"Wir sind das Volk"

Vom Ruf nach Freiheit zur Hassparole

Sie wollen "das Volk" sein: Pegida-Demonstranten am 22. Dezember 2014 in Dresden
Sie wollen "das Volk" sein: Pegida-Demonstranten am 22. Dezember 2014 in Dresden © dpa / picture alliance / Kay Nietfeld
Von Ernst Piper · 16.02.2015
Bei den Dresdner Pegida-Demonstrationen gab es auch den Ruf "Wir sind das Volk!" – skandiert mit erhobener Faust und wutverzerrtem Gesicht. Der Historiker Ernst Piper ist der Herkunft dieser Parole nachgegangen.
Die Deutschen haben erst seit 1871 einen Nationalstaat, aber das deutsche Volk hat sich schon das ganze 19. Jahrhundert hindurch als handelndes Subjekt machtvoll artikuliert. Napoleon war von den Deutschen in einem Volkskrieg besiegt worden. Die Völkerschlacht bei Leipzig 1813 war der Höhepunkt der Befreiungskriege, sie besiegelte seine Niederlage.
In Georg Büchners Revolutionsdrama "Dantons Tod" von 1835 ruft erstmals ein Bürger "Wir sind das Volk". Ferdinand Freiligrath schrieb 1848 sein Gedicht "Trotz alledem", in dessen letzter Strophe ebenfalls der Ruf "Wir sind das Volk" ertönt. Wirklich populär wurde die Parole dann durch die Leipziger Montagsdemonstrationen, durch die friedliche Revolution, die 1989 zum Ende der DDR führte.
Hassprediger haben die Parole okkupiert
Heute ist die Parole wieder zu hören, bei Montagsdemonstrationen ganz anderer Art. Die Hassprediger der Pegida-Bewegung haben sie okkupiert und missbrauchen sie. Wenn sie die Parole benutzen, meinen sie in Wirklichkeit etwas ganz anderes. Ihre Botschaft wendet sich an Andersgläubige, Flüchtlinge und Menschen mit anderer Hautfarbe und sie lautet: "Wir sind das Volk und ihr gehört nicht dazu."
Hier artikuliert sich nicht der Volksgeist der Befreiungskriege und der Revolution von 1848, sondern völkisches Denken, ein Denken, das Deutschland schon einmal in eine furchtbare Katastrophe geführt hat. "Deutschland den Deutschen" war der Schlachtruf der Nationalsozialisten zu Beginn ihres Sturmlaufs zum Sturz der ersten deutschen Demokratie.
Hier offenbart sich ein rassistischer Volksbegriff, der auf ethnische Reinheit zielt, der keine Vielfalt duldet und – früher die Juden, heute die Muslime – Minderheiten ausschließen will.
Dazu gehört auch die Idee, die Menschen in Inländer und Ausländer einzuteilen, die in der Ära des Nationalismus populär wurde. Heute leben wir in einer europäischen Union von 28 Staaten, in der weitgehende Freizügigkeit herrscht, die Menschen vom wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenwachsen profitieren und dieser Einteilung ihr ursprünglicher Sinn immer mehr verloren geht.
Ein Pegida-Initiator wie Lutz Bachmann, der Ausländer als "Viehzeug" und "Gelumpe" bezeichnet, wirkt da wie ein aus der Zeit gefallener völkischer Agitator – und das Selfie mit Hitlerbärtchen signalisiert deutlich, nach welchen Zeiten er sich zurücksehnt.
Das Volk wurde völkisch
Angeblich will Pegida das Abendland verteidigen. In Wirklichkeit tritt die Bewegung alles mit Füßen, was seit der Französischen Revolution in Europa erkämpft worden ist, die Universalität der Menschenrechte, Freiheit, Aufklärung und Toleranz. In Krisenzeiten sind diese Werte besonders gefährdet.
Das 20. Jahrhundert war ein Jahrhundert der Gewalt, gerade auch in Europa, ein Jahrhundert der Kriege und Bürgerkriege, brutaler Auseinandersetzungen zwischen politischen Feinden und unterschiedlichen Volksgruppen, Vertreibung und Völkermord. Der Erste Weltkrieg, der am Beginn dieses Zeitalters der Extreme stand, war ein Katalysator für die Idee der Ethnisierung des Staatsbürgerschaftskonzepts. Für Minderheiten sollte kein Platz sein in den nationalen Gemeinschaften. Das Volk wurde völkisch.
Die Idee der ethnischen Flurbereinigung, der mörderischen Säuberungen zur Herstellung homogener Staaten war in weiten Teilen Europas populär, aber nirgends hatte sie so radikale Konsequenzen wie in Deutschland.
Diese Zeit mit ihren namenlosen Schrecken muss für immer Vergangenheit sein. Deshalb ist es so wichtig, dass der revolutionäre Ruf "Wir sind das Volk" nicht denen überlassen wird, die daraus eine Hassparole zur Ausgrenzung von Menschen machen wollen, die anders sind als sie selbst.
Ernst Piper, 1952 in München geboren, hat Geschichte, Philosophie und Germanistik studiert, lebt heute als Historiker in Berlin und ist Privatdozent für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam. Er hat zahlreiche Bücher geschrieben, unter anderem eine "Kurze Geschichte des Nationalsozialismus" (2007) und "Nacht über Europa. Eine Kulturgeschichte des Ersten Weltkriegs" (2013).
Der Historiker und Publizist Ernst Piper
Der Historiker und Publizist Ernst Piper© Foto: Cordula Giese /Copyright: Ernst Piper
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