"Wir spielen bestimmt nicht Gott"

Moderation: Liane von Billerbeck · 22.05.2008
Der international renommierte Stammzellforscher Miodrag Stojkovic, der in Großbritannien arbeitet, hat eine Lockerung des deutschen Embryonenschutzgesetzes gefordert, das in seinen Augen überholt sei. Die Richtlinie für seine Forschungen sei der medizinische Bedarf. Dabei sprach sich der Wissenschaftler eindeutig gegen das reproduktive Klonen aus.
Liane von Billerbeck: In Valencia bin ich jetzt verbunden mit Miodrag Stojkovic, der deutsche Stammzellforscher, in Serbien geboren, hat in München an der Ludwig-Maximilians-Uni geforscht, ist dann nach Newcastle gegangen ans Institute of Human Genetics und forscht jetzt am Prinz-Felipe-Forschungszentrum in Valencia. Herr Stojkovic, ich grüße Sie!

Miodrag Stojkovic: Ja, guten Morgen!

Von Billerbeck: Wann war für Sie der Punkt gekommen, an dem Sie nach Großbritannien gehen mussten, um weiter forschen zu können?

Stojkovic: Das war eigentlich die Entscheidung, dass ich mich mehr, intensiver mit embryonaler Stammzellforschung beschäftigen möchte. Dadurch, dass in Deutschland leider die gesetzlichen Regelungen nicht flexibel sind, so wie in Großbritannien, ist mir die Entscheidung dann leichtgefallen, weil in Großbritannien ist es etwas, wo man sagt, man kann die Forschung betreiben mit einem ruhigen Gewissen, indem man auch die Regelung da steht.

Von Billerbeck: Wie haben denn die Kollegen in Deutschland damals auf Ihren Weggang reagiert?

Stojkovic: Ich bin nicht der Einzige, der aus Deutschland nach England oder in die Vereinigten Staaten oder sogar nach Schweden oder Israel gegangen ist, denn das sind die Länder, wo eigentlich diese Regelung deutschen Forschern erlaubt, das zu machen, was sie machen wollen, aber nicht machen dürfen. Einige hatten schon Verständnis, dass ich nach England gegangen bin, Sie wissen auch, das waren viele prominente Wissenschaftler wie zum Beispiel Herr Brüstle, der auch in den Vereinigten Staaten geforscht hat und dann Herr Zwaka, der immer noch in den Vereinigten Staaten forscht. Ich glaube nicht, dass sich durch dieses neue Stammzellgesetz das Klima etwas verändert hat, dass man sagt: Okay, jetzt kann man zurück nach Deutschland.

Von Billerbeck: Sind eigentlich die gesetzlichen Regelungen, die Unterschiede zwischen Deutschland und Großbritannien und den anderen Ländern, die Sie eben aufgezählt haben, der einzige Unterschied, oder gibt es beispielsweise in England auch einen spürbar anderen Umgang mit der Forschung an menschlichen Zellen auch unter den Wissenschaftlern?

Stojkovic: Ich würde sagen, es gibt einen Riesenunterschied, und zwar, dass die Leute in Großbritannien, wenn sie ein Problem darstellen, wie sie ein Problem lösen oder verschiedene Wege da sehen, das Problem zu lösen, fragen: Welchen Weg nehmen wir und warum ist das für uns gut? Wo führt uns das hin? In Deutschland fängt das dann immer an mit dieser Frage, warum ist das gefährlich für uns? Ich würde sagen, da ist dieser Unterschied in diesem Pragmatismus zwischen Großbritannien und Deutschland. Und natürlich ist es in Großbritannien so, dass man sagt: Okay, in Deutschland ist das und das verboten, dann machen wir das! Das ist etwas, was mich immer fasziniert hat, dass man sich mit einigen Sachen beschäftigt, weil man diese Sachen aus der Welt schaffen will wie zum Beispiel verschiedene Krankheiten, und wenn dieses "Rettungskind" oder "-geschwister" auch ein Weg ist, warum dann eigentlich nicht?

Von Billerbeck: Aber trotzdem gibt es doch sicher auch in Großbritannien Debatten um ethische Grenzen solcher Forschung?

Stojkovic: Genau. Die Debatten sind sehr offen und sehr breit durch das Publikum. Ich erinnere mich sehr wohl, als ich dort gearbeitet habe, bin ich zu Grundschulen gegangen, zu Mittelschulen und habe meine Vorträge gehalten und ich war einer, der zum Beispiel pro war, und der andere Redner war dagegen. Und dann konnten die Kinder Fragen stellen und sind heimgegangen und sich eine eigene Meinung gebildet, ob das gut ist oder nicht. Das heißt, dass man in Großbritannien sehr, sehr früh anfängt mit Ausbildung, Edukation von Kindern, damit sie irgendwann verstehen, worum es eigentlich geht in dieser Sache.

Von Billerbeck: Sie haben in einem Interview mal gesagt, ich bin verheiratet, mobil und bereit, in drei Monaten eine neue Aufgabe zu übernehmen. Das klingt so ein bisschen … Sie sind ja auch Teil der globalisierten Forschungselite, die quasi grenzenlos lebt und forscht, Sie sind außerdem der erste deutsche Forscher mit der Lizenz zum Klonen. Sie tun aber etwas, was hierzulande illegal ist. Wo setzen Sie die Grenzen Ihrer Forschung?

Stojkovic: Dort, wo kein medizinischer Bedarf besteht. Wenn etwas, sagen wir mal so, es uns nicht bringt, verschiedene Krankheiten zu heilen oder die besser zu verstehen oder verschiedene Arzneimittel auszuprobieren, alles in einer Plastikschale, in einer Petrischale, dann hört für mich diese Notwendigkeit von verschiedenen Vorschlägen wie zum Beispiel reproduktives Klonen auf. Reproduktives Klonen hat keine medizinische Erklärung für mich, deswegen bin ich dagegen. Wir müssen erstens wissen, warum wir das machen und ob das der Weg ist, denn wir nehmen sollen, und dann soll man den Weg einschlagen und gucken, ob das der beste Weg ist, um diesen Kindern beziehungsweise unseren Patienten zu helfen.

Von Billerbeck: Deutschland ist ja Ihr zweites Heimatland. Nun lässt sich ja die deutsche Geschichte hierzulande nicht so einfach abstreifen, ich meine die Euthanasie, die Einteilung in lebenswertes und lebensunwertes Leben während der NS-Zeit. Auch im Reagenzglas wird ja wieder sortiert. Ich will das nicht gleichsetzen, aber diese Vergangenheit ist ja da. Was antworten Sie solchen Kritikern, die dieses Bild immer bringen?

Stojkovic: Ich bin dafür: Sie müssen alles respektieren und nicht vergessen, was passiert ist, vor allem im Zweiten Weltkrieg. Nur, wir sprechen von einer Zukunftsmedizin. Wir reden nicht von irgendwelchen Leuten, die sich gezwungenermaßen eingesperrt sind, und an denen man experimentiert. Diese Fälle, die Sie jetzt erwähnt haben – die "Rettungskinder" sind einzeln beurteilt und dann wurde eine Entscheidung getroffen, ob das echt medizinisch vertretbar ist oder nicht. Und außerdem liegt der Zweite Weltkrieg inzwischen mehr als 60 Jahre hinter uns, und wir müssen uns echt mal langsam konzentrieren auf die Medizin, auf die Wissenschaft, und da muss ich leider sagen, dadurch, dass in Israel diese ganze Forschung erlaubt, heißt das jetzt, dass die Juden Nazis sind und die Deutschen sind die Opfer? Das ist für mich irgendwie nicht logisch.

Von Billerbeck: Sie sagten, medizinisch vertretbar, bis wohin ist denn etwas medizinisch vertretbar? Sie entscheiden ja auch, wenn Sie da Embryonen auswählen, dieses ja, dieses nein. Das heißt ja so ein bisschen, Sie spielen Gott.

Stojkovic: Wir spielen bestimmt nicht Gott, weil wenn wir diese Embryonen selektieren, selektieren wir erstens Embryonen, die eine gewisse Erbkrankheit in sich tragen und zweitens, wenn im Falle von einem "Rettungskind" der Embryo ein potenzieller Nabelschnur-Blutspender werden kann. Das heißt, wir versuchen, aus diesen fünf Embryonen einen bestimmten auszusuchen, der uns beziehungsweise den Eltern helfen kann. Und wenn die Eltern dann diese Entscheidung treffen dürfen, das finde ich genauso gerechtfertigt wie die Eltern, die Entscheidungen treffen dürfen im Falle von Gehirntod von ihrem Kind, wo sie sagen müssen, okay, jetzt müssen die Maschinen ausgeschaltet werden und wir spenden die Organe für jemand anderen, für ein anderes Kind. Ich bin der Meinung, wir müssen den Eltern die Entscheidung übergeben, weil die eigentlich diejenigen sind, die betroffen sind, und diejenigen, denen diese Embryonen eigentlich gehören.

Von Billerbeck: Meinen Sie, dass die gesetzlichen Regelungen in Deutschland sich ändern müssten, weil Deutschland sonst als Forschungsstandort gnadenlos zurückfällt?

Stojkovic: Ja. Erstens, das Embryonenschutzgesetz muss sich ändern, weil viele Patienten, die in Deutschland die Präimplantationsdiagnostik nicht machen dürfen, weil es verboten ist, irgendwann ins Ausland gehen und es dort machen. Und es ist nicht aus einem wissenschaftlichen Punkt, aber es ist auch so, dass auf Dauer das Embryonenschutzgesetz überholt ist. Das ist datiert aus 1990/91, seitdem sind 17 Jahre vergangen, es ist einiges passiert auf diesem Gebiet, genauso wie in der Stammzellforschung beziehungsweise Stammzellschutzgesetz. Man müsste in Deutschland viel, viel ändern, vor allem müsste man die Wissenschaftler reden lassen und mit Wissenschaft sollen sich die Wissenschaftler und Mediziner beschäftigen. Ich habe manchmal das Gefühl, die Leute, die damit überhaupt nichts zu tun haben, möchten gern darüber reden. Obwohl ich mich als Wissenschaftler 24 Stunden mit diesem Thema beschäftige, bin ich auch nicht in der Lage, alles zu folgen, und da frage ich mich manchmal: Wie schaffen es diese Supermenschen, über alles Bescheid zu wissen und alles zu erklären?

Von Billerbeck: Der Embryonalforscher Miodrag Stojkovic war das im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur, ich danke Ihnen!

Stojkovic: Danke auch!

Aus Gründen der Verständlichkeit weicht die Textfassung leicht von der Audiofassung ab.