt: Es gibt Kaffee und Kuchen, Salate und Brot mit Käse und Wurst. Hier haben die Seminarteilnehmer gestern "Happy Birthday" gesungen und mit Sekt auf den 75. von Martha Muster angestoßen. Die musste sich anschließend erstmal ein bisschen ausruhen. Plötzlich hat dann die Tochter festgestellt, dass ihre Mutter nicht mehr atmet.

"Wir hatten gestern die Situation: Müssen wir den Notarzt rufen oder nicht, wie müssen wir uns verhalten? Das haben wir anhand der Patientenverfügung rausgefunden: dass, wenn ihr was passiert, wir nicht den Notarzt rufen müssen, sondern ihren Hausarzt anrufen."

Heute sitzt die Gruppe um die große Tafel herum und erwartet den Herren von der Bestattungsfirma.

"Hallo, wer ist der Ansprechpartner, die Töchter, machst du das am besten, ich bin die Carola Muster, angenehm, schön dass Sie gekommen sind, herzliches Beileid, wollen sie hier platz nehmen, Aktenkoffer, raus … kann was zu trinken anbieten, danke."

Bernd Nikowitsch, standesgemäß im schwarzen Anzug, öffnet seinen Aktenkoffer:

"Bei Ihnen ist also die Mutti verstorben, ja unsere Mutti ist gestern verstorben, gestern…"

Die Seminarteilnehmer sollen im Trauerfall verstörten Angehörigen mit Rat und Tat hilfreich zur Seite stehen. Wer weiß, was auf ihn zukommt, kann da leichter gelassen bleiben:

"Wir haben Abschiednahmeräume, das heißt Abschiednahmen werden am offenen Sarg vorgenommen, dass man auch die Individualität der Verstorbenen beachten kann, ihr einen letzten Brief mitgeben, eine kleine Blume, vielleicht das Lieblingsplüschtier. Man kann sie entsprechend herrichten, die Haare frisieren, sie schminken, dafür bräuchten wir eine Vorlage, ein aktuelles Foto, denn die tantologischen Zersetzungen sind auch bei einem Verstorbenen, der gekühlt wird, voranschreitend."

Die Schmuckdesignerin Verena Pilz zählt mit 23 Jahren zu den jüngsten Teilnehmern der Gruppe:

"Für mich hat das nichts mit dem Alter zu tun, sondern ich war und bin sehr wissbegierig, was das Thema angeht. Unsere Kursleiterin sagt oft: Sterbebegleitung ist Lebensbegeleitung."

Verena Pilz und die anderen Seminarteilnehmer haben schon damit angefangen, kranke und alte Menschen zu begleiten. Darunter Menschen wie Gisela Moltzahn. Obwohl die 86-Jährige noch mobil ist, wohnt sie inzwischen in einem Heim in Berlin-Charlottenburg. Früher hatte sie immer wieder betont, lieber sterben zu wollen, als in einem Pflegeheim zu leben.

"Ich hatte eine hübsche Wohnung, und ich hatte Angst, dass ich da sehr bevormundet werde, solange ich meinen Kopf noch habe, will ich selbst bestimmen, was ich am Tage machen möchte."

Die Diplompsychologin Gita Neumann vom Humanistischen Verband findet, dass zur Patientenautonomie am Lebensende auch gehört, sich an einem bestimmten Punkt bewusst für das Sterben entscheiden zu können:

"Ich bin betrübt darüber, dass die Möglichkeiten, die wir nun haben, von vielen gar nicht ausgeschöpft werden, dass ich durch den Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen, im Extremfall verzichten kann auf Essen und Trinken, dass nur noch Mundpflege und Palliativpflege in Anspruch nimmt, dann habe ich das selbst in Hand."

Für jeden, der das möchte, ermöglicht das neue Gesetz zur Patientenverfügung die Selbstbestimmung bis zum letzten Atemzug.