"Wir sind hier im Bündnisbereich der NATO"

Christian Schmidt im Gespräch mit Nana Brink · 12.12.2012
Der geplante Einsatz von Patriot-Raketen der Bundeswehr an der türkisch-syrischen Grenze sei auch so etwas wie ein "erhobener Zeigefinger" seitens der NATO gegenüber Syrien, die Türkei nicht in den Bürgerkrieg im eigenen Land hineinzuziehen, sagt der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Christian Schmidt (CSU).
Nana Brink: Auch für diesen Einsatz scheint es ein breites Bündnis zu geben. Es scheint, als sei sich das deutsche Parlament im Klaren, wo es die Bundeswehr als nächstes hinschickt. Heute debattiert der Bundestag in erster Lesung über die Verlegung von deutschen Patriot-Abwehrraketen und deutschen Soldaten in die Türkei. Bis zu 400 sollen dort an der Grenze zu Syrien im Rahmen einer NATO-Operation stationiert werden. Und sowohl die SPD wie auch die Grünen haben schon Zustimmung signalisiert – warum das Ganze? Der NATO-Partner Türkei fühlt sich bedroht von Angriffen des syrischen Militärs und hat seine Partner um Hilfe gebeten.

Und doch bleiben Fragen offen, und die will ich jetzt besprechen mit Christian Schmidt von der CSU. Er ist parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Schönen guten Morgen, Herr Schmidt!

Christian Schmidt: Guten Morgen, Frau Brink!

Brink: Die türkische Seite behauptet immer wieder gerne, auch die deutschen Patriot-Stellungen und damit auch die deutschen Soldaten stünden unter ihrem Kommando. Ist dem so?

Schmidt: Dem ist nicht so, und ich hatte das gehört von dem Pressesprecher, dem Parteisprecher in der Türkei – er liegt falsch. Es ist eine Kommandostruktur, die über die NATO geht, das heißt, der Oberbefehlshaber der NATO, Admiral Stavridis in Belgien, ist der, der über seine sogenannte Chain of Command dann das letzte Sagen und Entscheidung hat.

Brink: Wird dieses Mandat rein defensiv sein, also keinen Einstieg in eine Absicherung zum Beispiel einer Flugverbotszone beinhalten, was SPD und Grüne fürchten, aber die Amerikaner gerne gehabt hätten?

Schmidt: Ja, also die offizielle amerikanische Position - nicht die derer, die das vielleicht in irgendwelchen Kommentaren in Zeitungen geäußert haben, sondern die, die wirklich zu entscheiden haben -, die sind gemeinsam mit der NATO im Rahmen eines Konsultationsverfahrens nach Artikel vier des NATO-Vertrages auf die Türkei zugegangen, und haben die Grenzen und Rahmen auch mit der Türkei festgelegt.

Und das ist eindeutig, wir sind hier im Bündnisbereich der NATO, es ist NATO-Land, die Türkei. Allerdings ist alles weitere darüber hinaus, was sich mancher da irgendwo vorstellen könnte, in keiner Weise mit dem jetzigen Mandat abgedeckt. Dazu bedürfte es eines Sicherheitsmandats der Vereinten Nationen, das liegt überhaupt nicht vor und ist auch nicht angestrebt. Also auf diese Frage, auf diese Besorgnis kann ich klar sagen: Ja, hier ist eine Grenze, die auch mit diesem Mandat nicht überschritten wird.

Brink: Die Bundesregierung hat beschlossen, dafür ein Bundestagsmandat einzuholen. Das muss sie, wenn sie befürchtet, die Bundeswehr könnte in eine bewaffnete Auseinandersetzung hineingezogen werden. Also dann sehen Sie die Gefahr einer solchen Zuspitzung an der türkisch-syrischen Grenze für deutsche Soldaten?

Schmidt: Natürlich, die Besorgnis der Türkei ist ja, dass sie hineingezogen werden könnten, sozusagen durch Überschwappen. Wir hatten ja auch eine Reihe, sowohl von Granateinschlägen wie auch den Abschuss eines türkischen Flugzeugs im Grenzbereich. Allerdings muss ich schon sagen, der erhobene Zeigefinger, der seitens der NATO auch gegenüber Syrien insofern besteht als 'Vorsicht, das ist unser Gebiet, das wir gemeinsam schützen!' - , hat nicht unbedingt zur Folge, dass man eine unmittelbare Erwartung eines Konfliktes gibt. Das mag subjektiv in der Türkei anders gesehen werden, einen objektiven Befund einer bevorstehenden Operation haben wir nicht.

Brink: Aber auch Sie können keine Versicherung geben. Ein Zeigefinger ist keine Versicherung, die Gefahr ist ja virulent. Es gibt Berichte, dass die syrische Armee gestern drei Scud-Raketen abgeschossen hat, allerdings innerhalb ihres Gebietes. Wer sagt, dass sie das nicht auch in Richtung Türkei tut?

Schmidt: Ja, genau deswegen sollen ja nun auch im Notfall Patriot-Raketen verhindern, dass diese Raketen Schaden anrichten auf türkischem Territorium.

Brink: Aber Sie können nicht ausschließen, dass deutsche Soldaten dann involviert werden in eine Auseinandersetzung?

Schmidt: Also, ich halte es nicht für wahrscheinlich, und ich habe auch – ausschließen kann man ja im Leben bekanntermaßen nie was. Deswegen liebe ich diese Fragen so, sie führen uns eigentlich nicht zur Erkenntnis, wenn ich das sagen darf, Frau Brink.

Brink: Aber deshalb gibt es ein Bundestagsmandat!

Schmidt: Wir müssen Vorsorge treffen, und dieses Mandat ist auch dem Gedanken geschuldet, dass wir in der Abwägung, ob man eigentlich ein Bundestagsmandat braucht, andererseits sagt, es ist da ein Thema, das man durchaus parlamentarisch, politisch ja beraten soll, und auch eine entsprechende Unterstützung, auch das eine Signalwirkung, wenn es mit großer Mehrheit verabschiedet wird.

Brink: Aber Sie machen sich ja, wie Sie schon gesagt haben, Gedanken über die Gefahrenlage – das ist ja auch Ihr Job im Verteidigungsministerium. Sowohl der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, aber auch das renommierte Londoner International Institute for Strategic Studies, hat ja davor gewarnt, dass das Assad-Regime in der Lage ist, Chemiewaffen einzusetzen, auch eben besagte Scud-Raketen – im Zweifel auch gegen deutsche Soldaten. Wie schätzen Sie diese Gefahr dieser Chemiewaffen ein?

Schmidt: Das trifft zu, dann ist da allerdings die Frage der Nutzung von solchen chemischen Möglichkeiten, die er übrigens völkerrechtswidrig hat, Assad. Und bisher gibt es keinerlei Hinweise, dass er die rote Linie, die ja auch der amerikanische Präsident sehr deutlich und klar gezogen hat, dass er versucht, die irgendwie …

Brink: Er hat gesagt, wenn die eingesetzt werden, dann gibt es eine Intervention, noch mal.

Schmidt: Genau, er hat gesagt, das ist das, was die Volksgemeinschaft nicht akzeptieren kann, was das Volk – ja auch nicht nur Soldaten, sondern chemische Waffen haben ja verheerende Wirkungen, deswegen müssen wir alles tun, damit Assad nicht in solch einer Situation irgendetwas nutzt. Aber ich will noch mal sagen, es gibt keinerlei Hinweise, dass er so etwas plant oder beabsichtigt.

Aber: Sie haben auf die Scud-Raketen hingewiesen, die vielen noch aus dem Golfkrieg in Erinnerung sind, als sie Richtung Israel gerichtet wurden vom Irak aus. Es sind Raketen, die eine Gefahr darstellen, wenn sie dann auch mit entsprechenden Sprengköpfen oder mit Material ausgestattet sind. So, das muss verhindert werden, und insofern ist es schon gut, auch einen Zeigefinger zu haben, auch wenn der Zeigefinger eher in die Luft deutet und nicht auf einen konkreten Hinweis arbeitet.

Brink: Aber die Zweifel bleiben. Christian Schmidt von der CSU, Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Herzlichen Dank, Herr Schmidt, für das Gespräch!

Schmidt: Gerne!


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