"Wir wollen mehr Europa mit einer größeren Haushaltsdisziplin"

Giulio Tremonti im Gespräch mit Peter Lange · 02.06.2012
In Europa wird es mittelfristig Eurobonds geben, sagt der langjährige Finanz- und Wirtschaftsminister in Italien, Giulio Tremonti. Voraussetzung dafür sei eine größere Haushaltsdisziplin der einzelnen Länder. Allerdings dürfe man nicht warten, bis die Haushalte vollständig konsolidiert seien.
Deutschlandradio Kultur: Am Mikrofon begrüßt Sie Peter Lange. Herzlich willkommen, meine Damen und Herren zu einer weiteren Folge unserer Veranstaltungsreihe Tacheles, das Aspen-Forum. Diesmal melden wir uns aus dem Regent-Hotel in Berlin, und zwar mit einem Gesprächsgast, der die italienische Politik in den vergangenen zehn, zwöl Jahren maßgeblich geprägt hat nach einer an sich schon beeindruckenden Karriere als Hochschullehrer, Fachanwalt für Steuerrecht, Regierungsberater. Viermal, mehr als insgesamt sieben Jahre, war er unter Silvio Berlusconi Finanz- und Wirtschaftsminister in Italien, viele sagen, das "seriöse Aushängeschild" dieser Regierung.

Begrüßen Sie mit mir ganz herzlich Professor Giulio Tremonti.

Ich verrate Ihnen gleich zu Beginn ein Geheimnis. Ich wollte mit ihm über Italien sprechen. Er wollte über Europa sprechen. Wir haben bis kurz vor dieser Veranstaltung über das Mischungsverhältnis verhandelt. Ganz einig geworden sind wir uns nicht. Wir machen erstmal beides und ich erlaube mir, mit Italien einfach mal anzufangen.

(Originalfassung zum Nachhören: Beitrag in Tacheles, Deutschlandradio Kultur (MP3-Audio) Giulio Tremonti im italienischen O-Ton)

Herr Tremonti, Italien steckt in der schwersten Krise seit Jahrzehnten – Misswirtschaft, Korruption. Teilen Sie die Auffassung Ihres Ministerpräsidenten Mario Monti, dass der Profifußball für zwei Jahre stillgelegt werden sollte?

Giulio Tremonti: Nein, ich bin nicht damit einverstanden. Denn zu dem, was Sie zur Wirtschaftskrise gesagt haben, in der wir stecken, kommt jetzt auch noch die sportliche Krise. Diese jetzt auszusetzen, ist nicht die richtige Lösung. Wenn es in der Fußballwelt Probleme gibt, kann man die nur lösen, indem man die Fußballwelt angeht und sie auch erhält. Andererseits gab es einige Jahre eine ähnliche Krise 2005/ 2006, wenn ich mich recht erinnere. Und Italien hat die Weltmeisterschaft gewonnen.

Deutschlandradio Kultur: Es gibt eine nicht ganz valide These, die beschreibt einen Zusammenhang zwischen dem Zustand des Fußballs und dem Zustand der Gesellschaft. Wenn ich auf den Fußball schaue, weiß ich also, ob die Gesellschaft funktioniert. Ist in Italien im Moment der Fußball ein bisschen Spiegelbild der Gesellschaft?

Giulio Tremonti: Sehen Sie, Italien ist ein ernsthafteres und solideres Land als das, was man allgemein denkt. Ich bin der Meinung, dass wir ein wichtiges und auch ein ernsthaftes Land sind.

Deutschlandradio Kultur: Dann kommen wir zu den ernsten Sachen. Im Moment gibt es fast täglich Meldungen über das Erdbeben in der Emilia Romagna. Es gibt neue Beben an den Finanzmärkten. Italien bekommt neue Kredite nur gegen hohe Zinsen. Wir hören von Berichten über die Selbstmorde von Menschen, die ihre Häuser und Wohnungen nicht mehr abzahlen können – eine ganze Serie schlechter Nachrichten. Wie erleben Sie im Moment das gesellschaftliche Klima in Italien?

Giulio Tremonti: Ich glaube, es ist unmöglich zu verstehen, was in einem europäischen Land passiert, wenn man nicht versteht, was geschehen ist, geschieht und weiterhin auch auf weltweiter Ebene geschehen wird. Wenn man nicht versteht, was für positive und negative Effekte die Globalisierung hat, wenn man nicht versteht, welche Wirkung das auf Europa hat, dann versteht man natürlich auch nicht, was im eigenen Land entsteht – sowohl positiv als auch negativ. Das versteht man in Italien nicht, in Frankreich und auch in Deutschland nicht.

Ich denke, dass wir immer eine große allgemeine Vision haben müssen, die sich mit der globalen Realität deckt, in der wir leben. Wir können nicht lokal denken. Wir können nicht nur an unser Land denken, Italien und Deutschland, jeder für sich, wenn wir nicht den größeren Kontext sehen, in dem sich die aktuellen Phänomene entwickeln.

In 20 Jahren ist die ganze Struktur der Welt und ihre Geschwindigkeit aus den Fugen geraten. Die wirtschaftlichen Entwicklungen in Asien haben auch die Strukturen und die Geschwindigkeit der Welt wirklich verändert. Das spiegelt sich jetzt schon in unserem persönlichen Leben wider.

Deutschlandradio Kultur: Das ist jetzt aber ein sehr, wenn Sie erlauben, abstrakter Erklärungsansatz, ein sehr globaler. Was sagen Sie einem italienischen Durchschnittsbürger, der jetzt Probleme hat, sein Business, sein kleines Geschäft weiter zu betreiben, der davor Angst hat, dass er seine Raten nicht mehr abbezahlen kann oder der morgen vielleicht arbeitslos wird? Oder was sagen Sie den jungen Leuten, die keine Jobs haben?

Giulio Tremonti: Ich denke nicht, dass das eine abstrakte und generelle Erklärung ist. Denn wenn man tatsächlich den großen Rahmen nicht versteht, dann versteht man auch nicht die einzelnen Phänomene. Und man versteht nicht, wie sich die Welt verändert hat. Natürlich muss man dann auch über sein eigenes Land reden, aber ich versuche mich dem über den großen Rahmen zu nähern.

Reden wir über Europa. Wenn man denkt, dass Italien das Problem ist, dann ist das vielleicht nicht mehr so. Das Problem pflanzt sich fort, ist auch in anderen Ländern. Vielleicht kommt es auch nach Deutschland. Nicht Italien ist das große Problem Europas. Europa lebt jetzt in der Gegenwart. Man darf aber die historische Dimension nicht vergessen, den Zeitgeist, wie man auf Deutsch sagt. Wenn man den nicht versteht, dann versteht man eben das Eigentliche nicht.

Deutschlandradio Kultur: Trotzdem noch mal nachgefragt: Mein Verdacht ist immer, wenn Leute von dem Problem der Globalisierung reden, dann wird das dargestellt wie eine Art Naturereignis, gegen das man nichts machen konnte. Und oft verkleistert es ja doch nur das Versagen der Eliten, die in den jeweiligen Ländern nicht rechtzeitig reagiert haben, die Probleme nicht rechtzeitig erkannt haben und jetzt eigentlich auch keine Ahnung haben, wie sie damit umgehen sollen.

Giulio Tremonti: Im Jahr 1992, also vor 20 Jahren, habe ich ein Buch geschrieben – wir sind ja in einer Kultursendung, Deutschlandradio Kultur, da kann ich auch von meinen Büchern reden – über die Nationen, die reichen Nationen und die Nationen ohne Reichtum. Auch das spiegelt sich heute wider. Wir haben Nationen ohne Reichtum und Reichtum ohne Nationen. Das habe ich vor 20 Jahren geschrieben.

Dann habe ich auch noch ein Buch über das Gespenst der Wirtschaft geschrieben und darüber, dass Arbeitsplätze verloren gehen, wie die Wirtschaft sich entwickeln wird und dass Asien großen Einfluss hat, dass wir weiter hohe Lebenshaltungskosten im Westen haben werden, aber die Löhne sinken etc. pp. Die Globalisierung ist etwas, was nicht verhindert werden konnte.

An und für sich ist sie positiv. Und sie muss auch von allen Seiten betrachtet werden, von der europäischen Perspektive aus, von Asien aus, aber sie ist in zu kurzer Zeit erfolgt. Es ging alles zu schnell – auch für die politische Dimension. Es geht alles zu schnell. Wenn man denkt, dass die Geographie der Welt und diese enormen Kapitalmassen, die Arbeitsorganisation verändert werden kann in einem Prozess ohne Krisen, ohne Traumata, dann sieht man, dass es besser wäre, längere Zeiten zu haben. Aber die Politik wollte alles ganz schnell, komprimiert und explosiv haben.

Denken Sie, dass in Asien oder Afrika alles in Ordnung ist? Es geht dort gut, solange es Europa gut geht. Denn sie verkaufen ja, sie exportieren nach Europa. Aber wenn sich die Situation in Europa verschlechtert, läuft auch in China oder in anderen Ländern nichts mehr gut. Alles hängt miteinander zusammen.

Sehen Sie: Als die Barbaren in Rom einfielen, sagten die Römer, jetzt beginnt ein dunkles Zeitalter. Und die Barbaren sagen: Warum dunkel? Für uns doch nicht! – Italien ist in seinem Handwerksbetrieb das zweigrößte Land gleich hinter Deutschland und hat sehr viel mehr Ersparnisse als die Auslandsschulden. Man braucht nur einige Daten anzusehen, um zu sehen, dass die Krise für uns nicht unbedingt das ist, was Sie jetzt dargestellt haben. Natürlich, wir haben eine Krise. Wir haben eine dramatische Krise, wie in allen anderen Ländern auch. Aber in anderen Ländern haben wir kein so starkes Handwerk, keine so starken kleine und mittlere Unternehmen. Wir haben hier keine Immobilienspekulation in Italien. Ich möchte nicht nur Negatives sagen.

Deutschlandradio Kultur: Trotzdem ist Italien jetzt auch in Schwierigkeiten. Ist das ein unverdientes Schicksal, was Italien da jetzt trifft?

Giulio Tremonti: Nein. Vielleicht ist es besser, wenn ich noch mal auf Europa zurückkomme. Europa beruht ja auf einem Einigungsvertrag. Die internationalen Verträge sind ja wie eine Ehe. Sie werden für die guten und die schlechten Zeiten geschlossen. Was ich im Laufe der vielen Jahre gesehen habe, ist, dass der europäische Vertrag funktioniert hat. Europa ging es gut, solange die Dinge eben gut gingen. Wenn Sie aber den Vertrag wirklich mal richtig lesen, dann finden Sie nur einen positiven und progressiven Ausdruck.

Es geht immer um Demokratie. Es geht um Umweltbewusstsein. Es geht um Soziale Marktwirtschaft etcetera, etcetera. Das Wort Krise findet man in den europäischen Verträgen überhaupt nicht oder kaum, in zwei ganz isolierten Paragraphen. Es geht da tatsächlich um eine Haushaltskrise in einzelnen Staaten oder Krisen aufgrund von Naturkatastrophen in einzelnen Staaten.
Wir haben einen Zeitraum von 60 Jahren, in dem sich Europa jetzt entwickelt. Da war es eigentlich immer eine gute Situation. Die schlechten Zeiten sind da einfach nicht vorgesehen worden.

Als dann die Krise kam, musste man im Mai 2010 noch mal den Vertrag neu interpretieren. Und man hat eine gute politische Struktur getroffen. Es gab einen europäischen Gipfel, der außergewöhnlich und dramatisch war. Die Entscheidung, die getroffen wurde, war, dass es eine strengere Haushaltsdisziplin geben sollte. Denn man wusste ja, dass man nicht mehr Defizit anhäufen kann als das Bruttoinlandsprodukt. Und man hat sich noch mal auf die "Devolution of Powers" berufen für die einzelnen Nationalstaaten in Europa. Aber es gab dann auch den europäischen Rettungsfonds und eine stärkere Rolle der Europäischen Zentralbank.

Deutschlandradio Kultur: Kommen wir noch mal auf den Ehevertrag, um Ihr Bild aufzugreifen – in guten, wie in schlechten Zeiten. Einer der Eheverträge war der Vertrag von Maastricht. Da stand drin: Keine Staatsverschuldung von mehr als 60 Prozenz des Bruttoinlandproduktes. Damit hat aber Italien immer Schwierigkeiten gehabt, um nicht zu sagen, hat es nie eingehalten.

Giulio Tremonti: Also, tatsächlich war und ist es ein Ziel, das es zu erreichen gilt. Als der Vertrag unterschrieben wurde, ist Italien auf 108 gekommen. Die Schulden Italiens sind dann ja erst nach der Krise wieder gestiegen – aufgrund der Krise.

Was ich hier noch wirklich klären möchte, ist, dass es in Europa und in Italien kaum mehr eine Regierung gibt, die "defizit spending" betreibt. Unsere Staatsverschuldung ist aufgrund der Krise gestiegen, weil natürlich aufgrund der Krise die Zinsen gestiegen sind etc. Wenn Sie sich genau die Wirtschaftsdaten des Europäischen Währungsfonds und der Kommissionen anschauen, dann ist letztendlich aber der Anstieg der Staatsverschuldung in Italien wesentlich geringer als in anderen Ländern. In anderen Ländern ist die Verschuldung sehr viel schneller angestiegen. Ich will jetzt aber nicht zu sehr auf lokale Einzelheiten eingehen.

Deutschlandradio Kultur: Wir sehen jetzt ja ganz verschiedene Ansätze, mit dieser Krise umzugehen in Europa. Jede Regierung hat da ihr eigenes Rezept. Welches Rezept läge Ihnen denn im Moment am nächsten? Macht es Hollande am besten? Macht es Cameron am besten? Macht es Frau Merkel am besten? Wer wäre da für Sie eine Art von Vorbild oder Leitbild?

Giulio Tremonti: Ich denke, die beste und korrekteste Architektur ist das, was wir im Mai 2010 hatten. Wir müssen zurück nach Brüssel. Das war die richtige Struktur. Die Staaten müssen ihre Haushaltsdisziplin einhalten. Es darf nicht mehr Defizit und nicht mehr Staatsverschuldung geben als das Bruttoinlandsprodukt.

Deutschlandradio Kultur: Was Herr Monti im Moment macht, ist im Prinzip richtig?

Giulio Tremonti: Sehen Sie, was Monti zurzeit tut, ist genau das, was im italienischen Haushalt vorgesehen war. Er erkennt das auch an. Er sagt, dass er das umsetzt, was in der Haushaltsplanung schon angelegt war.
Ich denke, er hätte sich weniger auf die Steuern konzentrieren sollen und mehr Ausgaben kürzen. Aber die große Linie für Europa ist letztendlich die, sich auf den eigenen Haushalt zu konzentrieren. Wir wollen ja mehr Europäische Union mit einer größeren Disziplin. Sehen Sie, von Adenauer gibt es eine wunderbare Rede, in der er sagt: Ja, wir wollen mehr Europa. Wir wollen mehr Europa als Deutschland. Wir wollen mehr Europa als die einzelnen Nationen. – Und das ist der Geist, den wir weitertragen sollen.

Deutschlandradio Kultur: Der Unterschied bei Adenauer besteht ja darin, dass er eine Souveränität abgeben konnte, die er sowieso noch gar nicht so richtig hatte. Wären denn die anderen europäischen Länder, wäre Italien bereit, im Sinne einer kontrollierteren Haushaltsführung Souveränität abzugeben?

Giulio Tremonti: Ich weiß nicht, ob ich immer ganz klar bin, aber wir könnten wirklich hingehen und die europäischen Programme, die europäischen Verträge lesen, vor allem das, was im Mai 2010 festgelegt wurde. Dort wird gesagt: Bevor man auf nationaler Ebene den Haushalt verabschiedet, muss man ihn in Europa diskutieren. Man muss ihn gemeinsam revidieren. – Das war ja wirklich eine unglaubliche Verschiebung und ein unglaubliches Abgeben der Macht.

Ich denke, man kann keine gemeinsame Währung haben, wenn man nicht auch mehr Disziplin hat. Da reicht es aber nicht, nur das zu machen. Man braucht eine größere politische, eine größere gemeinsame politische Vision. Darum hat die Europäische Zentralbank im November und dann im Januar eine Trillion Liquidität in das Bankenwesen gepumpt. – Warum? Aufgrund von Verschulden von Italien? Warum?

Weil im europäischen Bankenwesen Probleme herrschen. Die Liquidität ist etwas wie einem Unfallopfer erst mal Sauerstoff geben. Aber wenn man dann im Krankenhaus ankommt, muss man ja mal eine richtige Diagnose stellen, was derjenige überhaupt hat. Und meine Diagnose ist, dass das europäische Bankensystem große Probleme hat, auch natürlich die Staaten, die Schulden haben. Aber die europäische Krise, das, was zurzeit gerade geschieht, man versteht nicht mehr wirklich, welches die Schulden der Staaten und was die Schulden der Banken sind. Es verschwimmt.

Wenn Sie in einem Land eine Krise haben, dann landet sie auch automatisch in den Haushalten der anderen Länder. Der europäische Finanzmarkt verkleinert sich. Alles wird nationalisiert, sehr viel Protektionismus. Das ist genau das Gegenteil von der Logik des Marktes. Wir sind immer weniger europäisch auf dem Markt. Und das ist das Gegenteil von dem, was Europa ja ausmacht.

Deutschlandradio Kultur: Wenn ich das jetzt richtig interpretiere, ist das auch ein Votum für Eurobonds, welche von der Bundeskanzlerin bislang abgelehnt worden sind.

Giulio Tremonti: Sehen Sie, im Jahre 2003, während Italien die Präsidentschaft innehatte, gab es einen Vorschlag für einen neuen Union Bond, für den Delores-Plan. Da hatten wir schon eine negative Antwort aus Deutschland. Auch England hat negativ geantwortet. Man hat sich dann auf die Project-Bonds konzentriert, um die Infrastruktur zu finanzieren etcetra.

Ich selbst habe dann 2010 gemeinsam mit dem Premier von Luxemburg in einem Artikel in der Financial Times eine neue Art Eurobonds vorgeschlagen, unter 60 Prozent der gemeinsamen Emissionen, mit der Idee: Ich spare und dann finanziere ich dich. Also, ich wollte unter den 60 Prozent, die von den europäischen Verträgen vorgesehen sind, bleiben. Aber wenn es in einem Land schlecht läuft, wer kauft dann noch zum Beispiel die Autos dieses Landes? Ich möchte immer eine globale Version, aber ich denke, dass die Eurobonds tatsächlich nur existieren können, wenn es erst eine rigide Haushaltsdisziplin gibt.
Wir brauchen also in Europa eine Haushaltsdisziplin. Und danach können wir dann über die Euro-Bonds reden. Ich hoffe, dass das so gemacht wird, wie in der Financial Times gesagt. Ich hoffe, dass Juncker und Tremonti einen Nobelpreis in einer noch zu definierenden Kategorie bekommen. Wir haben damals gesagt, einen Friedensnobelpreis, den wir dann dafür bekommen wollen.
Aber das ist noch ein langer Weg. Ich denke, dass natürlich über Euro-Bonds zu sprechen bedeutet, dass man einen Einsatz bringen muss, Disziplin haben muss, dass man kontinuierliche Analysen durchführen muss. Ich verstehe nicht, dass man sie von Vornherein ablehnt, sondern ich denke, dass Europa immer auch auf dem Austausch von Ideen beruht, dass man eine Perspektive schaffen muss. – Sie werden kommen, aber nicht sofort.

Deutschlandradio Kultur: Aber wenn Sie das als eine Frage der Reihenfolge darstellen, dann nähern Sie sich ja damit der Position unserer Bundeskanzlerin an, die immer sagt, macht erst mal alle eure Hausaufgaben. Es kann nicht sein, dass wir da irgendwie in Vorlage gehen und uns selber einbringen, bevor nicht bestimmte Dinge in euren Ländern reformiert, geändert und in Ordnung gebracht worden sind.

Giulio Tremonti: In der antiken griechischen Philosophie, nicht der aktuellen, gibt es die Figur des Sophismus. Man muss also eine perfekte Disziplin haben, einen perfekten Haushalt. Dann kannst du die Euro-Bonds machen. Aber wenn du einen perfekten Haushalt hast, dann brauchst du ja keine Euro-Bonds mehr. Das ist so ein logisches Konstrukt, mit dem ich nicht einverstanden bin. Man braucht natürlich Disziplin, aber man braucht auch die Perspektive der Eurobonds, denn es ist eine Perspektive für alle.

Der Effekt von dem, was in Griechenland passiert, ist ja nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch. Griechenland hat im ganzen 20. Jahrhundert eine sehr komplexe Geschichte. Es gibt auch den Zusammenhang zum Balkan. Wir gehen dann weiter in Gedanken nach Russland. Wir haben da ja eine andere geopolitische Achse. Und wenn wir auch die Türkei mit einbeziehen und wenn man in die Geschichtsbücher schaut, dann sieht man auch diesen Hintergrund.

Deutschlandradio Kultur: Man merkt doch gleich, was so ein italienischer Gelehrter für einen großen historischen Fundus hat. Wer am Ende ist jetzt verantwortlich dafür, dass sich die Dinge wirklich bessern? Welche Verantwortung hat Deutschland? Welche Verantwortung hat Frankreich? Und welche Verantwortung hat Italien?

Giulio Tremonti: Ich bin ein einfacher Abgeordneter, aber wenn ich könnte, dann würde ich dazu raten, dass wir wirklich zurückgehen zu Europa, dass wir tatsächlich Europa die Macht geben. Die Staaten haben das Motto no taxation without representation. Aber wir brauchen mehr Koordinierung in Europa. Das ist das, was gemacht werden muss. Es geschieht schon, aber es muss noch mehr und noch organischer geschehen, aber es darf nicht mehr das sein.

Danach braucht man auch eine ernsthafte gemeinsame Wirtschaftspolitik.
Wir sind nicht Amerika. Wir sind nicht die USA. Die haben die eigene Krise mit einem einzigen Akt gelöst. Aber wir sind eine föderalistische Struktur mit einer zentralen Bank mit einer gewissen imperialistischen Macht. Wir haben nicht nur eine Hand, sondern wir haben 26 Hände. Ich verstehe, dass wir die nationalen Konstitutionen haben, die nationalen Gesetze, aber die Liquiditätsspritze, die nur eine kurzfristige Lösung ist, ist immer noch ein Fortschritt hinsichtlich der Neutralitätstradition der europäischen Zentralbank. Das ist ja immerhin schon etwas. Ich weiß nicht, wie nützlich es ist, aber es ist sicherlich außerhalb der Neutralitätstradition.

Deutschlandradio Kultur: Kann es am Ende wirklich funktionieren, dass man im Grunde den europäischen Rahmen dazu nutzt, die Krise zu lösen in der Hoffnung, dass man dann die nationalen Probleme irgendwie heilt? Oder muss das nicht gleichzeitig gehen? Es gibt doch in vielen Ländern übergeordnete Bürokratien. Es gibt Korruption. Es gibt Leerlauf. Es gibt Ineffizienz. – Das muss doch Hand in Hand gehen.

Giulio Tremonti: Ja, sicher. Aber im Augenblick ist die politische und die Finanzkrise so stark, dass sie nicht nur mit wirtschaftlichen Interventionen gelöst werden kann.

Ich erinnere mich an Folgendes: In Italien gab es eine Reform des Rentensystems, wo das Rentenalter an die demographischen Trends angekoppelt ist, eine der besten Reformen in Europa. Und Monti hat hier noch mal die Schrauben ordentlich angezogen an einem System, das aber schon gut war, weil man hier graduell das System anpasst.

Wir haben versucht, das deutsche Unternehmensmodell zu übernehmen. Wir haben die Löhne besser gestellt hinsichtlich der Produktivität. Und wir haben das Bankenwesen während der Krise dazu gebracht, Liquidität zur Verfügung zu stellen. Wir haben eine Reform der Schulen und Universitäten durchgeführt. Herr Monti versucht jetzt den Arbeitsmarkt zu reformieren. Das sind alles wichtige Dinge.

Aber die Krise ist stärker und präsenter. Man muss Strukturreformen durchführen, aber es gibt tatsächlich eine Krise nicht nur, weil es keine Strukturreformen gibt. Die Krisenlösung ist genauso wichtig wie die Strukturreformen. Und man kann aber tatsächlich die Krise dann nur mit der Politik bewältigen, über die wir eben schon gesprochen haben.

Deutschlandradio Kultur: Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Professor Tremonti.