"Wir würden für unsere Würde sterben"

Moderation: Stephan Karkowsky · 17.07.2012
Müssen sich die Frauen der Tuareg bald verschleiern? Wird ihre Kultur unterdrückt? Die Islamisten sind in Mali auf dem Vormarsch. Doch die Tuareg werden sich gegen jede Form der Repression zur Wehr setzen, sagt der malische Musiker Ousmane Ag Mossa.
Stephan Karkowsky: Mittlerweile ist der Pakt mit den Islamisten zerbrochen - die Tuareg-Rebellen haben ihren letzten Stützpunkt im Norden Malis verloren. "Wir sind froh, dass wir derzeit in Europa sind" – das sagt Ousmane Ag Mossa mit hörbarer Erleichterung: Seine Tuareg-Band Tamikrest aus Mali ist seit Ende Mai auf Tournee – ob sie Mitte August in ihre umkämpfte Heimat zurückkehren kann, das wissen die jungen Musiker noch nicht. Ich begrüße im SWR-Studio Stuttgart den Bandleader von Tamikrest, Ousmane Ag Mossa, bonjour!

Ousmane Ag Mossa: Bonjour!

Karkowsky: Monsieur Mossa, wir würden gern mehr von Ihnen erfahren über die Tuareg. Wir wissen schon, es sind keine Araber. Die Araber verballhornen das Wort Tuareg gern zu Tawariq, also "Die von Gott Verstoßenen". Welche Rolle spielt eigentlich die Religion bei den Touareg?

Ag Mossa: Wir praktizieren den Islam, aber als wir den Islam angenommen haben für uns, da wurde er uns nicht kriegerisch aufgezwungen, sondern wir haben es aus freien Stücken entschieden und wir haben es mit gewissen Bräuchen unserer eigenen Kultur verbunden. Und ich würde sagen, das ist eine sehr tolerante Form des Islam. Also keine sehr strenge Auslegung zum Beispiel, was die Scharia anbetrifft, so wie sie jetzt im Norden, vor allem in der Wüste, praktiziert wird.

Karkowsky: Und genau dagegen, gegen die Scharia, haben ja vor allem die Frauen der Tuareg früh demonstriert. Welche Rolle spielen denn die Frauen im Volk der Tuareg?

Ag Mossa: Also, die Frau ist alles für uns, sie spielt eine ganz, ganz wichtige Rolle bei uns in der Gemeinschaft. Eine Form der Unterdrückung hat es bei uns, in unserer Geschichte, eigentlich nie gegeben.

Karkowsky: Dann reden wir über die Musik. Gibt es eigentlich so etwas wie typische Tuareg-Musik oder spielen alle Tuareg-Bands etwas anderes?

Ag Mossa: Also fangen wir vielleicht ein bisschen mit der traditionellen Tuareg-Musik an. Das hat mit Flöten funktioniert und dann Drums, also Tam-Tam, das ist hauptsächlich von Frauen gespielt worden. Man muss sagen, diese traditionelle Musik wurde hauptsächlich von Frauen gespielt. Und dann haben wir auch praktisch eine Art Geige, das ist ein eigenes Instrument, das auch eine wichtige Rolle spielt. Und vielleicht Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre hat es dann in Libyen eine Band gegeben, die diesen Asuf-Stil begründet hat. Das war dann eine etwas modernere Musik und da war es eben auch wichtig, gerade den jungen Tuareg eine Art Message eben auch zu vermitteln, ihnen auch klarzumachen, wo sie herkommen, wo wir herkommen. Und was die verschiedensten Bands angeht, die Tuareg-Musik spielen: Natürlich unterscheidet man sich da, jeder Musiker spielt die Instrumente natürlich auch ein bisschen anders. Aber all das ist natürlich Tuareg-Musik.

Karkowsky: Und wie wichtig ist Musik insgesamt für die Kultur der Tuareg? Welche Rolle spielt sie?

Ag Mossa: Die Musik spielt eine ganz große Rolle bei uns. Sie ist unglaublich wichtig. Wir sind ja ein sehr, sehr altes Volk. Wir schauen ja auf eine tausendjährige Geschichte zurück, und wir haben immer die Wüste bewohnt. Und in den 1960er-Jahren hat es dann eben diese geografische Aufteilung gegeben, sodass die Tuareg plötzlich verschiedensten Staaten angehört haben. Aber in den Massenmedien dort haben wir eigentlich überhaupt keine Rolle gespielt, im Radio oder im Fernsehen.

Das heißt, wir hatten nur und wir haben nur die Musik, um unsere Kultur, um unsere Tradition weiterzugeben und auch zum Beispiel über unser Leben, über die Unterdrückung zu reden, der wir ausgesetzt sind. Und die Musik ist auch die einzige Möglichkeit, die wir haben, um zu reisen, und eben dadurch auch unsere Kultur und unsere Musik überall woanders vorzustellen.

Karkowsky: Sie hören im Radiofeuilleton Ousmane Ag Mossa, er ist der Bandleader von Tamikrest, einer Tuareg-Band aus Mali, und von denen hören wir jetzt erst mal einen Song, nämlich "Warktifed".

(…)

Karkowsky: "Warktifed" hieß dieser Song von der malischen Tuareg-Band Tamikrest. Entnommen dem Album "Songs for desert refugees". Das ist eine Zusammenstellung von Musik der südlichen Sahara, deren Einnahmen kommen den Wüstenflüchtlingen aus dem Norden Malis zugute. Nicht geflüchtet, sondern auf Europatournee ist die Band Tamikrest. Am Samstag waren Tamikrest zu sehen beim Sommerfestival der Kulturen in Stuttgart. Nächsten Freitag treten sie auf in Augsburg beim Festival der Kulturen. Der Bandleader ist Ousmane Ag Mossa. Monsieur Mossa, was war das für ein Song, den wir gerade gehört haben, "Warktifed", wovon erzählt der?

Ag Mossa: Nun, praktisch in all unseren Songs, auch in diesem Song "Warktifed" reden wir von den Schwierigkeiten, die wir haben, die das Tuareg-Volk hat. Wir sind ein Nomadenvolk, und es ist sehr schwer, unseren Lebensstil immer durchzusetzen, weil wir auch gezwungen sind, uns ganz viel zu bewegen, auch innerhalb der Wüste. Und unsere alltäglichen Probleme sind natürlich auch Durst und Hunger und Wasser finden – und davon handeln unsere Songs.

Karkowsky: Sollten sich nun in den klassischen Tuareg-Staaten, also in Ihrem Fall Mali, aber auch Algerien, Niger oder Libyen, Islamisten durchsetzen, die womöglich sogar Al Kaida nahestehen, was für Folgen hätte das denn dann für die Kultur der Tuareg, und ganz speziell für ihre Musik.

Ag Mossa: Nun, das ist eine sehr schwierige Frage. Und es ist mir auch ein bisschen zu politisch. Ich bin kein Diplomat, ich bin kein Politiker. Ich kann Ihnen hier lediglich meine Meinung als Künstler sagen, und die ist, dass seit etwa zehn Jahren in der Wüste sehr viele terroristische Gruppen operieren, und es sind sehr viele Gelder ausgegeben worden auch vom Westen, um diese terroristischen Gruppen zu bekämpfen, aber sie haben sich gehalten. Es ist einfach so, dass diese terroristischen Gruppen als erstes Ziel auch haben, die Scharia durchzusetzen, ihre eigenen Traditionen durchzusetzen. Und wir, die Tuareg, haben mit der Scharia überhaupt nichts zu tun. Ich habe sogar das Gefühl, dass sie uns daran hindern wollen, uns, die Tuareg, ein eigenes Gebiet zu haben und eine wirkliche Unabhängigkeit zu haben. Und man muss einfach sagen, diese terroristischen Gruppen, das sind Fremde bei uns im Land. Und das ist vielleicht das, was ich als Künstler jetzt dazu sagen kann. Ja, und dann muss man vielleicht noch sagen, dass diese terroristischen Gruppen von einigen Generälen gesteuert werden, die den Geheimdiensten dieser Staaten nahestehen.

Karkowsky: Nun wollen wir noch weiter über Ihre Musik reden und über die Texte, in der Sie all diese Erfahrungen verarbeiten. Zunächst einmal hören wir sie noch mal, die Band meines Gesprächspartners Ousmane Ag Mossa, Tamikrest aus Mali mit "Aratane N'Adagh".

(…)

Karkowsky: "Aratane N'Adagh" von der malischen Band Tamikrest, deren Bandleader Ousmane Ag Mossa im SWR-Studio Stuttgart mit uns verbunden ist. Monsieur Mossa, in diesem Lied machen Sie sich Sorgen um den Nachwuchs, um die Kinder der Tuareg, die diskriminiert werden und zu oft abgeschnitten sind von Bildung. Wie haben Sie denn selbst Ihre Kindheit in Mali erlebt, einem Land, in dem es 30 verschiedene Ethnien gibt?

Ag Mossa: Nun, das war auch einer unserer ersten Texte, die wir als Band Tamikrest überhaupt geschrieben haben, und mir ist es unglaublich wichtig, dieses Problem der Bildung unserer Kinder, dieser Kinder der Wüste. Und ich war in der glücklichen Lage, dass ich in einer Schule gelernt habe, die eben nicht vom Staat, das war keine staatliche Schule, sondern das war eine Schule in einer Grenzregion, die auch mit europäischen Geldern unterstützt worden ist. Da haben wir dann beispielsweise immer am Jahresende große Feste gefeiert und unsere Lieder gespielt, wo wir von unseren Problemen erzählt haben.

Das Wichtigste ist eben, dass gerade in dieser Wüstenregion Kinder nur sehr selten zur Schule gehen, und dass sie keine besondere Schulbildung genießen, und dass es einem Staat wie Mali auch nicht so sehr wichtig ist, ihnen Bildung anzubieten. Das Problem ist nämlich, dass sie neben einem Brunnen ein Haus bauen und jetzt sagen, dieses Haus ist jetzt eine Schule. Das funktioniert vielleicht in den Städten, wo Leute einfach einen festen Wohnsitz haben. Aber Sie dürfen nicht vergessen, die Tuareg sind Nomaden, sie ziehen immer wieder herum, und sie sind auch auf der Suche nach Wasser, nach Nahrung, und da kann man nicht mit solchen festen Gebäuden operieren und sagen, das ist hier jetzt die Schule. Aber man muss einfach auch sagen, das Regime in Mali hat sich um diese Fragen nicht wirklich gekümmert, denen war es nicht wirklich wichtig, dass unsere Kinder, dass die Tuareg-Kinder eine gewisse Erziehung einfach auch bekommen.

Karkowsky: Mitte August ist Ihre Europatournee beendet, dann stellt sich für Sie die Frage, was machen Sie dann? Wenn Sie nach Hause kommen würden, müssten sich dann Ihre Frauen verschleiern? Und wäre womöglich Ihre Musik verboten?

Ag Mossa: Also wir werden das niemals akzeptieren. Wir werden uns niemals etwas aufzwingen lassen. Und wir müssen ja auch nicht notwendigerweise in die Regionen zurückgehen, die von Islamisten besetzt sind. Sondern wir können in Wüstenregionen gehen, in denen wir dann einfach noch freier sind. Und unsere Frauen werden sich das auch niemals gefallen lassen, sie werden das niemals akzeptieren, sich zu verändern. Wir sind ein Volk, das frei sein will, das seine Freiheit liebt, und wir würden eher für unsere Würde sterben, als uns irgendetwas aufoktroyieren lassen. Und ich hoffe allerdings auch, dass es eines Tages wieder so sein wird, wie es einmal war.

Und was ich noch mal hinzufügen möchte, ist einfach, dass diese terroristischen Gruppen – ihr Ziel ist es nicht nur, die Scharia und ihre eigene Justiz durchzusetzen, sondern ihr wirkliches Ziel besteht darin, uns, die Tuareg – dass wir unsere Ziele aus den Augen verlieren, dass wir mit unseren Traditionen dann brechen.

Karkowsky: Können Sie und Ihre Bandmitglieder sich denn vorstellen, bei einer Rückkehr in die Wüste die Instrumente gegen Waffen zu tauschen und sich dem bewaffneten Kampf für die Rechte der Tuareg zum Beispiel bei den MNLA-Milizen anzuschließen?

Ag Mossa: Also ich denke immer zuerst an Musikinstrumente. Ich denke nicht zuerst an Waffen. Aber ich denke natürlich in vorderster Linie immer auch an die Freiheit meines Volkes.

Karkowsky: Wir wünschen in jedem Fall von hier aus alles Gute und weisen noch einmal hin auf das nächste Konzert der Band Tamikrest. Am Freitag, dem 20. Juli sind sie live zu sehen in Augsburg beim Festival der Kulturen. Und da wird man dann womöglich auch den letzten Titel hören können, den wir heute spielen: "Aratan N Tinariwen". Herr Mossa, worum geht es da?

Ag Mossa: Also das ist ein Stück, das die Wüste feiert, die Schönheit der Wüste beschreibt, all das, was die Wüste ausmacht, darum geht es hauptsächlich in diesem Song.

(…)

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Mehr zum Thema bei dradio.de:
"Es hat sowieso keine Demokratie in Mali gegeben" - Der Journalist Paul Mben über Terroristengruppen in Mali und die Situation der Flüchtlinge
"Es geht darum, Götzen zu zerstören" - Islamwissenschaftler Seesemann über den religiösen Vandalismus in Mali
Islamisten zerstören Weltkulturerbe in Mali - Gräber der Djingareyber-Moschee in Timbuktu eingerissen
Kommentar: Ein Alptraum wird wahr - Islamisten setzen Zerstörung von Moscheen in Mali fort
Mehr zum Thema