"Wir müssen jetzt anfangen"

Moderation: Jürgen König · 03.12.2007
Die Meeresforscherin Karin Lochte macht auf die Dringlichkeit des Klimaschutzes aufmerksam. "Selbst wenn wir heute aufhören würden, CO2 zu emittieren, werden wir schon einige Effekte sehen, die sich nicht mehr aufhalten lassen", sagte die Direktorin des Alfred-Wegener-Institutes für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven.
König: Letzte Chance für die Rettung der Welt? Heute beginnt die Klimakonferenz von Bali. Am Telefon die Direktorin des Alfred-Wegener-Institutes für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven, Professor Karin Lochte. Guten Tag!

Karin Lochte: Ja, guten Tag!

König: Frau Lochte, durch die Medien geisterte jetzt immer dieser Satz: Diese Konferenz sei die letzte Chance, klimapolitisch Weichen zu stellen, sonst seien die Folgen der Erderwärmung nicht mehr aufzuhalten. Ist das so?

Lochte: Ja! Das kann ich durchaus bestätigen. Selbst wenn wir heute aufhören würden, CO2 zu emittieren, werden wir schon einige Effekte sehen, die sich nicht mehr aufhalten lassen, das ist im IPCC-Bericht auch dargelegt worden. Das ist zwar nicht sehr viel, aber immerhin.

Und je weiter wir voranschreiten ohne Änderung, umso stärker werden diese Effekte sein. Also wir haben nicht mehr 50 Jahre Zeit. Wir müssen jetzt anfangen, und Sie wissen ja selber, wie lange diese politischen Diskussionen dauern. Wenn jetzt was unterzeichnet wird oder begonnen wird zu unterzeichnen, dann dauert das sowieso drei bis fünf Jahre, bevor irgendetwas passiert.

König: Ivo de Boer, er ist bei den Vereinten Nationen für den Klimawandel zuständig, der hat gesagt: "Der Druck auf die Staaten, sich auf Maßnahmen zu einigen, hat ein Maximum erreicht, dass es fast nicht vorstellbar ist, dass die politische Reaktion ausbleibt." Ist das Zweckoptimismus?

Lochte: Ich hoffe nicht. Ich hoffe sehr, dass das tatsächlich in den Köpfen der Leute ist. In Deutschland ist es so, Frau Merkel hat das ja sich ganz groß auf die Fahnen geschrieben, und ich weiß auch, dass sie das auch persönlich so sieht. Und es ist eigentlich sehr schwierig zu verstehen, dass es andere Länder gibt, die immer noch abstreiten, dass hier ein absoluter Handlungsbedarf ist.

König: Ein solches Land war lange Zeit Australien, nun hat Australien eine neue sozialdemokratische Regierung, die gleich erklärt hat, dem Kyoto-Protokoll beitreten zu wollen. Jetzt sind die USA die einzige große Industrienation noch außerhalb des Kyoto-Vertrages, und dabei sind die USA für fast ein Viertel des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich.

Präsident Bush hat ja beim G-8-Gipfel von Heiligendamm schon so ein vorsichtiges Einlenken signalisiert. Was glauben Sie, wie ernst meinen es die Amerikaner mit dem Klimaschutz?

Lochte: Man muss da, glaube ich, unterscheiden zwischen der Bush-Regierung und das, was in einzelnen Staaten schon passiert, also Kalifornien zum Beispiel macht ja schon eine ganze Menge.

Und innerhalb der Bevölkerung der USA gibt es durchaus auch eine starke Unterstützung, dass etwas geschehen muss. Insofern denke ich, dass es in den USA einen guten Boden dafür gibt, tatsächlich auch jetzt das Nachfolgeprotokoll zu unterzeichnen. Und ich kann nur sagen, ich hoffe, dass die USA das tatsächlich jetzt auch politisch verpflichtend tun werden.

König: Wie steht es um die Schwellenländer wie China und Indien? Hat man dort Geld für Investitionen, die dem Klimaschutz zugute kommen?

Lochte: Ja, bei den Schwellenländern, das ist tatsächlich ein Problem. Die sagen natürlich, pro Kopf emittieren wir ja sehr viel weniger als die Industriestaaten, und insofern muss uns ja erst mal erlaubt werden, dieses Limit zu erreichen. Wenn wir das aber zulassen, dann haben wir tatsächlich ein riesengroßes Problem.

Insofern müssen wir selber auch sehen, dass wir reduzieren in den hoch emittierenden Staaten, und wir müssen auch sehen, dass wir die neuen Technologien relativ rasch an die Schwellenländer weitergeben. Das bedeutet auch, dass wir sehen müssen, dass diese Technologien nicht allzu teuer werden. Die haben zum Teil nicht das Geld, das ist ganz klar, und das ist auch das große Problem.

König: Kanzlerin Merkel, glaube ich, unterstützt aber diesen indischen Vorschlag, also den erlaubten CO2-Ausstoß nach der Bevölkerungsgröße zu bemessen?

Lochte: Wir müssen natürlich dann auch sagen, wie viel darf man pro Kopf eigentlich emittieren - in allen Ländern. Das ist schwierig, das heißt für uns, wir müssten zurückschrauben. Wir müssen den Menschen in Europa, in Deutschland, klarmachen, was können sie denn eigentlich tun. Wir müssen ihnen Möglichkeiten anbieten, wie sie ihren Stromverbrauch reduzieren können und CO2-Ausstoß beim Heizen und beim Autofahren.

Denn ich glaube, dass eine ganze Menge Leute sagen, ja, ich würde ja gern was machen, aber ich weiß nicht, was, und ob das, was ich da tue, nun wirklich was bringt. Also eine Informationskampagne wäre sicherlich auch wichtig, gerade in Bezug auf die Nutzung von neuen Energiemöglichkeiten, Energieträgern - also was bringt Ökostrom und solche Sachen - aber auch in Bezug auf neue Geräte, die energiesparend sind.

König: Lassen Sie uns noch mal auf die deutsche Rolle jetzt bei diesem UN-Weltklimagipfel kommen. Sie haben es schon angesprochen, die Bundeskanzlerin hat sehr ehrgeizige Ziele formuliert, eine Senkung des deutschen CO2-Ausstoßes um 40 Prozent will Deutschland schaffen. Achim Steiner, der Chef des UN-Umweltprogramms, sieht Deutschland auf Bali in einer Führungsrolle. Wie sehen Sie den Einfluss Deutschlands beim Klimagipfel?

Lochte: Ja, ich glaube, durch diese hohen Ziele, die wir uns gesetzt haben, sind wir sicherlich schon ein Beispiel. Und das andere ist, dass wir durch die Entwicklung von neuen energiesparenden Technologien auch eine Führungsrolle übernehmen können. Also ich glaube schon, dass Deutschland eine Vorreiterrolle spielen kann und es auch tun wird.

Und ich setze große Hoffnungen darauf, dass wir auch im technologischen Bereich den anderen Ländern ein gutes Beispiel geben können. Und die Entwicklungsländer werden sich nicht bewegen, wenn sie nicht sehen, dass auch die hoch entwickelten Länder die ersten Schritte in die richtige Richtung tun. Also wir müssen was tun.

König: Glauben Sie, dass solche Gipfel, wie diese Mammutveranstaltung auf Bali, dafür wirklich sinnvoll sind? Man denkt als Laie immer, das ist ein riesiger Aufwand, der betrieben wird, und es ist ja jetzt schon gesagt worden, Ziel dieses Gipfels sei, ein Anfangssignal zu setzen. Ist das wirklich sinnvoll?

Lochte: Ich würde mir schon wünschen, dass das auch mit weniger Aufwand zu machen ist. Und es ist wichtig, eine Öffentlichkeit herzustellen, um auch diese ganzen Länder mit ins Boot zu bekommen. Also insofern ist es einfach, glaube ich, eine politische und öffentlichkeitswirksame Veranstaltung. Die richtige Arbeit wird sicherlich vorher schon geleistet werden oder in weniger auffälligen Gremien und Meetings.

König: Man ist ja als Laie oft genug verwirrt, wenn man zum Beispiel liest, dass Wissenschaftler sich gar nicht einig sind, ob wir überhaupt eine Klimakatastrophe erleben oder nicht doch eher einen Klimawandel, wie er eben vorkommen kann in den Jahrmillionen der Erdgeschichte. Wie viel gesichertes Wissen gibt es denn nun?

Lochte: Also man hat anhand der Daten, die wir jetzt haben und anhand der Modelle Berechnungen angestellt, wie sich das Klima verändern würde, wenn wir keinen CO2-Ausstoß haben, und wie sich das Klima entwickelt mit diesem menschlichen CO2-Ausstoß.

Und da ist ganz klar, wir haben keine Möglichkeit, den augenblicklichen Temperaturanstieg zu erklären, wenn wir nicht diesen zusätzlichen CO2-Ausstoß haben. Also es gibt eine alternative Erklärung, die wirklich den augenblicklichen Temperaturanstieg tatsächlich schlüssig erklären könnte.

König: Und das sieht auch die Mehrheit der Wissenschaftler so, dass es keine alternative Erklärung gibt?

Lochte: Ja, das sieht die Mehrheit der Wissenschaftler so. Und IPCC hat mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit gesagt, der augenblickliche Temperaturanstieg ist aufgrund von menschlicher Aktivitäten.

König: Erklären Sie uns noch, was IPCC ist?

Lochte: IPCC, der International Panel on the Convention of Climate Change. Das ist ein UN-Gremium, was Wissenschaftler aus aller Welt zusammenbringt, um das gesicherte Wissen über den Klimawandel zusammenzuführen und zu einem Schluss zu kommen, der den Politikern vorgelegt werden kann.
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