"Wir wollen keine Knarre in die Hand nehmen"

Rainer Eppelmann im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 20.05.2011
Der frühere Bausoldat und spätere Minister für Abrüstung und Verteidigung Rainer Eppelmann bezeichnet den Dienst an der waffenlosen Front der DDR als faulen Kompromiss. Denn auch Bausoldaten wurden an militärischen Objekten eingesetzt.
Liane von Billerbeck: Blanka Weber war das über die Ausstellung "Briefe von der waffenlosen Front". Einer, der dort war, an dieser waffenlosen Front in der DDR, das ist Rainer Eppelmann, geboren 1943, Pfarrer, er war lange in der Berliner Samariterkirchengemeinde, Kreisjugendpfarrer in Berlin-Friedrichshain und als solcher auch in der DDR-Opposition. Und am Ende der DDR war er dann ihr letzter Verteidigungsminister, oder genauer gesagt, Minister für Verteidigung und Abrüstung. Grüße Sie, Herr Eppelmann!

Rainer Eppelmann: Herzlichen Dank für Ihre freundliche Begrüßung, aber ich war Minister für Abrüstung und Verteidigung; mir ist wichtig, dass Abrüstung vor Verteidigung kam.

von Billerbeck: Sie waren als junger Mann auch einer von den wenigen, die als Bausoldat in der DDR gedient haben. Kann man das eigentlich so sagen – gedient haben?

Eppelmann: Ja, das ist offizieller Sprachgebrauch zumindest gewesen. Seit Mai 1964 gab es nach intensiven Überlegungen im Staatsapparat und beharrlichen Gesprächen hauptsächlich der evangelischen Kirche mit dem Staatsapparat das Entgegenkommen, dass es so innerhalb des Warschauer Vertrages nur in der DDR gab, dass junge Männer die Möglichkeit bekamen, den Dienst mit der Waffe zu verweigern. Sie mussten Soldat sein, sie waren kaserniert, sie hatten eine Uniform, ihre Vorgesetzten waren Unteroffiziere und Offiziere der Nationalen Volksarmee, aber sie brauchten keine Waffe in die Hand zu nehmen und haben keine Gefechtsausbildung durchführen müssen.

Also besser als gar nichts, ein Kompromiss – es hat vorher eine ganze Reihe auch von Totalverweigerern gegeben, die dann für anderthalb Jahre ins Gefängnis gegangen sind, und die haben sicher mit dazu beigetragen, dass man noch von staatlicher Seite an der Stelle ein Stück Druck rausnehmen wollte, und dann diesen – wenn Sie wollen – faulen Kompromiss gefunden hat. Faul deswegen, weil wir eben auch an militärischen Objekten eingesetzt worden sind.

von Billerbeck: Danach wollte ich gerade fragen, weil da sind ja Gewissenskonflikte ja dann eigentlich programmiert, wenn man dann wieder Flugplätze baut und Schießanlagen.

Eppelmann: Ja, ja! Genau so ist es gewesen. Wir sind im Grunde die jungen Männer gewesen, die gesagt haben: Wir wollen keine Knarre in die Hand nehmen, aber wir wollen, wenn irgend möglich, dafür auch nicht in den Knast kommen, dass wir keine Knarre in die Hand nehmen wollen.

von Billerbeck: Bausoldaten mussten ja mit Repressionen rechnen, eine akademische Laufbahn war sehr schwierig. Wieso haben Sie sich doch für diesen Weg entschieden?

Eppelmann: Erstens ist mir das nicht so klar gewesen, als ich das gemacht habe, bin ein bisschen naiv davon ausgegangen: Wenn es ein Gesetz ist, wirst du, wenn du das denn in Anspruch nimmst, dafür nicht noch nachträglich bestraft werden. In der Praxis hat sich das nachher aber so gezeigt, dass junge Männer, die noch kein Studium hatten und zur Armee geholt worden sind, dann den Waffendienst verweigert haben, Bausoldaten wurden, dass die in wenigstens 97 von 100 Fällen keine Chance hatten, hinterher an einer staatlichen Fachschule oder Hochschule oder Universität eine Ausbildung beginnen zu können. Im Grunde sieht man an der Stelle, dass der Rechtsstaat DDR relativ wenig wert war.

von Billerbeck: Sie gehörten ja zum zweiten Jahrgang der Bausoldaten, 1965, 66, und Sie sind auch acht Monate ins Gefängnis gekommen, weil Sie das Gelöbnis verweigert haben. Was war es, was Sie daran so gefuchst hat, dass Sie dafür acht Monate Knast in Kauf genommen haben?

Eppelmann: Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich diesen Staat nur bis zur letzten Faser meines Körpers und meiner Seele verteidige. Das war also für mich ausgeschlossen. Zweitens habe ich mir als ein Mensch, der sich zur Jungen Gemeinde hielt, habe ich mir gesagt: Von mir wird erwartet, dass ich einem Menschen verspreche, dass ich alles mache, was er sagt. Und das meint Ihr, das kann ich als Christ nicht tun, das könnte ich höchstens Gott versprechen. Und das Dritte, für mich zu der Zeit damals wohl der wichtigste Grund, war, ich hatte inzwischen ja in meinen elf Jahren Schule auch was von Auschwitz mitbekommen und von dem, was zwischen 33 und bis 45 in deutschem Namen und durch Deutsche passierte, und dass die sich oft danach, wenn man sie auf das ansprach, was sie da gemacht haben, darauf beriefen, dass sie einen Befehl bekommen haben, den sie ausgeführt haben.

Da habe ich mir gesagt: Nach Auschwitz kann kein Deutscher mehr einem anderen Menschen versprechen, ich mache alles, was du sagst.

von Billerbeck: Den Gehorsam versprechen?

Eppelmann: So ist es. Und das ist mir dann letztlich auch den Knast wert gewesen, das habe ich – ein bisschen naiv, muss ich ehrlich dazu sagen, obwohl ich zu der Zeit dann schon 20 oder 21 war – habe ich die ersten zwei Tage immer wieder auch geweint, das habe ich nicht gewusst. Wenn ich das gewusst hätte, weiß ich nicht, ob ich es trotzdem gemacht hätte.

Im Nachhinein bin ich froh darüber, weil ich acht Monate später als erwachsener Mann wieder rausgekommen bin und mein ganzes weiteres Leben sicher in meinem Verhältnis zu den Politikern der DDR ein angstfreieres und selbstbewussteres Leben führte, als ich es vorher geführt habe.

von Billerbeck: Rainer Eppelmann ist bei uns zu Gast, wir sprechen über die Bausoldaten in der DDR, die gerade in einer Ausstellung des Domarschk-Archivs in Jena gewürdigt werden. Es gab nicht viele, die diesen Weg gewählt haben, von 1964 bis 89, so ist gezählt worden, sind insgesamt etwa 27.000 Männer Bausoldaten gewesen. Das waren – der Anteil an den Wehrpflichtigen – 0,5 bis 1,5 Prozent. Wie schwierig war das, dass diese Verweigerung anerkannt wurde? Was haben Sie da gehört?

Eppelmann: Das ist relativ einfach gewesen – wenn man den Mut und die Zivilcourage aufgebracht hatte, sich dazu zu bekennen. Es war klar: Darüber würden die sich bei der Nationalen Volksarmee nicht freuen, wenn man jetzt den Dienst mit der Waffe verweigert. Aber im Normalfall ist das dann ein Gespräch gewesen mit denen, die da im Wehrkreisersatzamt gesessen haben, Wehrkreiskommando hieß das bei uns, die stellten einem so ne doofen Fragen: Was würden Sie denn machen, wenn vor Ihren Augen Ihre Frau auf einmal angegriffen wird? Würden Sie dann zugucken und das geschehen lassen, weil Sie keine Waffe in die Hand nehmen wollen, oder würden Sie auch mit der Waffe in der Hand Ihre Frau verteidigen wollen?

Aber damit ist es im Grunde dann schon getan gewesen. Also, so wie es zu der Zeit, damals, in der alten Bundesrepublik gewesen ist, dass junge Männer, die sagten: Ich will Zivildienst machen – da gab es eine Gerichtsverhandlung darüber. Da haben also …

von Billerbeck: … eine richtige sogenannte Gewissensprüfung!

Eppelmann: Richtig! Da haben andere also überprüft: Will der sich jetzt bloß drücken, oder ist das tatsächlich seine Gewissensüberzeugung? Das hat es bei uns nicht gegeben. Aber das dicke Ende kam hinterher, wenn du denn damit fertig gewesen bist und jetzt auf den Gedanken gekommen bist, jetzt könnte ich eigentlich noch studieren, das System sagt, nein, dich wollen wir nicht haben, du stehst nicht voll zur Deutschen Demokratischen Republik.

von Billerbeck: Für die SED waren ja Bausoldaten eine Konzentration – auch für die Staatssicherheit – feindlich-negativer Kräfte. Traf das zu, waren alle Bausoldaten auch zugleich Oppositionelle?

Eppelmann: Nein. Die Motive sind ja sehr unterschiedlich gewesen. Unter uns 25, die wir waren, war einer. Der hat gesagt: Ich bin Mitglied der SPD. Die anderen sind Menschen gewesen, die entweder so wie ich – aus Glaubensgründen oder aus historischen Gründen, Auschwitz reicht als Stichwort – gesagt haben: Nein, ich habe aus der Geschichte unseres Volkes gelernt, dass ich keine Knarre in die Hand nehme.

von Billerbeck: Herr Eppelmann, Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet Sie 1989 dann letzter Minister für Abrüstung und Verteidigung der DDR waren. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Eppelmann: Na, das ist immer noch eine ungeheuer befreiende, exotische Zeit für mich. Mit der Friedlichen Revolution in der DDR – also vom Herbst 1989 – wurden auf einmal Dinge realisierbar, möglich, von denen wir vorher geträumt haben, aber dachten, ja, das werden wir wahrscheinlich nie erleben können.

von Billerbeck: Mir ging es vor allen Dingen darum, dass da ein ehemaliger Bausoldat der DDR plötzlich der Minister für Abrüstung und Verteidigung war und vor der Armee stand und die Aufgabe dann ja hatte, diese NVA mit abzuwickeln.

Eppelmann: Ah ja. Im Nachhinein, glaube ich, ist das sehr, sehr gut gewesen. Zu der Zeit, als ich diese Armee übernahm, ist in ihr gestreikt worden, es hat Fahnenfluchten gegeben, Häufung von Befehlsverweigerung … aber dass ein Pazifist eine Armee übernahm – deswegen war mir auch so wichtig, dass das nicht Minister für Verteidigung und Abrüstung heißt, sondern so, wie es tatsächlich hieß, für Abrüstung und Verteidigung – und es ist ja tatsächlich gelungen, und da für uns günstige Bedingungen – muss ich ehrlich sagen – waren mittendrin in Abrüstungsverhandlungen überall, nicht bloß in der DDR, sondern in Mitteleuropa und Osteuropa brodelte es, und die Diktaturen wurden abgeschafft. Aber am Ende, sechs Monate später, gab es keine NVA mehr.

Und das alles ohne Krieg, das alles ohne Bomben – kein einziger Schuss ist gefallen. Es ist schon ein Stück Ironie der Geschichte gewesen, dass ich als einer, der im Militärknast acht Monate gesessen habe, dann für sechs glorreiche Monate ihr Kommandeur gewesen bin.

von Billerbeck: Rainer Eppelmann war bei uns zu Gast. Wir sprachen mit ihm über die Bausoldaten in der DDR. Gerade gibt es eine Ausstellung des Domarschk-Archivs in Jena. Danke fürs Kommen!

Eppelmann: Danke schön!
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