"Wir wollen ein nicht behindertes Kind!"

Von Ruth Reichstein · 23.01.2007
Um sicher sein zu können, dass ein im Reagenzglas gezeugtes Kind nicht behindert zur Welt kommt, pilgern zukünftige Eltern zur Präimplantationsdiagnostik zum Beispiel nach Belgien. Dort gibt es Kliniken, die sich des in Deutschland verbotenen Verfahrens angenommen haben. Allerdings sind die Tests sehr teuer und es gibt auch Sprachbarrieren.
Bei den Sprechstundenhilfen von Ingeborg Liebaers herrscht schon um sieben Uhr in der Früh Hochbetrieb. Die Genetik-Abteilung der niederländischsprachigen Universitätsklinik von Brüssel ist klein – hier arbeiten nur vier Ärzte – aber der Zulauf der Patienten ist enorm.
Die kommen nämlich nicht nur aus Belgien, sondern auch aus Deutschland, Italien oder Portugal. Der Grund: Belgien ist in Europa eines der wenigen Länder, die die so genannte Präimplantationsdiagnostik erlauben.

Genetikerin Ingeborg Liebaers: " Es gab unglaublich viel Diskussionen darüber auch bei uns – vor allem vor zehn Jahren, als diese Technik aufkam. Wir haben in der Ethik-Kommission sehr intensiv gestritten. Und schließlich kamen wir zu dem Ergebnis: Wir werden die Menschen nicht dazu zwingen, diese Technik anzuwenden, aber wir bieten es ihnen an. Die Präimplantationsdiagnostik bleibt aber eine sehr spezielle Technik – auch in Belgien. "

Trotzdem sei das Interesse groß, sagt Medizinerin Liebaers. Jeden Tag führen sie und ihre Kollegen ein bis zwei Behandlungen durch. Allein aus Deutschland kommt jede Woche mindestens eine Familie nach Brüssel. Es sind Personen, die eine schwere genetische Krankheit in der Familie haben - entweder die zukünftigen Eltern selbst oder eines ihrer bereits geborenen Kinder sind betroffen.

Der Schritt, für die Behandlung extra nach Belgien zu fahren, sei nicht leicht, erzählt Genetikerin Liebaers. Die erste Hürde sei die Sprache:

" Ich spreche Niederländisch, Französisch und Englisch. Ich verstehe Deutsch, aber ich kann es nicht wirklich sprechen. Deshalb bitten wir die Patienten, mit einem Übersetzer zu kommen. Wenn es ein professioneller Übersetzer ist, dann funktioniert es normalerweise sehr gut, aber oft kommen die Patienten mit Freunden oder Bekannten, und dann wird es schwierig, weil die nicht einfach übersetzen, sondern sich einmischen, Sachen abändern."

Auch die psychische Belastung ist nicht zu unterschätzen. Das Paar muss sich zunächst auf die komplizierte künstliche Befruchtung im Reagenzglas einlassen – schon da liegen die Chancen auf eine erfolgreiche Schwangerschaft nur bei 20 bis 30 Prozent.

In Brüssel werden die Patienten deshalb ganz genau nach medizinischen Kriterien befragt und ausgewählt. Dazu gehört zum Beispiel eine Altersgrenze der möglichen Mutter. Sie muss unter 40 sein.
Und oben drauf kommt der komplizierte Gentest am Embryo, bevor der in den Mutterleib eingesetzt wird.

" Das Problem ist, dass wir sehr lange Wartelisten haben – vor allem für die seltenen Krankheiten. Bei Krankheiten, die häufig auftreten, können die Patienten normalerweise vier Monate nach ihrem ersten Besuch die Behandlung bekommen. Aber bei seltenen Krankheiten müssen wir den Test erst einmal entwickeln. Das kostet Zeit, und da haben wir eine Wartezeit von zwei Jahren. Das ist eine Katastrophe."

Und: Der Test ist teuer, sehr teuer. In Belgien übernimmt die Krankenkasse wenigstens einen Teil der Kosten. Aber die ausländischen Patienten – also auch die Deutschen müssen – für den in ihren Ländern nicht zugelassenen Test – tief in die Tasche greifen.

Alles in allem müssen die Eltern für die komplette Präimplantationsdiagnostik 6200 Euro bezahlen. Und Ingeborg Liebaers befürchtet, dass der Preis weiter steigen wird, weil die komplizierte Entwicklung der Testverfahren bezahlt werden muss. Die Brüsseler Ärztin kann nicht nachvollziehen, warum die Krankenkassen den Test noch immer nicht anerkennen.

" Natürlich wählen wir den Embryo aus, aber wir tun das, um schwere Krankheiten zu verhindern, nicht wegen bestimmter Charakterzüge. Wir könnten zum Beispiel das Geschlecht bestimmen. Aber das ist auch in Belgien gesetzlich verboten. Und das ist gut so. Uns fragen viele Leute danach, aber ich bin dagegen. Schließlich ist das eine oder das andere Geschlecht keine Krankheit. Ich arbeite, um schwere Krankheiten zu vermeiden, nicht um Wunschkinder auszusuchen."

Das Gespräch zum Thema mit Irmgard Nippert, Professorin für Frauengesundheitsforschung und Medizinsoziologin an der Universität Münster, können Sie für begrenzte Zeit in unserem Audio-on-Demand-Player hören.