"Wir müssen diesen Unglückspropheten widersprechen"

Von Peter Hertel · 11.10.2012
Kaum im Amt, fasste Papst Johannes XXIII. im Alleingang den verwegenen Plan, die Erstarrung katholischen Denkens aufzubrechen. Zum Entsetzen vieler Monsignori im Vatikan rief er ein Konzil aus, das den Wandel der katholischen Kirche einleitete.
"Jetzt in diesem Augenblick, meine Damen und Herren, sehe ich in der Mitte der Basilika die Gruppe der Kardinäle."

Eine riesige Prozession mit fast 2500 Kardinälen, Bischöfen und Äbten aus 133 Ländern zieht in den römischen Petersdom ein, wo Papst Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil eröffnet. In fast allen Ländern wird die Eröffnungszeremonie live übertragen, so auch vom Deutschlandfunk:

"Jetzt sehe ich bereits den Baldachin und darunter die Sedia cestatoria mit Papst Johannes."

Es ist das Konzil, die Kirchenversammlung, des Angelo Roncalli, der 1958 zum Papst gewählt wurde und den Namen Johannes XXIII. annahm. Kaum im Amt, fasste er im Alleingang den verwegenen Plan, die Engherzigkeit seiner vatikanischen Verwaltung, der Kurie, vor allem aber die offizielle Erstarrung katholischen Denkens aufzubrechen: Er rief ein Konzil aus – zum Entsetzen vieler Monsignori im Vatikan. Es sei doch alles in bester Ordnung, meinten sie.

Nachdem Papst Johannes XXIII. an diesem 11. Oktober 1962 gut zehn Minuten gesprochen hat, wird es mucksmäuschenstill im Petersdom. Wohl jeder der Konzilsväter merkt, dass er die Bremser in der katholischen Kirche meint:

"Oft verletzt es uns, wenn wir uns bei der Ausübung unseres päpstlichen Amtes Vorhaltungen anhören müssen von eifernden, nicht gerade differenziert denkenden, nicht gerade taktvollen Leuten. Wir müssen diesen Unglückspropheten widersprechen, die immer nur Unheil voraussagen, als ob der Untergang der Welt unmittelbar bevorstehe."

Die Botschaft dieses Konzils wird in zahlreichen Dokumenten und Beschlüssen erarbeitet: Die katholische Kirche versteht sich danach nicht länger als autoritärer, starrer Herrschaftsverband, der von oben nach unten reglementiert wird, sondern als "Volk Gottes", in dem auch die Basis eine schöpferische Aufgabe hat. Das Konzil hebt hervor, dass die katholische Kirche ständig zur Reform bereit ist, ihre Mitglieder pflegen das Gespräch untereinander und mit "allen Menschen guten Willens", wie es Papst Johannes XXIII. formulierte.

Er selber ist bereits 1963 überraschend gestorben, neun Monate nach der Konzilseröffnung. Den Tod schon vor Augen trug er den Umstehenden sein Vermächtnis vor, das ihn bei der Konzilseröffnung geleitet habe:

"Der Augenblick ist gekommen, die Zeichen der Zeit zu erkennen, die Möglichkeiten zu ergreifen, die unsere Zeit uns bietet und in die Zukunft zu blicken. Mehr denn je sind wir heute darauf ausgerichtet, überall die Rechte der Menschen zu verteidigen - nicht nur diejenigen der Katholiken und der katholischen Kirche."

Sein Nachfolger, Papst Paul VI., hat das Konzil 1965 zu Ende geführt. Unter seinem Pontifikat gewannen die genannten Unglückspropheten wieder die Oberhand. So wurden weitere innerkirchliche Reformen blockiert, das Verhältnis zu den Protestanten verhärtete sich, die neu gewonnene Offenheit zu den Juden wurde eingeschränkt, die moderne Gesellschaft wird negativ gesehen.

Aber umgekehrt formierte sich im Konzilsgeist an der Basis Widerstand gegen die römische Restauration. Beispielsweise entstanden in Nordamerika die Bewegung progressiver Ordensfrauen, in Spanien die Gemeinschaft "Johannes XXIII.", die von Theologen und Gemeinden getragen wird und in Österreich das Kirchenvolksbegehren, das auf viele Länder übergriff. In Deutschland findet Mitte Oktober in der Frankfurter Paulskirche eine breit angelegte "Konziliare Versammlung" statt. Einer der Initiatoren ist der Priester Norbert Arntz:

"Wir wollen das Konzil weder nostalgisch feiern noch am Wortlaut seiner Dokumente kleben. Wir werden das damalige Weltereignis vielmehr schöpferisch aufgreifen, angesichts der Zeichen unserer Zeit uns von ihm zu Hoffnung und Widerstand anleiten lassen."
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