"Wir stehen grundsätzlich zur Volksabstimmung"

Muhterem Aras im Gespräch mit Ulrich Ziegler · 09.04.2011
Muhterem Aras von Bündnis90/Die Grünen hat in ihrem Wahlkreis in Stuttgart die Kandidaten von CDU und SPD weit hinter sich gelassen. Außerdem ist sie die erste deutsche Politikerin mit Migrationshintergrund, die direkt in einen Landtag gewählt wurde.
Deutschlandradio Kultur: Gesprächspartnerin ist heute Muhterem Aras, die "Stimmenkönigin der Grünen", wie sie das Handelsblatt beschrieben hat. Mein Name ist Ulrich Ziegler. Guten Tag, Frau Aras.

Muhterem Aras: Hallo, Herr Ziegler.

Deutschlandradio Kultur: Vor zwei Wochen bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg haben Sie im Wahlkreis Stuttgart 1 mit 42,5 Prozent der abgegebenen Stimmen die Kandidaten von CDU und SPD weit hinter sich gelassen und auf Anhieb das Direktmandat geholt, aber nicht nur das. Sie sind die erste Abgeordnete mit Migrationshintergrund, die direkt in einen deutschen Landtag gewählt wurde. Herzlichen Glückwunsch noch mal.

Muhterem Aras: Vielen Dank.

Deutschlandradio Kultur: Am Wahlabend haben Sie einen bemerkenswerten Satz gesagt. Der lautet: "Die Grünen sind in gewisser Weise wertkonservativer als die CDU." Wie kommen Sie denn darauf?

Muhterem Aras: Das habe ich eigentlich im Wahlkampf oft zu hören bekommen. Und zwar war es wirklich oft so, dass Stammwähler der CDU zu mir gekommen sind und gesagt haben, ja, eigentlich sind Sie ja sehr viel wertkonservativer als meine Ursprungsheimatpartei, die CDU, weil Sie die einzige Partei sind, die glaubwürdig ist und nicht die Bürgerinnen anlügt. – Daher kam das eigentlich. Also, diese Ehrlichkeit, auch mal wirklich Tacheles zu reden, auch wenn's weh tut.

Deutschlandradio Kultur: Dann hätten Sie ja sagen können, die Grünen sind ehrlicher. Aber Sie haben gesagt: Sie sind wertkonservativer.

Muhterem Aras: Wenn es darum geht, wie man miteinander umgeht, auch mit der Natur, und wenn das in bestimmten Kreisen als konservativ bezeichnet wird, dann stehe ich auch dazu.

Deutschlandradio Kultur: Sie sind als Kind anatolischer Eltern mit zwölf Jahren nach Deutschland gekommen. Sie haben einen langen Weg gemacht. Sie haben die Mittlere Reife gemacht, das Abitur. Sie haben mittlerweile ein Steuerberatungsbüro mit Angestellten hier in Stuttgart. Jetzt sind Sie bei den Grünen aktiv. Man könnte eigentlich sagen, mit der Biographie – wenn man sie nachliest – könnte sie doch genauso gut bei der SPD als Arbeiterkind gelandet sein oder vielleicht sogar bei den Liberalen, weil sie eine erfolgreiche Unternehmerin ist. – Warum gerade die Grünen?

Muhterem Aras: Um Gottes Willen. Ich glaube, das ist ein falscher Anschein, der oft erweckt wird, dass man oft – früher zumindest – gedacht hat, die Grünen sind zwar in der Klimapolitik die Nummer Eins, aber Wirtschaft oder so eher weniger. – Wir können sehr viel besser mit Wirtschaft, mit Geld, mit Finanzen umgehen als die CDU oder die FDP, weil die sehr viel mehr auf Klientelpolitik setzen und nicht nachhaltig denken. Zur Nachhaltigkeit gehört natürlich auch eine nachhaltige Finanzpolitik. Denn was hinterlasse ich den nächsten Generationen? Wenn ich meinen Folgegenerationen nur Schuldenberge überlasse, dann nehme ich ihnen auch einen Gestaltungsspielraum, auch einen politischen Gestaltungsspielraum.

Deutschlandradio Kultur: Über die Finanzpolitik speziell im Land wollen wir gleich noch mal reden – zunächst aber noch mal zu Ihrem Wahlkreis. Der ist mitten in Stuttgart. Viele Leute haben Ihnen die Stimme gegeben, weil sie sicherlich hoffen, dass mit den Grünen das Projekt Stuttgart 21 so nicht realisiert wird. Was passiert aber, wenn Sie als Finanzexpertin sich die Zahlen angucken und sagen: Können wir überhaupt rausgehen, ohne das Land, die Stadt damit zu verschulden?

Muhterem Aras: Also, zum einen ist es erstmal wichtig und richtig, dass die Bahn jetzt einen Vergabe- und Baustopp vorgenommen hat, damit nicht weitere Fakten geschaffen werden. Das ist das eine. Danach müssen alle Zahlen auf den Tisch kommen. Und ganz wichtig ist, dass der Stresstest nach den Vorgaben auch gemacht wird, dass die Leute aus dem Aktionsbündnis, also auch die K21-Vertreter, vertreten sind, dass es transparent ist und dass es eine echte Simulation ist. Und dann wird man sehen, wo die Ausstiegskosten tatsächlich sind. Ich glaube, wir haben noch einen langen Weg. Und die Bahn hat schon angefangen nachzudenken. Das finde ich auch richtig so.

Deutschlandradio Kultur: Andererseits sagt Herr Grube, wir werden die Zahlen, die 4,5 Milliarden, einhalten können – auch trotz Stresstest. – Was machen Sie denn dann, wenn tatsächlich der Stresstest Ihnen vorlegt, dass man das Projekt realisieren kann?

Muhterem Aras: Wenn die Bahn sich jetzt so sicher ist, dann sollen sie doch den Stresstest so, wie angekündigt oder wie von Herrn Dr. Geißler gefordert, durchführen. Wenn sie so sicher sind, dann hätte ich keinen Grund als Bahn, warum sie sich diesem Stresstest so nicht unterziehen wollen. Von daher sehe ich dem ganz gelassen wirklich entgegen. Wir müssen alle Zahlen auf dem Tisch haben, den Stresstest vernünftig durchführen. Und dann wird man schon sehen, und auch später gegebenenfalls die Ausstiegsszenarien hochrechnen. Und wenn man die bisherige Kalkulation der Bahn nimmt, die immer wieder sehr weit nach oben korrigiert werden musste, bis eben diese politisch schön gerechnete Zahl erreicht wurde, bin ich ziemlich zuversichtlich, dass eher unsere Leute leider recht haben werden mit den Finanzen.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Sie hoffen, dass der Stresstest so ausfällt, dass dieses ganze Projekt nicht finanzierbar ist und Sie somit nicht in die Klemme kommen, möglicherweise eine Volksbefragung machen zu müssen?

Muhterem Aras: Na ja, ich hoffe gar nicht. Ich habe gar kein Problem mit der Volksabstimmung. Das haben wir plakatiert. Dazu stehen wir auch nach wie vor. Aber die Frage ist: Wenn die Fakten so sind, die Zahlen, der Stresstest, wenn das negativ ausfallen sollte und die Bahn sich sogar selbst davon verabschiedet, dann stellt sich natürlich die Frage, ob überhaupt eine Volksabstimmung durchzuführen ist. Ich meine, Herr Dr. Geißler hat gesagt, "wenn der Stresstest nicht eingehalten wird, dann ist das Projekt S21 tot. Und warum soll man noch über eine Leiche abstimmen?" – Das ist ein fast wörtliches Zitat von Herrn Dr. Geißler. Wie gesagt: Wir stehen grundsätzlich zur Volksabstimmung, aber davor müssen eben noch die anderen Hausaufgaben gemacht werden. Erst danach kann man wirklich im zweiten Schritt sehen, ob die Volksabstimmung noch notwendig ist. Wenn ja, werden wir sie durchführen. Und dann wird man sich auch daran halten.

Deutschlandradio Kultur: Aber dann haben Sie ja ein richtiges Problem mit Ihrem Koalitionspartner, der SPD. Sie machen dann Wahlkampf gegen Ihren Koalitionspartner, wenn es um die Volksabstimmung um Stuttgart 21 geht.

Muhterem Aras: Na ja, erstens ist der Wahlkampf rum. Zweitens geht’s darum: Wenn die Volksabstimmung tatsächlich kommen sollte, dann geht’s darum, die richtig vorzubereiten. Das heißt, zu einer Volksabstimmung gehört ja auch, dass man die BürgerInnen wirklich mit allen Informationen, mit beiden Alternativen richtig informiert. Ich finde, das gehört zu einer transparenten Bürgerbeteiligung. Und dann werden die Bürger entscheiden. Wir werden uns dann danach richten müssen. Und wenn eine Volksabstimmung nicht zu einem Ergebnis führt, was wir uns wünschen, dann muss man die natürlich auch akzeptieren. Es wäre sonst ein merkwürdiges Verhältnis zur Bürgerbeteiligung, wenn man sagt, ich akzeptiere die Bürgerbeteiligung nur dann, wenn es mir auch passt. Das ist nicht grüne Politik. – Aber da bin ich mir ganz sicher, da habe ich überhaupt keine Angst davor, dass die Bahn sich selbst vorher davon verabschieden wird.

Deutschlandradio Kultur: Also: Wir wissen, dass die künftige "Landesregierung nicht alles anders machen will, aber manches besser". Das hat zumindest Nils Schmid gesagt. Gerhard Schröder hat es in früheren Jahren gesagt. Herr Kretschmann wird sicherlich unterschreiben.
Jetzt hat die Landesregierung im Haushalt 2010/11 Kredite aufgenommen, aber sich auch verpflichtet, die bis 2014 wieder abzubauen, zu tilgen. Die Grünen und Sie als Finanzfrau, wie stehen die dazu? Sagen die auch, ja, das ist unumkehrbar, wir wollen das machen? Wir machen solide Finanzpolitik, egal, welche Erwartungen auch da sind?

Muhterem Aras: Ganz wichtig ist natürlich, dass wir eine nachhaltige Finanzpolitik machen wollen, dass wir überhaupt eine nachhaltige Politik machen wollen. Und da gehören natürlich auch Finanzen dazu. Und dass wir zu der Schuldenbremse, die in der Landesverfassung auch verankert ist, stehen, auch das ist kein Geheimnis. Wir wollen sparen. Das ist richtig. Aber wir sparen ja nicht, um irgendwie Festgelder anzusparen, um eine Medaille zu bekommen, sondern wir müssen natürlich auch sparen, um gestalten zu können – in bestimmten Bereichen sparen, um in anderen Bereichen anders gestalten zu können, andere Akzente setzen zu können. Also, wir werden auf keinen Fall einen Weg in der Finanzpolitik einlegen, wo wir sagen, alles um jeden Preis realisieren. Da wäre eine falsche Politik, die die Grünen noch nie vertreten haben.

Deutschlandradio Kultur: Aber Sie haben klare Vorstellungen. Beispielsweise wollen Sie die Studiengebühren, die 2007 eingeführt wurden – 500 Euro pro Semester –, abschaffen. Die SPD hätte gerne noch mehr. Sie würde gerne beitragsfreie Kindergartenplätze zur Verfügung stellen. Das kostet Geld. Und Sie müssen dann auch sagen, wo Sie das Geld nehmen wollen, wenn Sie nicht neue Schulden machen wollen. Woher wollen Sie es nehmen?

Muhterem Aras: Also, zum einen hat jeder von uns, sowohl die SPD als auch wir, Bündnis90/Die Grünen, im Programm natürlich seine Programmpunkte, Schwerpunkte aufgestellt. So sind wir in die Wahlkämpfe eingestiegen. Und unsere einzelnen Programme sind so auch durchfinanziert. Jetzt geht es darum in den Koalitionsverhandlungen: Wenn man zu zweit als Partner auftritt, muss man natürlich gucken, wo ist die größte Schnittmenge und was kann man in welchen Schritten, in welcher Reihenfolge auch umsetzen? Es kann sein, dass wir bestimmte Bereiche nicht sofort umsetzen können. Aber ich glaube, es wäre auch falsch, die Erwartung zu wecken, dass man jeden Programmpunkt von allen beiden Parteien sofort im ersten Schritt realisieren kann. Das ist nicht machbar, zumal der Haushalt natürlich auch durch die EnBW-Geschichte ziemlich belastet ist. Und wir müssen erst mal einen Kassensturz machen. Es kann nicht im Sinne der Wählerschaft sein, dass wir sagen: Jeder, beide Koalitionspartner setzen alles sofort um. Das wäre sicher nicht möglich.

Deutschlandradio Kultur: Nicht alles umsetzen, sicherlich ja – aber in der Bildungspolitik ein hoch brisantes Thema, 10 Jahre gemeinsam zur Schule gehen, das könnte man ja möglicherweise machen, und die Erwartungshaltung ist ja auch da, ohne dass man viel Geld ausgibt. Andererseits haben Sie 25 Prozent bekommen, 75 Prozent eben nicht. Wie wollen Sie dann eine Politik, eine Schulpolitik machen, wo Sie sagen, da ist dann die Gemeinsamkeit da, dass vielleicht 50 Prozent das mittragen und möglicherweise kostenneutral? Geht das überhaupt?

Muhterem Aras: Also, gerade in Baden-Württemberg ist es so, dass Kinder aus Akademikerfamilien eine siebenfach höhere Chance haben, auf ein Gymnasium zu kommen als Kinder aus sozial schwachen Familien. Das ist nicht hinnehmbar, und zwar sowohl aus Sicht des Individuums, des einzelnen Kindes, weil man es wirklich in seiner persönlichen Entwicklung behindert. Man nimmt ihnen die Chance, sich zu entwickeln. Das ist das Individuelle. Aber auf der anderen Seite ist es auch volkswirtschaftlich das Allerdümmste und Teuerste, was wir uns leisten können, weil wir unten sparen und oben produzieren wir uns die Ungebildeten von Morgen, die auf dem Arbeitsmarkt einfach schlechtere Chancen haben, eine Arbeit zu bekommen. Unsere einzige Chance ist doch, in die Bildung, in unsere Köpfe zu investieren. Deshalb ist das so wichtig. Und es gibt Bereiche, wo man auch ohne zusätzliches Geld was verändern kann.

Deutschlandradio Kultur: Was denn?

Muhterem Aras: Zum Beispiel, dass man Lehrerstellen – aufgrund der demographischen Entwicklung hießt es ja, ich habe jetzt noch nicht die einzelnen Zahlen, dass sich auf jeden Fall in naher Zukunft Lehrerstellen erübrigen, einfach weil die Schülerzahlen zurückgehen. Jetzt geht es darum, diese Lehrer anders einzusetzen, also nicht unbedingt abzubauen, sondern anders einzusetzen, damit wirklich eine individuelle Förderung möglich wird, damit jedes Kind auch eine Chance bekommt, in dieser Bildungskarriere die Leiter hochzusteigen, weil es sowohl diesem Kind gut tun würde als auch uns als Volkswirtschaft.

Ganztagesschule zum Beispiel. Da möchten wir einfach den Schulen vor Ort mehr Freiheiten geben. Wir möchten nicht das Schulsystem von oben herab quasi völlig auf den Kopf stellen, sondern wir setzen darauf, dass Schulen mehr Freiheiten bekommen und dass – wenn die Schulen mehr Freiheiten bekommen – die Lehrerschaft mit den Eltern, mit dem Rektor, mit der Kommune gemeinsam innovative Modelle verfolgen und umsetzen, wenn sie die Rahmenbedingungen vom Land bekommen.

Also, wir wollen weder die Einheitsschule, noch wollen wir die Gymnasien abschaffen, sondern wir sind davon überzeugt, dass, wenn wir den Schulen Freiheiten geben, bessere Rahmenbedingungen geben, sie von sich aus für ein längeres gemeinsames Lernen Modelle entwickeln werden, und zwar auf einem hohen Niveau.

Deutschlandradio Kultur: Der DGB-Landeschef Landgraf sagt, die schwäbische Hausfrau dürfe dann eben kein Vorbild mehr sein. Man müsse Finanzpolitik so machen, dass man Wachstumsimpulse gibt und gleichzeitig auch in die Zukunft investiert – beispielsweise auch in Bildung.

Muhterem Aras: Man muss beim Vermögen oder beim Schuldenabbau auf Nettovermögenszuwachs achten und nicht einseitig. Ich komme immer wieder mit der kommunalen Ebene. Da hat lange die CDU die Mehrheit gehabt, und man hat nur darauf geschielt, die Schulden abzubauen, also die Passiva der Bilanz, und hat dagegen die Aktiva der Bilanz gar nicht beachtet. Das heißt, wir haben die Schulden zwar runter gefahren, aber unsere Schulen, wofür die Kommune zuständig ist, sind so marode, dass wir heute einen Sanierungsaufwand von 340 Millionen Euro in Stuttgart haben, und das in der reichsten Stadt dieser Republik. Wenn man sich nur auf den Schuldenabbau fokussiert und sagt, Hauptsache ich gehe in die Geschichte ein als derjenige, der die Nullverschuldung hingebracht hat, ...

Deutschlandradio Kultur: Wollen Sie jetzt Schulden machen oder keine?

Muhterem Aras: Nein. Es kann sein, dass es zu bestimmten Zeiten auch Sinn macht, Schulden zu machen, wenn ich auf der anderen Seite die Schulden dazu nutze, dass ich in meinem Aktivvermögen beispielsweise auch Wert erhalte. Man muss das, wie gesagt, Netto insgesamt sehen. Was habe ich auf der einen Seite? Wenn ich die Schulden habe und das gut investiere und meine Hochschulen zum Beispiel saniere, dann habe ich ja letztendlich einen Aktiv-Passiv-Teil. Das heißt, mein Vermögen nimmt ja nicht ab. Es bleibt mindestens gleichwertig bei den Hochschulen. Das Land ist ja für die Hochschulen zum Beispiel zuständig. Dann erhalte ich die auch als Wert.

Die Frage ist: Wann ist es sinnig, Schulden zu machen, um auf der anderen Seite auch was dafür zu bekommen? Das kann Investition in die Immobilie sein. Das kann Wärmedämmung sein. Das ist zum Beispiel Ankurbeln der Wirtschaft. Das kann darum gehen, dass man die Technologie in regenerative Energien, die Forschung zum Beispiel fördert und stärkt, damit wir wirklich diese Technologie exportieren. Das schafft Arbeitsplätze. – Also, solche Geschichten.

Und wir müssen auf der einen Seite gucken, was geben wir aus, was muss auch über Bord geworfen werden? Es kann sein, dass man Fördertatbestände hat beispielsweise, die vor 20 Jahren richtig waren, aber heute vielleicht überdacht werden müssen. Ich meine, wenn ein Noch-Ministerpräsident Mappus seinerzeit sich gedrückt hat, die Steuer-CD beispielsweise zu kaufen, dann kann man kein Verständnis dafür haben. Oder wenn man einen EnBW-Anteil, ein Unternehmen zu teuer einkauft, dann spricht es auch nicht für eine Wirtschaftskompetenz einer Partei, und eines Ministerpräsidenten schon gar nicht.

Deutschlandradio Kultur: Frau Aras, von einer rot-grünen Landesregierung erwarten viele vor allem eine klare Wende in der Energiepolitik. Sie haben das angesprochen. Jetzt erben die Grünen mit der Regierung auch den Atomkonzern EnBW. Wie setzt man denn eigentlich grüne Energiepolitik in einem Konzern um, dessen Erzeugungskapazitäten zum großen Teil aus Kernkraft und fossilen Brennstoffen befeuert werden, ohne den ganzen Konzern finanziell zu ruinieren?

Muhterem Aras: Das ist ein dickes Ei, was wir haben, gar keine Frage. Das hat uns Herr Mappus ins Nest gelegt.

Deutschlandradio Kultur: Aber Sie müssen damit leben.

Muhterem Aras: Wir müssen natürlich damit leben. Und wir haben ja auch die Verantwortung übernommen und übernehmen sie auch gerne. Und wir sind uns auch dieser Verantwortung bewusst und auch dieser Herausforderung gewachsen, denke ich. Es geht darum, dass man jetzt natürlich die EnBW wirklich in die Richtung steuert, dass man sich wirklich von der Atompolitik und Atomenergie verabschiedet. Die EnBW kann nur überleben, wenn sie sich von der Atompolitik...

Deutschlandradio Kultur: Aber sie wird, wenn sie noch zwei Atomkraftwerke zusätzlich abschaltet, keine Gewinne mehr machen, auch Sie nicht in Ihrem Landeshaushalt.

Muhterem Aras: Das mag sein, aber sie wird die Gewinne langfristig machen, wenn sie in die regenerative Energieproduktion einsteigt. Also, die EnBW hat nur die Chance, wenn sie wirklich sich verabschiedet von der Atompolitik in die Regenerativen. Es kann sein, dass sie kurzfristig weniger Gewinn macht.

Deutschlandradio Kultur: Oder Verluste.

Muhterem Aras: Oder Verluste, richtig.

Deutschlandradio Kultur: Die Sie dann im Haushalt haben.

Muhterem Aras: Auch das ist richtig. Herr Mappus hat ja die Finanzierung über die Ausschüttung der Dividende und sonst.... Davon können wir uns auf jeden Fall mittelfristig verabschieden. Es wird sicher keine Ausschüttungen geben, mit denen wir irgendwas finanzieren können, sondern wir müssen froh sein, wenn wir das relativ schnell auf regenerative Energien umsteuern. Und da ist es wichtig und da hoffe ich wirklich, dass unsere Noch-Minister wenigstens die Aufsichtsratsposten nicht antreten. Das zeigt auch, wie fatal das sein kann, dass man quasi vor der Wahl noch die Hauptversammlung terminiert hat, damit noch andere Menschen im Aufsichtsrat quasi die Regierung vertreten. Von daher hoffe ich, dass die Aufsichtsratsmitglieder, die jetzt zu wählen sind – also, seitens der CDU und FDP, einfach wirklich das noch mal überdenken und diese Posten nicht antreten. Es ist einfach kein schöner Stil, Politikstil auch.

Deutschlandradio Kultur: Dann reden wir doch mal über die Zukunft, über die Alternativen, erneuerbare Energien. Sie hätten die Möglichkeit, ein großes Pumpspeicherkraftwerk am Schluchsee zu bauen. Die grünen Freunde vor Ort sagen, nein, das wollen wir lieber nicht. Das verschandelt die Natur. RWE und EnBW sagen, ja, wir würden das gerne machen. Das dauert aber auch bis 2018. Was machen die Grünen dann? Werden Sie sagen, ja, Leute vor Ort, ihr müsst das schlucken, sonst gibt’s weiterhin Atomenergie? Oder stellen Sie sich hinter die Proteste, die dann vor Ort sind? Da sind Sie doch in einem Dilemma.

Muhterem Aras: Nein, es geht wirklich darum: Wir müssen erstens wirklich eine Energiewende einleiten in diesem Land. Und zwar müssen wir das hier ernsthaft und langfristig vorantreiben, damit wir auch weltweit wirklich in der globalen Wirtschaft die Spitzenrolle einnehmen können. Wir haben auch eine Verantwortung.

Deutschlandradio Kultur: Aber mal konkret.

Muhterem Aras: Ganz konkret, genau. Also, man muss in jedem Einzelfall das genau überprüfen. Wichtig ist, dass man die Menschen vor Ort wirklich rechtzeitig informiert, meinetwegen in irgendeiner Form der Bürgerbeteiligung, dass man sie wirklich mitnimmt, aufklärt – was sind die Vorteile, was sind die Nachteile? Und wenn letztendlich die regenerative Energie kontra zur Bürgerbewegung vor Ort steht, dann müsste ich in dem Fall sagen: Okay, die Natur hat also Vorrang. Dann würde auch ich persönlich gegen die Bürgerbewegung vor Ort entscheiden.

Deutschlandradio Kultur: Ähnliches auch bei Windkraftwerken, wenn man die ausbaut. Baden-Württemberg hat Ihrer Meinung nach viel zu wenige. Südschwarzwald, schönes Land, Tourismus, die Leute vor Ort, auch CDU-Politiker, Grüne, sagen nein, nein, ihr macht uns den Tourismus kaputt. – Sie sagen, wir brauchen neue Energien, wir brauchen dort Windkraftwerke, weil der Wind dort gut bläst, dann müsst ihr das machen. Und es gilt nicht das Sankt-Florians-Prinzip.

Muhterem Aras: Sankt-Florians-Prinzip ist in der Politik noch nie gut gewesen, für keinen Bereich, egal, im Sozialen, wenn es um Sucht und sonst irgendwas geht, genauso da nicht. Wichtig ist wirklich, dass man erstmal guckt, wo ist es möglich, also dass man einfach das Optimum rausholt und versucht, insgesamt sehr frühzeitig die Bürgerinnen und Bürger vor Ort einzubinden. Und ich bin mir sicher, wenn man sehr früh die Bürgerinnen und Bürger einbindet, bin ich überzeugt davon. Und wenn man hinsteht und sagt, das sind die Pro-Argumente, und das sind die dagegen, und wir haben diesen Nutzen für unsere natürliche Lebensgrundlage, dann bin ich überzeugt davon, dass man letztendlich gemeinsam mit den Bürgern zu einer vernünftigen Lösung kommen kann.

Deutschlandradio Kultur: Also, Sie setzen auf die Stärke der Vernunft, egal, ob es die Parkschützer sind oder die Betreuer oder die Kämpfer gegen Windkraftwerke vor Ort?

Muhterem Aras: Ja, da bin ich wirklich persönlich überzeugt – wenn man sie rechtzeitig transparent mitnimmt und wenn es nicht so eine Pseudo-Bürgerbeteiligung ist, sondern wenn man sie wirklich frühzeitig involviert und sagt: So sieht es aus. Wie können wir am Besten das Effektivste machen, damit allen Beteiligten irgendwo gedient ist? – Man kann nie alles allen recht machen. Das ist ganz klar.

Deutschlandradio Kultur: Wie machen Sie es dann beispielsweise bei der Automobilindustrie? Da gibt’s sehr viele Menschen, die ihren Arbeitsplatz dort haben. Und in Baden-Württemberg werden hochklassige Autos produziert mit relativ hohem CO2-Ausstoß, aber weltweit nachgefragt. Jetzt gehen Sie zu Herrn Zetsche und sagen, mach du mal lieber kleine Autos, die mit 90 g CO2 laufen. – Der wird Sie doch auslachen.

Muhterem Aras: Ach, ich glaube, die Wirtschaft stellt sich sehr viel schneller auf die Politik ein, als man vermutet. Viel wichtiger ist doch für die Wirtschaft, dass sie von der Politik klare, transparente Rahmenbedingungen hat. Natürlich kann Herr Zetsche seine großen Wagen machen. Die Frage ist, was ist die zukünftige Mobilitätsform. Es kann sein, dass er jetzt heute kurzfristig in China seinen Absatzmarkt hat. Das ist auch in Ordnung.

Deutschlandradio Kultur: Das muss er sich aber als Manager überlegen.

Muhterem Aras: Das muss er. Das ist nicht meine Aufgabe. Aber die Aufgabe der Politik ist, die Rahmenbedingungen zu geben. Was wollen wir? Was erwarten wir? Und ich bin mit ganz sicher: Wenn das Ziel sein sollte, wir wollen weg vom Öl, wir wollen einen geringeren Verbrauch, dann bin ich mir ganz sicher, wenn es klar und transparent ist, dass die Unternehmen einfach sehr viel früher in die Forschung und in die Entwicklung investieren und mittel- und langfristig in der Massenproduktion die Ziele erreichen. – Ihnen geht es sehr oft darum, dass sie wirklich transparente und klare Rahmenbedingungen haben.

Deutschlandradio Kultur: Wird sich eigentlich Ihre Partei, die Grünen, in Anbetracht dessen, dass sie Politik für das ganze Land machen müssen, in den nächsten Wochen, Monaten verändern, gar verändern müssen, da sie nicht für 25 oder 18 Prozent reden, sondern für das ganze Land? Wohin wird sich diese Partei verändern müssen – notwendigerweise?

Muhterem Aras: Also, natürlich vertritt eine Landesregierung das gesamte Land. Das ist ganz klar. Und deshalb muss man auch wirklich sehr behutsam und sorgfältig umgehen mit den ganzen Umplanungen, Umsetzungen, mit den Programmen. Man kann auch nicht das gesamte Programm 1:1 umsetzen, sei es aus finanziellen Gründen, sei es aus Koalitionspartnergründen. Wichtig ist – und das finde ich wirklich sehr spürbar –, es ist eine sehr, sehr positive Wechselstimmung, eine Aufbruchsstimmung in der Bevölkerung da. Ich meine, man darf nicht vergessen, diese CDU war 58 Jahre an der Regierung. Und 58 Jahre ist einfach in Demokratiezeiten zu viel. Und wenn die Grünen 58 Jahre dran wären, auch dann wäre es zu viel.

Ich finde, Demokratie lebt vom Wechsel. Es tut der Partei und dem Land, egal, welcher Partei, nicht gut, wenn sie zu lange an einer Regierung ist, weil sie irgendwann einmal so tut, als ob dieses Land ihr Privateigentum ist. So hat es die CDU gemacht. Die SPD hat es in anderen Ländern so gemacht. Die Grünen waren noch nicht so lang dran, deshalb kann ich sie jetzt nicht aufführen. – Und viele Leute, auch CDU-Wähler, die uns jetzt zum ersten Mal vielleicht gewählt haben, die erst mal vorsichtig sind. Wichtig ist, dass man wirklich mit den Bürgern mitgeht, dass man zuhört, dass man keine Entscheidungen wirklich über Nacht trifft, alles auf den Kopf stellt, sondern einfach eine mittelfristige Planung macht. Was kann ich kurzfristig machen? Was kann ich langfristig machen?

Und unser Ziel ist auf jeden Fall, und das finde ich ganz wichtig, dass man bei einem Ministerpräsidenten, bei einer Landesregierung das Gefühl hat, okay, die hören erst mal zu und entscheiden nicht am grünen Schreibtisch oder sonst irgendwo, sondern wirklich beim Bürger dabei sein, mitten im Leben, mitnehmen, nachdenken, überlegen und dann entscheiden. Da finde ich den Herrn Kretschmann wirklich einen Glücksfall für unser Land. Und ich bin richtig froh, dass ich die Chance habe, mit ihm jetzt dabei sein zu dürfen.

Deutschlandradio Kultur: Auch wenn er so einen komischen Satz sagt – aus meiner Sicht – "Politik macht keinen Spaß, Politik macht Sinn"?

Muhterem Aras: Das ist seine Ansicht. Das ist auch in Ordnung. Mir macht Politik auch Spaß, weil ich merke, dass ich einfach auch durch mein Tun einiges verändern kann. Er war fast 30 Jahre mit kleinen Unterbrechungen auf der Oppositionsbank im Landtag. Das ist natürlich eine sehr, sehr harte Bank gewesen – gerade für die Grünen, wenn man erst mit wenigen Abgeordneten da ist und letztendlich viele, viele Anträge immer wieder wiederholen kann, ohne dass es quasi fruchtet. Aber letztendlich haben die Grünen sehr viel erreicht, weil eben viele Parteien doch einiges übernommen haben.

Deutschlandradio Kultur: Jetzt ist Politik kein Wünsch-dir-was-Spiel, aber Sie gehen in den Landtag. Sie haben ein sehr gutes Votum von Ihren Wählern. Welche Aufgaben würden Sie sich denn wünschen, wenn Sie sagen könnten, ja, ich möchte da richtig mitmachen?

Muhterem Aras: Also, wenn ich es mir wirklich selber aussuchen würde, würde ich Bildung und Finanzen machen – Bildung wirklich als Herzensangelegenheit. Ich finde, Bildung ohne Finanzen geht sowieso nicht. Und vor meinem beruflichen Hintergrund fände ich das eine tolle Kombination und das würde ich gerne machen.

Deutschlandradio Kultur: Frau Aras, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

Muhterem Aras: Ich danke Ihnen.