"Wir wollen nicht so massiv in die Lohnpolitik eingreifen"

Philipp Mißfelder im Gespräch mit Hanns Ostermann · 14.11.2011
In der Diskussion um den Mindestlohn unterstützt der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder, einen Verzicht auf eine einheitliche gesetzliche Regelung. Kurz vor dem CDU-Bundesparteitag in Leipzig rief der Politiker seine Partei dazu auf, bei dem Thema an einem Strang zu ziehen.
Hanns Ostermann: Nein, vergnügungssteuerpflichtig sind Parteitage nun wirklich nicht! Wer vor einem Buch sitzt, das auf über 400 Seiten Änderungsanträge auflistet, der dürfte eher denken, warum tue ich mir das eigentlich an? Vielleicht der Sache wegen, vielleicht, weil es hin und wieder ja auch spannend werden kann! Atompolitik, Bundeswehr, Hauptschule und zuletzt der Mindestlohn - die CDU-Führung hat in den vergangenen Monaten eine Kehrtwende nach der anderen vollzogen und auch gestern wieder etwas Neues präsentiert.

Eine Kommission soll sich jetzt mit den Lohnuntergrenzen beschäftigen frei nach dem Motto: Wenn du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis! Philipp Mißfelder ist Vorsitzender der Jungen Union und Mitglied im Präsidium der CDU und jetzt am Telefon, guten Morgen, Herr Mißfelder!

Philipp Mißfelder: Guten Morgen, Herr Ostermann!

Ostermann: Warum fürchtet die Parteispitze eine offene Debatte wie der Teufel das Weihwasser?

Mißfelder: Nein, das tun wir nicht. Wir haben ja sehr, sehr offen gestern debattiert. Also, wenn ich an unsere Diskussion denke innerhalb unseres eigenen Landesverbands zum Thema Lohnuntergrenze, dann diskutieren wir da sehr offen und auch sehr fachbezogen. Also, insofern gibt es schon Diskussion. Trotzdem ist der Wunsch der Parteispitzen natürlich vorhanden, dass man versucht, möglichst Konsens zu erzielen und es eben nicht bei jedem Sachthema zu einem offenen Streit kommen zu lassen.

Ostermann: Warum nicht?

Mißfelder: Wir haben ja sehr gute Erfahrungen gemacht vergangenes Jahr mit der PID-Debatte, wo es wirklich ja auf dem Parteitag über Stunden ein Ringen gab um die Lösung oder um ein Ergebnis, einen Kompromiss konnte es dort ja nicht geben. Bei den anderen Sachthemen, die Sie gerade auch aufgezählt haben, ist es ja so, dass häufig dann, wenn es Diskussionen gibt, vor allem von Streit die Rede ist. Und das ist, glaube ich, ein Problem unserer Zeit heute, dass, wenn man ausführlich diskutiert, dass sofort alle sagen, die Partei ist nicht geschlossen und zerstritten. Und vor dem Hintergrund kann ich den Wunsch der Parteiführung schon grundsätzlich nachvollziehen.

Ostermann: Also wollen Sie vor allem nach außen hin den Eindruck erwecken, in der CDU herrscht so etwas wie Geschlossenheit? Aber das kann man doch eigentlich nicht sagen, denn es gibt klare Befürworter eines flächendeckenden Mindestlohnes, ich denke zum Beispiel an den nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden?

Mißfelder: Ja, das ist richtig, das haben Sie ja richtig beschrieben. Und was wichtig ist, dass wir auf diesem Parteitag, auch wenn wir in manchen Punkten anderer Meinung sind, dass wir aus diesem Parteitag trotzdem mit gemeinsamen Beschlüssen herausgehen und alle sich dann auch daran halten und man dann nachher trotzdem wieder von Geschlossenheit sprechen kann. Weil, in der jetzigen Zeit, in der sich die CDU befindet, in der sich unser Land befindet, müssen wir eine geschlossene Regierungspartei haben. Alles andere würden uns die Wähler nicht verzeihen.

Ostermann: In der Konsequenz könnten wir aber zukünftig auf, ich sag mal, hundert verschiedene Lohnuntergrenzen kommen, das schwebt der CDU ja vor - zumindest der Parteivorsitzenden. Viele dürften damit weiter mit Hungerlöhnen ihr Dasein fristen. Wie passt das eigentlich zu einem christlichen Menschenbild?

Mißfelder: Ja, da sprechen Sie einen ganz wichtigen Punkt an. Natürlich gibt es Verwerfung am Arbeitsmarkt. Und ich unterstütze trotzdem unsere Kanzlerin, dass sie sagt, kein gesetzlicher Mindestlohn, und vor allem, dass es Differenzierungen im Bereich des Mindestlohns geben muss. Ich nenne mal ein Beispiel: Ich selber komme aus Nordrhein-Westfalen, Ruhrgebiet, wo die Löhne traditionell wegen starker Gewerkschaften seit Jahrzehnten sehr hoch sind. Dort gibt es auch in Teilen Verwerfung, aber nicht so massiv.

Wenn wir zum Beispiel in den Urlaub fahren nach Mecklenburg-Vorpommern, freuen sich viele in Nordrhein-Westfalen darüber, dass es dort so günstig ist, und fahren dann noch mal dorthin. Fragt man aber auch gleichzeitig, warum ist es eigentlich so günstig in Mecklenburg-Vorpommern, liegt es natürlich daran, dass in der Gastronomie wirklich Niedrigstlöhne gezahlt werden. Und in unserer Gesellschaft gibt es bei uns einen Trend natürlich nach billig, billig, billig, und dieser Trend vor allem hat ja dazu geführt, dass überhaupt diese Lohnentwicklung in Gang gesetzt worden ist. Backshops, andere Handwerke, Handwerke sind unter Druck gesetzt worden, weil es eben eine Veränderung auch in der Geschäftswelt, in dem ganzen Umfeld gegeben hat. Und das, die Schuld an niedrigen Löhnen kann man ja schlecht der Politik geben. Die Politik wird dieses Problem auch nicht lösen.

Ostermann: Aber die Politik oder die CDU ist doch verantwortlich dafür, dass Menschen von ihrer Arbeit leben können. Oder liege ich da völlig falsch?

Mißfelder: Dieser Satz ist auch in der CDU umstritten. Wenn jemand sagt, jemand, der Vollzeit arbeitet, muss von seinem Lohn leben können, dann hat er grundsätzlich die Sympathien aller auf seiner Seite. Das kann auch funktionieren, das könnte auch mit einem Mindestlohn von 7,80 Euro beispielsweise funktionieren, weil, eine alleinstehende Person ohne Kinder würde dann mit 7,80 Euro etwas mehr sogar bekommen, als dass er in Hartz IV sich befindet.

Wenn man es auf Westdeutschland bezieht und das genau ausrechnet, dass ein Hartz-IV-Empfänger, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, dass er von seinem Lohn leben soll oder sich einfach selbst versorgen soll und seine Familie, müsste der Mindestlohn schon bei 13 Euro sein. Und insofern sehen Sie an diesem Beispiel ja schon, es ist etwas differenzierter und auch komplizierter. Weil, dann würde ja jeder rufen, ja, wieso denn, Mindestlohn von 7,80 Euro reicht doch gar nicht aus, denn die Person, die ich gerade beschrieben habe, verheiratet, zwei Kinder - und das ist ja relativ ein wahrscheinliches Beispiel, nicht ganz an den Haaren herbeigezogen -, kommt ja mit seinem Geld immer noch nicht aus. Sodass Sie sehen, wir bewegen uns in einem Überbietungswettbewerb, den wir nicht gewinnen können.

Ostermann: Trotzdem, Herr Mißfelder: Die CDU geht ja auf diesem Gebiet zwei Schritte voran, denke ich an die Diskussion vor 14 Tagen, drei Wochen, und dann wieder mindestens anderthalb Schritte zurück. Liegt das vielleicht auch daran, sich für 2013, für die nächsten Wahlen, alle Optionen offenzuhalten?

Mißfelder: Ja, in der Politik hat natürlich immer auch alles mit Wahlen zu tun, das beschreiben Sie richtig, das würde ja überhaupt keinen Sinn machen, das jetzt zu leugnen und zu sagen, ja, das haben alle frei von Wahlen entschieden. Das ist nicht nur eine reine Sachentscheidung, wie Sie richtigerweise beschreiben. Aber in der Tat ist es so, es ist auch keine richtige Überraschung gewesen. Die CDA, die Sozialausschüsse haben seit Monaten für eine gesetzliche Regelung geworben und das hat die Parteiführung sowieso nicht gewollt, sondern hat gesagt, wir wollen nicht so massiv in die Lohnpolitik eingreifen. Und das ist keine Überraschung, dass das sozusagen von unten gewachsen ist, weil viele Kreisverbände haben sich der Forderung von Karl-Josef Laumann angeschlossen. Und dann kam es letztendlich zu der Zuspitzung in der Antragskommission im Bundesvorstand gestern, sodass wir hier auch jetzt Entscheidungen treffen müssen.

Ostermann: Die Partei verrät ihre Seele, hat vor Kurzem Jörg Schönbohm festgestellt, der frühere Innenminister Brandenburgs. Wo sind eigentlich die Alleinstellungsmerkmale Ihrer Partei?

Mißfelder: Ja, Sie haben ja vorhin einige Schlaglichter aufgezählt und das ist natürlich im Einzelfall immer, na ja, etwas anders gewesen, als dass nur Angela Merkel diese Themen aufgegeben hätte. Nehmen wir beispielsweise die Wehrpflicht, die vor einem Jahr in Stuttgart, auf dem Bundesparteitag ist Karl-Theodor zu Guttenberg umjubelt worden und nur zwei oder drei Leute haben überhaupt dagegen gestimmt, die Wehrpflicht auszusetzen. Heute möchte es in weiten Teilen keiner mehr gewesen sein. Also, das muss man auch ehrlichkeitshalber feststellen.

Das zweite Beispiel, was Sie genannt haben, die Hauptschule, ist ein Thema, was die Gemüter sehr bewegt, übrigens auch mein Gemüt sehr stark bewegt, weil ich möchte, die Hauptschule weiter haben. Dort, wo sie funktioniert, muss sie weiter existieren, ich möchte nicht diesen Einheitsbrei und diesen massiven Eingriff von Landesregierungen, den Leuten vor Ort vorzuschreiben, welche Schulform die beste ist. Und das haben wir mit unserem Schulfrieden in Nordrhein-Westfalen erreicht, dass zukünftig kommunal vor Ort entschieden wird.

Und im Übrigen ist das auch der Kompromiss, den wir jetzt in unserem Papier haben. Also, die nordrhein-westfälische CDU hat massiv darauf gedrängt, dass im Leitantrag auch weiterhin die Rolle der Hauptschule ganz klar ist und dass das vor Ort entschieden wird.

Ostermann: Also, Ihre Seele verkaufen Sie und verraten Sie nicht?

Mißfelder: Also, das meine ich nicht. Ich bin ja in der Bundestagsfraktion als Außenpolitiker für unsere Außenpolitik verantwortlich und da gibt es ja auch sehr viele Themen, die sehr kritisch zu sehen sind, denken Sie an die Libyenentscheidungen zurück. Aber im Großen und Ganzen bin ich der Meinung, die CDU ist nach wie vor das, wofür ich auch einstehen kann. Meine Seele verkaufe ich dabei nicht.

Ostermann: Philipp Mißfelder, Vorsitzender der Jungen Union und Mitglied im Präsidium der CDU. Herr Mißfelder, danke für das Gespräch heute früh!

Mißfelder: Herzlichen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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