"Wir werden keinen faulen Kompromiss machen"

Moderation: Christopher Ricke · 09.10.2013
Dietmar Bartsch, Fraktionsvize der Linken im Bundestag, sieht seine Partei personell wie inhaltlich gut aufgestellt als Oppositionsführer. Bei einer Wahl Gregor Gysis zum alleinigen Vorsitzenden sieht er keine negativen Folgen für die Fraktion. Zugleich blickt er auf den Göttinger Parteitag zurück.
Christopher Ricke: Auf die Partei Die Linke kommt einiges zu, also wenn Deutschland in Zukunft tatsächlich schwarz-rot regiert werden sollte, dann ist die Linke die größte Oppositionspartei im Bundestag und dann ist der Fraktionsvorsitzende auch der Oppositionsführer. Die Bundestagsfraktion wählt heute ihren neuen Vorstand, und die Hellseher, die es ja in jeder Partei gibt, sagen voraus, dass Gregor Gysi weitere zwei Jahre alleiniger Vorsitzender bleibt und Sahra Wagenknecht seine einzige erste Stellvertreterin. Man will da sozusagen eine personelle Lösung unter einen langen Streit ziehen und Gregor Gysi sagte ja vor einigen Tagen:

Gregor Gysi: Die einen können nicht ohne die anderen und die anderen nicht ohne die einen leben, und stellen wir alle Kämpfe ein, dann leisten wir eine erfolgreiche Arbeit dieser Fraktion, nicht für unsere Partei, sondern für die Bürgerinnen und Bürger, die uns gewählt haben.

Ricke: Die einen oder die anderen, das sind mal die Ossis und mal die Wessis, mal die Pragmatiker, mal die Fundis, da gibt es viele Flügel, viele Bruchlinien, aber eben dann doch die eine gemeinsame Fraktion. Sahra Wagenknecht als Stellvertreterin wäre erst mal mit dem Plan gescheitert, zusammen mit Gysi eine Doppelspitze zu bilden, aber den Plan will sie wohl nicht aufgeben.

Hinter Wagenknecht soll es dann noch sechs weitere Stellvertreter geben, darunter der ehemalige Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, und der ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Bartsch!

Dietmar Bartsch: Guten Morgen, ich grüße Sie!

"Eine handlungsfähige Mann- und Frauschaft"
Ricke: Das ist ja eine komplexe Organisation in diesem vielstimmigen Chor - singen will man gemeinsam. Meinen Sie, Sie schaffen es auch irgendwann, sich mal wieder richtig mit Inhalten auseinanderzusetzen?

Bartsch: Schauen Sie, wir haben den gestrigen Tag ausschließlich damit verbracht, uns ein 100-Tage-Programm zu geben, uns damit zu beschäftigen, was unsere ersten Initiativen sind, wie wir vor allen Dingen die Mehrheit jenseits der Union, die es gibt, im Parlament nutzen können, wo es Punkte gibt, wo SPD, Linke und Grüne gleiche Ansichten im Wahlkampf hatten und ob wir da das eine oder andere durchsetzen können. Das war unser Ansatz.

Da haben wir uns mit den Fragen des Niedriglohnsektors befasst, wir haben über Altersarmut und wie wir das Rentenniveau erhöhen können geredet und vieles andere mehr, die Lohn- und Renteneinheit. All diese Dinge standen auf der Tagesordnung, und heute werden wir uns mit den Strukturen beschäftigen. Und ich habe das ja auch gelesen, was Sie eben gesagt haben, von Journalisten, die hier zahlreich uns beobachten, aber vielleicht wird es alles auch ganz anders organisiert.

Ricke: Wie könnte es denn noch organisiert werden? Was haben Sie denn im Köcher?

Bartsch: Schauen Sie, wir werden jetzt uns auch den personellen Fragen widmen, wir werden dort die entsprechenden Ordnungen beschließen, Geschäftsordnung und so weiter. Klar ist, dass diese Frage der alleinigen Spitze oder Doppelspitze medial eine große Rolle spielte. Auch das werden wir lösen. Wir werden auch die anderen Probleme lösen. Und am Ende des Tages wird eine handlungsfähige Mann- und Frauschaft stehen, die die Fraktion in der nächsten Zeit führen wird.

Ricke: Diese Probleme müssen ja auch dringend gelöst werden, denn bei aller Tagesarbeit und bei allen politischen Themen - in der Wahrnehmung war es ja doch immer das personelle Gezecke in Ihrer Partei, das in den letzten Jahren so intensiv beschäftigt hat und auch die Bundestagswahl dominiert. Wenn jetzt Sahra Wagenknecht ihre Doppelspitze nicht kriegt, aber vielleicht in zwei Jahren - das ist doch dann schon wieder so ein fauler Kompromiss?

Bartsch: Nein. Wir werden keinen faulen Kompromiss machen, sondern, ich wiederhole das: Wir haben - und im Übrigen, da darf ich widersprechen -, wir hatten nach unseren Parteitag in Göttingen eine Situation, wo wir gemeinsam an einem Strang gezogen haben. Wir hatten im Wahlkampf ein Achterteam, sicherlich eine besondere Variante, aber wir waren ja damit erfolgreich. Wir sind vor CSU und vor Grünen im Deutschen Bundestag, und wir haben – das will ich auch betonen – vor allen Dingen auch im Land etwas verändert, denn wir waren diejenigen, die das Thema Mindestlohn überhaupt auf die Agenda gerückt haben. Heute sind alle Parteien dafür.

Wir waren diejenigen, die gesagt haben: Der Einsatz in Afghanistan ist falsch - jetzt ziehen wir endlich ab. Also die Linke kann auch einigermaßen stolz sein, was wir in den letzten Jahren bewegt haben. Dass personelle Fragen ... das ist ja ... Schauen Sie, bei den Grünen gab es auch vor allen Dingen das Interesse, wie denn die Auseinandersetzung zwischen Katrin Göring-Eckardt und Frau Andrae ausgeht. Nun gut, das verstehe ich, aber das ist bei uns hier nicht der Hauptpunkt. Ich gehe davon aus, dass wir heute eine Entscheidung haben werden, wo Gregor Gysi der Fraktionsvorsitzende ist und wo wir auch die weiteren Strukturen dann entscheiden werden.

"Solidarisch miteinander diskutieren"
Aber auch das werden wir solidarisch miteinander diskutieren. Es gibt doch für vieles Argumente, Fakt ist doch aber auch, dass ... Ja, Gregor Gysi hat sehr viel im Wahlkampf weggetragen, Sahra Wagenknecht war sehr viel unterwegs, aber auch viele andere haben eine Rolle gespielt, wie Petra Sitte als Spitzenkandidatin in Sachsen-Anhalt, Klaus Ernst in Bayern, und, und, und. Also wir sind relativ breit aufgestellt und können doch froh sein, dass wir über ein solches personelles Angebot verfügen.

Ricke: Das ist schon schön: Wenn man Ihnen zuhört, dann hört man den ehemaligen Bundesgeschäftsführer. Also wenn Sie einen ostdeutschen Linken-Politiker nennen, kommt im nächsten Absatz gleich der westdeutsche. Das ist ja auch so diese Ausgewogenheit, die eigentlich intern nicht besteht, weil es doch die ostdeutschen Pragmatiker gibt und die westdeutschen Fundamentalisten. Wäre es nicht schön, man wäre wie die CSU eine Regionalpartei und könnte auf die, die ein bisschen eigenartig ticken in den anderen Landesteilen, verzichten?

Bartsch: Meine Auffassung ist die, dass wir dieses als Gewinn annehmen müssen. Wir haben, ja, wir haben eine Situation in den neuen Ländern: In Sachsen, in meinem Heimatland Mecklenburg-Vorpommern, in Thüringen, Sachsen-Anhalt sind wir bei der Bundestagswahl zweitstärkste Partei geworden. Das ist eine andere Herausforderung. Hier sind wir Volkspartei. In der Landeshauptstadt Schwerin in meinem Wahlkreis stellen wir die Oberbürgermeisterin.

Daraus leitet sich in der Politik auch durchaus hin und wieder etwas anderes ab. Aber die zentralen Fragen, ein soziales Land, ein gerechtes Land – das ist wirklich ein friedliches ... das ist wirklich nur bundespolitisch machbar. Und wir müssen auch diese Unterschiedlichkeit, die müssen wir annehmen und produktiv machen.

Das haben wir insbesondere in den ersten Jahren, aber im letzten Jahr auch wieder geschafft, und das muss so bleiben, denn wenn wir uns in diesen Fragen auseinanderdividieren lassen, dann nehmen wir nicht den Auftrag der Wählerinnen und Wähler wahr. Denn wir haben hier – Sie haben das eingangs erwähnt –, ... Oppositionsführerschaft ist schnell ausgesprochen, das ist die Aufgabe für uns, das substanziell auszufüllen und diese Aufgabe wirklich anzunehmen, denn wenn es wirklich eine Große Koalition geben sollte, das ist ja alles noch offen, dann haben wir im Land bei den Herausforderungen, die stehen – die Krise in Europa, die Energiewende, die ganze Frage der Pflege –, dann haben wir eine Verantwortung, der es sich zu stellen gilt. Und da können diese innerparteilichen Auseinandersetzungen wahrhaftig nur einen Nebenplatz einnehmen.

Ricke: Ihre Partei will ja im Bund irgendwann auch mal in die Verantwortung, in den Ländern ist und war sie es schon. Jetzt gibt es ja gerade ausgerechnet in Westdeutschland, in Hessen die rechnerische Mehrheit Rot-Rot-Grün. Man könnte dort, wenn man sich nur zusammenraufen würde – und es gibt auch Sondierungsgespräche –, ... Glauben Sie, dass Hessen das richtige Labor für Rot-Rot-Grün sein kann?

Bartsch: Wissen Sie, das entscheiden Wählerinnen und Wähler. In Hessen gibt es die Möglichkeit, einen Politikwechsel durchzusetzen. Meine Partei und die Fraktion dort hat klar entschieden, dass wir zur Verfügung stehen für Gespräche. Wenn es diesen Politikwechsel gibt, dann sind wir auch bereit, entsprechende Verantwortung zu übernehmen.

Das war im Übrigen vor fünf Jahren schon so. Frau Ypsilanti ist nicht an uns, sondern an vier SPD-Abweichlern gescheitert. Das war im Übrigen in Nordrhein-Westfalen so und in vielen anderen Ländern: Nicht an der Linken scheitert das, sondern es scheitert entweder an der Hasenfüßigkeit der SPD, die sich von der CDU immer wieder vorführen lässt. Aber ich hoffe, dass dort das Selbstbewusstsein der Sozialdemokraten steigen wird und man wirklich auf politische Inhalte schaut. Dann würde es in den nächsten Jahren viel, viel mehr rot-rote Bündnisse geben.

Ricke: Dietmar Bartsch von der Partei Die Linke, ich danke Ihnen, Herr Bartsch!

Bartsch: Bitte, gerne!


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