"Wir sind solidarisch"

Michael Sommer im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 14.11.2012
Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer warnt davor, Länder wie Spanien, Portugal oder Griechenland kaputtzusparen - und fordert eine sozial ausgleichende Politik, mehr Investitionen und ein härteres Vorgehen gegen die "Herrschaft der Finanzmärkte".
Jan-Christoph Kitzler: Haben Sie schon gemerkt? Heute ist der Tag der Aktion und der Solidarität! Ausgerufen dazu hat der Europäische Gewerkschaftsbund, in Spanien und Portugal wollen die Gewerkschaften 24 Stunden lang das öffentliche Leben lahmlegen, auch in Griechenland wird mal wieder gestreikt und in Italien, und auch die Franzosen wollen sich solidarisch zeigen.

Bei uns in Deutschland kann heute vom Generalstreik nicht die Rede sein. Klar, Deutschland kommt gut durch die Krise, gilt sogar als Krisengewinner, aber wäre nicht etwas mehr Solidarität quer durch Europa angebracht?

Das will ich jetzt mit Michael Sommer besprechen, dem Vorsitzenden des DGB, des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Schönen guten Morgen, Herr Sommer!

Michael Sommer: Guten Morgen!

Kitzler: Warum ist eigentlich heute in Deutschland kein Generalstreik? Sind die deutschen Gewerkschaften nicht solidarisch mit ihren Kollegen in den Krisenländern?

Sommer: Doch, doch, wir sind solidarisch, wir machen auch diverse Aktionen, auch unsere Betriebsräte, unsere Euro-Betriebsräte und, und, und werden sich heute mit der Situation beschäftigen. Wir werden Solidaritätsadressen an die Krisenländer schicken. Nur ist die Situation in Deutschland natürlich schon eine andere, wir sind nicht in der Krise.

Wir sind von der Krise durchaus in Teilen erfasst, wenn Sie an Teile der Automobilindustrie denken und an Teile der chemischen Industrie, auch des Logistiksektors, nur, man kann nicht sagen, dass Deutschland in der Krise ist. Wir sind bislang relativ gut durch diese zweite Phase der Finanzkrise gekommen, aber wir sehen schon, dass die Konjunktur bei uns eine Delle hat auf der anderen Seite, auf der anderen Seite, dass natürlich eine sozial ausgleichende Politik, wie wir sie in der Krise 2008, 2009 betrieben haben, zu anderen Ergebnissen führt als das, was in Spanien, Portugal oder Griechenland gemacht wird, wo einseitig zulasten der Menschen nicht nur gespart wird, sondern wirklich diese Länder kaputt gespart werden, man sozusagen teilweise die soziale Garrotte an die arbeitende Bevölkerung setzt, Arbeitnehmerrechte geschliffen werden.

Das ist eine völlig andere Politik als in Deutschland und deswegen gibt es da auch den Widerstand, auch den Aufstand, wenn man so sagen will. Und in Deutschland ist trotz aller Bekundung der Kanzlerin in Europa, macht sie in Deutschland eine völlig andere Politik. Es gibt Teile ihrer Regierung, die würden das auch gerne tun, aber sie macht es selber nicht.

Kitzler: Durch die Finanzkrise ist die Arbeitslosigkeit ja in vielen europäischen Ländern stark angestiegen, Deutschland ist immer noch die Ausnahme, und wenn weniger Menschen Arbeit haben, dann sinkt ja logischerweise die Macht der Gewerkschaften, die die Arbeitnehmer vertreten. Was können die Gewerkschaften eigentlich gegen die Krise tun mit so einem Dilemma?

Sommer: Na ja, zum einen müssen wir natürlich sehen, dass wir alles tun, um diese Krise zu bekämpfen. Und diese Krise bekämpfen wir nicht mit dem Abbruch von Arbeitnehmerrechten und mit der Verlängerung der Lebensarbeitszeit und der Verschlechterung bei den Mindestlöhnen, alles das, was in Spanien, Portugal oder Griechenland passiert mit der Folge, dass die Arbeitslosigkeit steigt, über 20 Prozent in diesen Ländern, die Jugendarbeitslosigkeit über 50 Prozent in Spanien und Griechenland liegt.

Sie müssen sich vorstellen, jeder zweite Jugendliche ist arbeitslos, kriegt keinen Job, ist gezwungen, von der Hand in den Mund zu leben, von den Eltern, oder ins Ausland zu gehen, eine völlig unwürdige Situation in einem Kontinent wie unserem. Was wir tun können, ist, zu sagen: Wir wollen zweierlei, wir wollen die richtigen Maßnahmen gegen die Krise, dafür kämpfen wir. Das heißt, dass man gegen die Krise investiert und nicht in die Krise weiter hineinspart oder die Krise weiter sozusagen anheizt durch eine Spar- und Austeritätspolitik.

Dafür muss man Geld in die Hand nehmen, dafür muss man zum Zweiten aber auch dafür sorgen, dass diejenigen, die in diesen Staaten und in Europa insgesamt über das Vermögen verfügen, sich an der Finanzierung eines Aufschwungs beteiligen. Und zum Zweiten muss man sehen, dass man endlich das Grundübel dieser Zeit in den Griff kriegt, nämlich die Herrschaft der Finanzmärkte und die Herrschaft des Spekulantentums. Und wenn Sie jetzt diese Woche zum Beispiel den "Spiegel" gelesen haben über die Tatsache, dass in Griechenland die (…) keinerlei Steuern bezahlen, aber die Menschen in Griechenland selber, die arbeitenden Menschen immer weiter zum Sparen verurteilt werden, dann treibt das die Menschen auf die Straße und in den Generalstreik. Ich kann das verstehen, nur, das ist der Teil des Protestes.

Und wir müssen jetzt übergehen zu einer vernünftigen Politik, zu einer Politik des sozialen Ausgleiches. Und das ist auch der Ruf, den wir heute von Deutschland erschallen lassen: Helft endlich, den sozialen Ausgleich zu machen, bekämpft die Krise gemeinsam mit den Menschen und nicht gegen die Menschen, dann wird es auch wieder aufwärts gehen!

Kitzler: Ein Mantra der Gewerkschaften ist ja immer das Thema faire Löhne. Wie realistisch ist das denn eigentlich in Zeiten, in denen vielen Unternehmen das Wasser bis zum Hals steht, in denen auch Aufträge in Deutschland zurückgehen?
Sommer: Das ist sehr realistisch, weil natürlich Löhne nicht nur ein Kostenfaktor für die Unternehmen sind, sondern gleichzeitig auch ein Faktor, ein wichtiger Faktor für den Aufschwung und für die Stabilisierung von Volkswirtschaften. Faire Löhne schaffen Nachfrage, gute Löhne schaffen Nachfrage und die Möglichkeit überhaupt, zum Beispiel Produkte zu erwerben.

Kitzler: Aber dem einzelnen Unternehmer nützt das doch erst mal wenig?

Sommer: Ja, nicht wirklich! Also, wenn Sie zum Beispiel an Teile der Automobilindustrie denken, die kleine und mittlere Autos herstellen, die wissen sehr genau, dass, wenn in Italien zum Beispiel nur noch die Hälfte der Autos abgesetzt werden im Vergleich zuvor zwei Jahren, dass sie so viel Autos produzieren können, wie sie wollen. Wenn keine Kaufkraft, die Nachfrage da ist, werden keine Autos gekauft werden. Also, so einfach ist das. Es ist leider wirklich so einfach, und deswegen nützt es natürlich den Unternehmen sehr viel.

Und es nützt ihnen auch sehr viel, wenn sie selber am Markt bleiben können und nicht aufgrund von Absatzschwierigkeiten schlicht und ergreifend verschwinden. Wir haben in Deutschland übrigens im Jahre 2008, 2009, 2010 genau diese Erfahrung gemacht: Wir haben Arbeit stabilisiert über Kurzarbeit, wir haben Arbeit stabilisiert über die Abwrackprämie, wir haben Arbeit stabilisiert dadurch, dass die Unternehmen mit Kreditlinien in ihrer Existenz behalten wurden, und wir haben binnen kürzester Zeit diese Krise überwunden!

Das geht, wenn man gegen die Krise arbeitet, und nicht, wenn man die Krise sozusagen durch eine (…) Politik weiter verschärft. Und das ist das, was die Kanzlerin und andere derzeit Europa verordnen, und das wird immer weiter in den Abgrund führen. Ich habe neulich in einem Interview gesagt: Die Menschen erwarten auch in harten Zeiten, dass man Licht am Ende des Tunnels sieht. Momentan sehen sie einen tiefen Brunnenschacht und denken, sie werden darin versinken!

Kitzler: Generalstreiks in Europa – nicht in Deutschland, aber in vielen anderen Ländern – und die Folgen der Krise. Das war Michael Sommer, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Vielen Dank für das Gespräch, und einen schönen Tag wünsche ich Ihnen!

Sommer: Bitte, Herr Kitzler!


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