Wir schaffen das!

Ein Appell, der eine Alternative war

Bundeskanzlerin Merkel in der Talkshow "Anne Will"
"Zutiefst überzeugt, dass mein Weg der richtige ist" - Bundeskanzlerin Merkel in der Talkshow "Anne Will" © picture alliance / dpa / Rainer Jensen
Von Norbert Copray · 03.03.2016
Hätte Angela Merkel verzweifelte Flüchtlinge mit der Resignation stoppen sollen: "Nein, wir schaffen das nicht"? fragt der Frankfurter Publizist Norbert Copray – rhetorisch, denn er hält ihren Appell für die bessere Alternative.
Ist das noch zu schaffen, wovon die Bundeskanzlerin im Herbst letzten Jahres erstmalig und dann wiederholt meinte: "Wir schaffen das"? Inzwischen glauben 81 Prozent der Bevölkerung in Deutschland nicht mehr, dass die Bundesregierung die Flüchtlingskrise im Griff hätte. So der ARD-Deutschlandtrend. Und Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, der etliche Entscheidungen Merkels zur Flüchtlingskrise richtig fand, hätte den Appell anders ausgedrückt und sagte: "Wir können das schaffen, wenn wir bereit sind, Voraussetzungen dafür hinzubekommen".
Aber: Hätte er so die Massen erreicht? Und die Herzen geöffnet? Wohl kaum. Selbst eine Boulevardzeitung prägte den Slogan "Wir helfen". Der "Flüchtlingsskepsis zum Trotz jetzt erst recht", wie sie schrieb, um all jene mental zu unterstützen, die das Motto Merkels richtig aufgefasst haben: Wir schaffen das, wenn wir alle anpacken.

Eine Mehrheit der Deutschen will es schaffen

Bei aller Kritik an der Politik wird die Aufnahme von Flüchtlingen aus Kriegsgebieten nach wie vor nahezu einhellig befürwortet – von 94 Prozent im ARD-Deutschlandtrend von Anfang Februar. Auch die Bereitschaft zur Aufnahme von politisch oder religiös Verfolgten ist mit 73 Prozent weiterhin hoch. Daran ist zuerkennen: Die überwiegende Mehrheit will es schaffen, will, dass wir es schaffen. Auch wenn die Zweifel stark sind, es zu schaffen. Zweifel gehören dazu, sollten aber nicht von konstruktivem Handeln abhalten.
Was hätte Angela Merkel angesichts der verzweifelten Menschen sagen sollen, die vor Krieg und Gewalt, voller Angst und Traumata flohen und keine Zuflucht fanden? Hätte sie sagen sollen: Wir schaffen das nicht? Was wäre dann passiert? Deutschland wäre wie Ungarn und Polen quasi regierungsamtlich zu einer Festung geworden, zu einem fremden- und flüchtlingsfeindlichen Land, zum größten Egoisten in Europa. Doch dank Merkel und der mit ihr handelnden Politiker und Flüchtlingshelfer konnte am 27. Januar die Holocaust-Überlebende Ruth Klüger in eindrucksvoller Weise im Bundestag sagen:
"… dieses Land, das vor achtzig Jahren für die schlimmsten Verbrechen des Jahrhunderts verantwortlich war, hat heute den Beifall der Welt gewonnen, dank seiner geöffneten Grenzen und der Großherzigkeit, mit der Sie die Flut von syrischen und anderen Flüchtlingen aufgenommen haben und noch aufnehmen …"

Selbstermutigung und Unterstützung tragen zum Gelingen bei

Viele Menschen stehen auch persönlich vor großen Schwierigkeiten, vor Herausforderungen, die zu überfordern scheinen. Sich zu sagen "Ich schaffe das", ist eine Selbstermutigung, die zum Gelingen beiträgt. Sie ist Ausdruck von Hoffnung, auch Ausdruck wider alle Hoffnung. Wer zurückschaut und sieht, was alles auch gelungen ist, kann wissen: auch das, was kommt, kann ich schaffen. Anpacken ohne Selbstermutigung ist nicht möglich.
Dazu kommt noch: mit wem schaffen? Es braucht Mithelfer, Unterstützer, Solidarität. Die gilt es, ebenso anzusprechen wie die Frage: mit was schaffen? Was für Ressourcen habe ich, auf welche Stärken kann ich setzen? Sich besinnen auf das, was an Kräften da ist und damit kreativ werden. Und schließlich: wie schaffe ich das?
Das ist im Privaten nicht anders als in der großen Politik: In kleinen Schritten, versuchsweise, um korrigieren zu können, wenn was nicht klappt. Doch stets mit einem klaren Kompass dabei: Welche Werte sind mir wirklich wichtig? Und was zählt über das Materielle hinaus? Das braucht es auch in der Politik. Damit die Werte, für die unser Grundgesetz steht, nicht Phrase und Tarnung sind, sondern praktisch, realistisch und lebenswert.

Norbert Copray, geboren 1952, ist Philosoph, Diplomtheologe, Sozialwissenschaftler und Journalist. Gründer und Direktor der Fairness-Stiftung. Herausgeber und Gesellschafter von "Publik-Forum". Leitet seit 1977 das Rezensionswesen von "Publik-Forum". Autor zahlreicher Bücher und Artikel. Begleitet als Coach und Berater Führungskräfte, Teams und Organisationen.





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