Wir müssen "höhere Löhne vereinbaren"

Peter Bofinger im Gespräch mit Christopher Ricke · 15.02.2013
Wenn es um das Wirtschaftswachstum in Europa geht, sei Deutschland zwar das stärkste Land, aber es ziehe die anderen Länder nicht genug mit, meint der Ökonom Peter Bofinger. Um der europäischen Wirtschaft mehr Dynamik zu verleihen, sollten in Deutschland die Löhne steigen.
Christopher Ricke: Viele Staaten haben Schulden. Die meisten Währungsräume stecken in einer Klemme, und man hat Angst davor, dass jeweils die anderen die Währungen abwerten, um so die Exporte anzuheizen und die Schulden abzukühlen. Es gibt also eine Angst vor einem Abwertungswettlauf – es gibt schon das Wort von der Gefahr eines Währungskrieges.

Heute treffen sich in Moskau die 20 führenden Industrie- und Schwellenländer, sie alle haben ihre Finanzminister geschickt: Die G20 beraten über einen Schulterschluss in der Währungspolitik, damit es eben nicht zu dem eben skizzierten Konflikt kommt. Peter Bofinger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Würzburg, Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Guten Morgen, Professor Bofinger!

Peter Bofinger: Guten Morgen, Herr Ricke!

Ricke: Wie ist das denn mit dem Abwertungswettlauf: Lässt sich der überhaupt noch verhindern, so wie die Japaner und die Amerikaner inzwischen Geld drucken?

Bofinger: Ich glaube, man muss bei diesem Währungskrieg die Dinge differenziert sehen. Wir haben Länder wie Japan und die Schweiz, aber auch Brasilien vor ein, zwei Jahren, die eine enorme Aufwertung ihrer Währung erfahren haben an den Devisenmärkten, und wenn man die Währung eines Landes aufwertet, dann ist das Problem, dass seine Produkte auf den Weltmärkten teurer werden, dass die Länder an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Und Schweiz und Japan haben nun ganz massiv versucht, diese Aufwertung zu stoppen, diese Aufwertung zurückzuführen, um wieder einigermaßen wettbewerbsfähig zu werden.

Also das Problem sind in diesem Fall jetzt nicht die Länder, die sich gegen diese Wechselkursbewegung versuchen zu verteidigen, das Problem ist, dass wir es mit Devisenmärkten zu tun haben, die ziemlich erratisch, chaotisch die Wechselkurse bestimmen und damit eben auch Ländern massive Wettbewerbsfähigkeitsprobleme verschaffen. Wenn Länder sich dagegen wehren, glaube ich, ist das zunächst mal keine schlechte Sache.

Ricke: Devisenkurse werden aber am freien Markt gemacht, oder muss sich das ändern?

Bofinger: Das ist ein freier Markt, aber wie alle Finanzmärkte ist auch der Devisenmarkt ein ziemlich chaotischer Markt, und wir wissen aus vielen, vielen Studien, dass die Bewegungen des Devisenmarktes sehr wenig mit dem zu tun haben, was in den Ländern tatsächlich passiert. Und die Gefahr ist dann eben sehr groß, dass Länder große Probleme bekommen. Nehmen Sie jetzt auch den Euroraum: Da sind ja die Problemländer massiv dabei, ihre Wettbewerbsfähigkeit durch Strukturreformen zu verbessern, durch Lohnsenkung. Wir haben aber jetzt erlebt, dass der Euro von 1,20 gegenüber dem Dollar auf 1,35 aufgewertet worden ist, und all das, was da an besserer Wettbewerbsfähigkeit national errungen wurde, ist auf die Art und Weise wieder zunichte gemacht worden.

Ricke: Deswegen schaut man ja unter anderem auch in Deutschland mit einem gewissen Grimm in die USA, wo Präsident Obama auch sagt, Schuldenabbau alleine könne kein politisches Ziel sein, die Verschuldungsgrenzen immer wieder angehoben werden und es immer mehr und immer billigeres Geld gibt. Kann man sich dagegen überhaupt stemmen, oder muss man als Kleinerer einfach mitmachen?

Bofinger: Zunächst mal, glaube ich, sollten wir Herrn Obama dankbar sein, dass er seine Finanzpolitik so fährt, wie er das jetzt in der letzten Zeit getan hat. Wenn wir uns die Weltwirtschaft ansehen, sind die Vereinigten Staaten derzeit der einzige Wachstumspol, und auch für Deutschland ist das extrem wichtig.

Die deutschen Exporte haben im letzten Jahr insgesamt eine Zuwachsrate von vier Prozent erreicht, davon ist aber die Zuwachsrate in die USA 20 Prozent, das heißt: Wenn unsere Industrie einigermaßen gut jetzt durch das letzte Jahr gekommen ist, dann haben wir das den USA zu verdanken, die eben nicht versucht haben, krampfhaft Defizitreduktion zu machen, sondern die versucht haben, ihre Wirtschaft am Laufen zu halten. Und ich glaube, wir sollten sehr, sehr vorsichtig sein, wenn wir die USA wegen ihrer Fiskalpolitik kritisieren, denn eine zu starke Bremsung in den USA könnte ganz massiv nachteilig sich auf die deutsche Wirtschaft auswirken.

Ricke: In der europäischen Krise stehen die Deutschen relativ gut da, weil die Gewerkschaften in den letzten Jahren Lohnzurückhaltung geübt haben und damit die deutsche Wirtschaft, die deutsche Industrie, den deutschen Export überaus wettbewerbsfähig gehalten haben. Jetzt gibt es aber einen neuen Tarifkonflikt: Im öffentlichen Dienst der Länder wird ab Montag gestreikt, es gibt die Forderung 6,5 Prozent mehr Geld. Sind wir gerade dabei, den Ast, auf dem wir sitzen, selbst abzusägen?

Bofinger: Ja, man muss ja sehen, dass natürlich die Politik, die wir betrieben haben, eine Politik einer sehr ausgeprägten Lohnzurückhaltung, dass die nur deshalb funktioniert hat, weil die anderen Länder das nicht gemacht haben. Wenn sich alle Länder im Euroraum in den letzten zwölf Jahren so verhalten hätten wie wir, eben versucht hätten, mit einer starken Lohnzurückhaltung wettbewerbsfähig zu werden, dann wäre im Euroraum insgesamt die Entwicklung sehr, sehr undynamisch verlaufen, und unser Modell einer exportorientierten Wirtschaft hätte bei Weitem nicht so funktioniert, wie es tatsächlich funktioniert hat.

Ricke: Ist es also klug, so weiterzumachen und weiter Zurückhaltung zu üben?

Bofinger: Ich glaube, es ist wichtig, dass wir jetzt in Anbetracht der Ungleichgewichte im Euroraum die Anpassung nicht nur bei den Problemländern suchen, also die Anpassung nicht nur durch Lohnsenkung in Italien, in Spanien und Frankreich suchen, sondern dass wir uns in Deutschland fragen: Wie können wir die Anpassung erleichtern, indem wir temporär etwas höhere Löhne vereinbaren, um auf diese Art und Weise auch dem Euroraum mehr Dynamik zu verleihen?

Es ist ja so, dass Deutschland ja nicht die Konjunkturlokomotive des Euroraums ist, wie das viele denken, sondern dass unser ganzes Wachstum in den letzten anderthalb Jahren eben nicht aus der Binnenwirtschaft gekommen ist, sondern vom Export – also anstatt Dynamik zu exportieren, importieren wir Dynamik. Und als stärkstes Land des Euroraums sollten wir eher versuchen, auch diesen schwachen Ländern auch Wachstumsimpulse zu geben.

Ricke: Mehr Geld bei deutschen Verbrauchern könnte zu höheren Preisen führen, das zur Inflation, und eine Inflation könnte vielleicht ein bisschen dabei helfen, in dieser ganzen aufgeblähten Schuldenkrise etwas Luft aus dem Ballon zu lassen. Sollten wir uns allmählich den Einstieg in die Inflation überlegen?

Bofinger: Ich glaube nicht, dass wir inflationäre Entwicklungen bekommen werden, ich glaube auch nicht, dass wir inflationäre Entwicklungen benötigen, um die Verschuldung in den Griff zu bekommen. Wir haben ja weltweit eine Politik der Notenbanken, die die Zinsen sehr, sehr niedrig halten, insbesondere auch die langfristigen Zinsen, und mit diesen niedrigen langfristigen Zinsen lässt sich auch die Verschuldung bewältigen, die wir im Augenblick haben, ohne dass wir deshalb Inflation benötigen.

Ricke: Peter Bofinger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Würzburg und einer der Wirtschaftsweisen. Vielen Dank, Herr Bofinger, und einen guten Tag!

Bofinger: Ja, gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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