"Wir müssen die Kosten-Nutzen-Bewertung vorantreiben"

Elke Ferner im Gespräch mit Christopher Ricke · 10.03.2010
Ob die Pläne von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler zur Reduzierung der Arzneimittelkosten wirklich greifen, bezweifelt die SPD-Gesundheitspolitikerin Elke Ferner. Bisher habe die Pharmaindustrie immer Wege gefunden, die Preise zu erhöhen. Sie fordert ein Gesamtpaket zur Kostensenkung, damit im kommenden Jahr nicht noch mehr Zusatzbeiträge fällig werden.
Christopher Ricke: Gesundheit soll bezahlbar bleiben, darum will der Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler von der FDP jetzt mit Macht für eine Ausgabensenkung bei Arzneimitteln sorgen. Die Pharmaunternehmen sollen bei der Preisgestaltung nicht mehr so frei sein wie bisher, da soll es Einschränkungen geben. Die Stichworte: Zwangsrabatte, Preismoratorium. Ich spreche jetzt mit Elke Ferner von der SPD, die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion ist eine ausgewiesene Gesundheitspolitikerin. Guten Morgen, Frau Ferner!

Elke Ferner: Guten Morgen, Herr Ricke!

Ricke: Zwei Milliarden Euro sparen wir in Zukunft ein, heißt es aus dem Gesundheitsministerium. Teilen Sie den Optimismus?

Ferner: Es ist schwer einzuschätzen, ob das wirklich zwei Milliarden bringt, das ist aber auch nur ein Bruchteil des Problems, das dann gelöst ist, denn im nächsten Jahr werden den Kassen voraussichtlich elf Milliarden Euro fehlen, um ihre Ausgaben zu decken.

Ricke: Es klingt doch ganz vernünftig, was wir da gerade hören aus der Regierung: Hersteller und Krankenkassen sollen künftig die Preise für neue Arzneimittel direkt aushandeln, und weil die Hersteller neue Medikamente auf den Markt bringen wollen und die Kassen sparen müssen, wird es in der Summe günstiger als bisher.

Ferner: Es ist ja bisher nicht verboten, dass über Preise verhandelt wird. Die Tatsache ist aber, dass die Pharmaindustrie die Preise selbst in eigener Regie ohne Rücksicht auf die Belange der Kassen und ihrer Versicherten festsetzt und dass auch bei neuen Arzneimitteln deren Nutzen nicht unbedingt nachgewiesen ist. Insofern kann man davon ausgehen – das würden Sie und ich, wenn wir miteinander verhandeln würden, beispielsweise beim Autokauf, auch so machen –, dass derjenige, der verkaufen will, den Rabatt, den er nachher einräumen will, gleich schon mal ins erste Angebot aufschlägt, um dann am Schluss der Verhandlungen da zu landen, wo er eigentlich hin will. Und im Übrigen soll ja ein Jahr Zeit sein für Verhandlungen, das heißt, während dieses Jahres müssen die Kassen in jedem Fall die völlig überhöhten Preise zahlen.

Ricke: Sie trauen also der Pharmaindustrie nicht zu, dass die fair an einer gesunden Entwicklung des Markts interessiert ist?

Ferner: Wir haben ja das immer wieder gesehen, es gab alle drei, vier Jahre ein Arzneimittelpaket, um die Kosten zu dämpfen, und es sind immer wieder Auswege gefunden worden, um die Kosten in die Höhe zu treiben. Natürlich gibt es auch neue, sehr innovative Arzneimittel, die auch ihren Preis haben, es gibt aber auch sehr viele neue Arzneimittel, die überhaupt keinen zusätzlichen oder nur einen marginalen zusätzlichen Nutzen haben, die aber zu völlig überhöhten Preisen abgegeben werden und zulasten der Kasse dann verschrieben werden.

Das Problem bei uns ist, dass wenn die normalen klinischen Studien durchlaufen sind, das Arzneimittel eine Zulassung bekommt und dann die Pharmaindustrie ihren Preis festsetzen kann. Eine Kosten-Nutzen-Bewertung, wie wir sie wollten, hat die Union in der letzten Wahlperiode verhindert, da muss mehr getan werden. Und am besten wäre es eigentlich, bevor ein Arzneimittel zulasten der Kasse verordnet wird, dass der Nutzen dann auch schon dargelegt ist.

Beispielsweise auch dadurch, dass die Pharmaindustrie alle Studien, die zu dem entsprechenden Arzneimittel gemacht worden sind, auch offenlegt. Heute ist das häufig so, dass nur die Studien, die ins Bild passen, das heißt also die positiven Studien veröffentlicht werden, während die Studien, deren Ergebnis nicht so gut war, unter Verschluss gehalten werden.

Ricke: Jetzt werden ja Arzneimittel nicht nur zulasten der Kassen verordnet, sondern hoffentlich vor allen Dingen zugunsten der Patienten, und man ist in Deutschland schon auf einem hohen Niveau, auch bei der Medikamentenversorgung. Ich persönlich kenne einen Fall, einen Patienten, der würde schon längst im Rollstuhl sitzen, wenn er das teure Medikament gegen Multiple Sklerose nicht bekäme, das etwa zweieinhalbtausend Euro im Monat kostet. Und der sagt mir auch, in Großbritannien wäre ich nicht mehr auf meinen eigenen Beinen unterwegs.

Ferner: Das ist richtig, und das wollen wir auch sicherstellen, dass das in Zukunft auch möglich ist. Aber dafür muss natürlich der Nutzen auch nachgewiesen werden. Und wenn Sie sich Arzneimittelreporte und die Fachpresse anschauen, ist es leider so, dass die wenigsten neuen Arzneimittel wirklich auch einen neuen zusätzlichen Nutzen haben, sondern sie einfach nur teuer sind.

Ricke: Wie kriegen wir es also in den Griff?

Ferner: Ja, wir müssen die Kosten-Nutzen-Bewertung vorantreiben, und es müssen natürlich angesichts eines Problems von elf Milliarden, was die Kassen im nächsten Jahr haben werden, auch kurzfristige Maßnahmen greifen. Und wenn man den Presseberichterstattungen Glauben schenken darf, ist es ja auch so, dass andere Preissteuerungsinstrumente abgeschafft werden sollen. Das bedeutet dann, dass an anderer Stelle der Deckel wieder aufgehoben wird und die Kosten dort wieder explodieren werden. Also man darf da nicht halbherzig springen, sondern muss da wirklich einen runden Vorschlag machen, der alle Möglichkeiten ausschöpft, und sich jetzt nicht nur auf ein Arzneimittelsegment konzentrieren.

Ricke: Das hieße aber, den Bundesgesundheitsminister aufzurufen, sich jetzt eben nicht um Zwangsrabatte und Preismoratorien zu kümmern, nicht kurzfristig zu agieren, sondern wirklich erst ein Gesamtpaket zu schnüren.

Ferner: Nein, das auch, er muss beides machen. Die Preismoratorien und die Rabatte sind ja sozusagen noch als letztes Drohpotenzial da. Wenn das andere nicht funktioniert oder nicht in dem Umfang funktioniert – wir wissen von allen Arzneimittelpaketen, dass gerade diejenigen, wo Strukturen verändert werden in der Preisbildung, dass da immer ein sehr langer Vorlauf notwendig ist, bis das wirklich greift, und wir brauchen zusätzlich auch noch kurzfristige Maßnahmen, die Herr Rösler, zumindest wie das bisher aussieht, noch nicht auf den Tisch legt. Also das heißt, wir wollen, dass alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, damit eben im kommenden Jahr nicht noch mehr Versicherte Zusatzbeiträge bezahlen müssen.

Ricke: Elke Ferner von der SPD, die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion ist Gesundheitspolitikerin. Vielen Dank, Frau Ferner!

Ferner: Gerne!