"Wir können uns bestimmte nationale Alleingänge nicht mehr leisten"

Karl-Heinz Kamp im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 22.05.2012
Um Geld zu sparen, arbeitet die NATO verstärkt auch militärisch zusammen. Mit "Smart Defense" ist das überschrieben - und nicht neu, sagt Karl-Heinz Kamp, Direktor der Forschungsabteilung am NATO Defense College in Rom. Aber notweniger als früher.
Jan-Christoph Kitzler: Klare Sache, da geht es um die Verwaltung des Mangels. Das war Dustin Dehe, der deutsche Delegierte beim NATO-Jugendgipfel in der vergangenen Woche. Gestern ist der große Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Chicago zu Ende gegangen, und da hörte sich das alles ganz anders an. Klar, das Geld in der NATO wird knapper, aber die neue Strategie, die jetzt geplant ist, klingt irgendwie bestechend: Man muss die Kräfte bündeln, teure Anschaffungen gemeinsam tätigen, schlagkräftiger werden. Und dazu kommt dann auch noch ein schicker Titel für das ganze, den sich NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen ausgedacht hat: Smart Defense. Ist das ein gutes Konzept? Ist das überhaupt ein Konzept? Das bespreche ich jetzt mit Karl-Heinz Kamp. Er ist Direktor der Forschungsabteilung am NATO Defense College in Rom. Schönen guten Morgen, Herr Kamp!

Karl-Heinz Kamp: Schönen guten Morgen aus Rom!

Kitzler: Wie smart ist denn die Smart Defense in Ihren Augen?

Kamp: Na ja, also politische Initiativen werden ja immer ein bisschen aufgeblasen, das kennt man, aber das macht die Idee ja nicht unbedingt schlechter. Wenn man weniger Geld hat, dann muss man es smarter ausgeben, sprich mit weniger Doppelungen, mit weniger sozusagen Doppelarbeit. Das ist ja von dem Grundsatz her nicht schlecht. Das muss man übrigens machen, ob man eine Finanzkrise hat oder nicht, weil einfach das Gegenteil, nämlich Dumb Defense, keinen Sinn macht. Der Punkt ist nur, so furchtbar neu ist das nicht, die NATO macht das schon eine ganze Weile, indem bestimmte NATO-Mitglieder versuchen, Dinge zusammen zu machen, weil sie dadurch Geld sparen.

Kitzler: Das heißt, es geht wirklich im Endeffekt nur um Mängelverwaltung - vor allem, und das Ganze, Smart Defense, ist zurzeit noch mehr ein Slogan als ein Programm.

Kamp: Ja, also Mängelverwaltung haben wir ja sowieso. Es wird einfach nicht mehr Geld im Verteidigungsbereich geben. Wenn man dann aber gewisse Ambitionen hat, dann muss man irgendwie gucken, wie man mit den Mitteln hinkommt. Und dann macht es einfach Sinn zu kooperieren. Was die NATO jetzt überlegt, ist, ob man, und eben in welchem Maße man zu dem, was man jetzt ohnehin bereits zusammen macht - gemeinsame Luftaufklärung zum Beispiel -, ob es noch andere Bereich gibt, wo wir sagen, die haben wir in der Vergangenheit nicht so gesehen, das heißt, der Druck, noch mehr zusammen zu machen, wird jetzt größer. Insofern ist die Idee nicht neu, aber falsch ist sie deshalb nicht.

Kitzler: Und sehen Sie da Potential, dass es dann auch weitere Punkte gibt, in denen man das erreichen könnte? Es war ja die Rede von einer Liste so von 20 bis 30 Projekten, wo man das vorantreiben könnte.

Kamp: Ja, das große Problem ist natürlich, dass bei all diesen Möglichkeiten ist immer ein politisches Problem. Wenn zwei oder mehrere Partner etwas zusammen machen, dann muss man sich ja unbedingt auf die anderen Partner verlassen können. Das heißt, wenn ich sozusagen nur noch 50 Prozent mache, und die anderen 50 Prozent kommen von der anderen Seite, wenn man denn eine gemeinsame - nehmen wir eine Militäraktion, nehmen wir eine Intervention -, machen will, dann muss ich unbedingt sicher sein, dass die andere Seite auch ihren Teil liefert. Und da gibt es natürlich bei manchen Verbündeten Zweifel, ob ihre parlamentarischen Strukturen, ob ihre Parlamente das immer so zusagen, dass heißt, das politische Problem, was wir in der NATO haben - und das gab es ja ganz konkret in der Libyenkrise - ist größer als das rein sachliche.

Kitzler: Also Deutschland ist da zum Beispiel auch ein Wackelkandidat, weil da alle Entscheidungen zum Beispiel über Auslandseinsätze übers Parlament laufen müssen und entsprechend langsam sein können.

Kamp: Deutschland ist da mit Sicherheit ein Wackelkandidat, aber nicht der Einzige, deswegen überlegt die NATO jetzt, wie sie in bestimmten Bedingungen Nationen dazu bringen kann, dass sie sozusagen Vorabgarantien geben. Das heißt nicht, dass man die Parlamente sozusagen aushebelt, aber das heißt schon, dass man irgendwelche Strukturen schafft, damit in dem Notfall die Feuerwehr auch wirklich kommen kann und nicht erst mal 15 Leute fragen muss, ob sie ausrücken darf.

Kitzler: Sie haben das Beispiel der gemeinsamen Luftaufklärung im Baltikum angesprochen. Was für konkrete Projekte gibt es denn, wo das überhaupt funktionieren könnte?

Kamp: Es gibt ja drei große Projekte, die man ohnehin schon macht, das ist eben die gemeinsame Luftaufklärung im Baltikum, es ist das, was es seit vielen Jahren gibt, eben das AWACS-System, es ist auch der Bereich in Raketenabwehr, der jetzt neu beschlossen wurde - also es gibt schon einige große Dinge, die man seit einiger Zeit macht. Man hat jetzt beschlossen, eine Bodenaufklärung mit eben Drohnen zu kaufen, AGS heißt das im Fachbereich. Es gibt also einige dieser großen Sachen und noch eine ganze Menge kleine Dinge. Der Punkt jetzt, den man im Hinterkopf haben muss, ist aber - und da hat der Delegierte ja schon recht -, mehr mit weniger gibt es nicht. Das gibt es bei uns im Portmonee ja auch nicht, sondern wir werden weniger mit weniger machen, nur wenn wir das geschickt anstellen, machen wir möglichst wenig weniger mit weniger.

Kitzler: Die USA sind sozusagen der Auslöser: Bisher zahlt die USA drei Viertel des NATO-Etats, und die wollen jetzt ihren Militäretat kräftig zusammenstreichen. Die NATO will bisher mindestens zwei größere und sechs kleinere Operationen weltweit bestreiten können. Gerät jetzt nicht die Schlagkraft der NATO in Gefahr? Muss man nicht Abstriche machen?

Kamp: Ja, also halt eben dieses Sechs-plus-Zwei, wie wir das nennen, ist natürlich eine Planungsgrundlage. Ob man das wirklich in der Realität dann letztendlich kann, das ist umstritten. Libyen hat aber zum Beispiel gezeigt, dass die NATO, wenn es wirklich drauf ankommt, militärisch agieren kann, und alle die, die gesagt haben, NATO ist das Akronym für No Action Talk Only, die waren einfach falsch. Wie gesagt, ob das nun mit diesen Planungen so übereinstimmt, das muss man sehen, aber letztendlich kann die NATO in gewissen Grenzen militärisch schlagkräftig agieren, und zwar mehr und besser als irgendeine andere Organisation auf der Welt.

Kitzler: Aber die Voraussetzung ist, dass andere Länder, andere Staaten der NATO in die Bresche springen und die Lücken auffüllen, die die USA mit weniger Ausgaben hinterlassen?

Kamp: Ja, aber das ist etwas - wenn Sie so wollen, wird die NATO in diesem Zusammenhang sogar noch wichtiger als in der Vergangenheit, nämlich sie wird das, was man - und der Begriff ist schwer zu übersetzen -, was man Enabler oder Facilitator nennt. Das heißt, auch große NATO-Staaten, die in der Vergangenheit alleine agieren konnten, können in Zukunft - weil wir alle kürzen müssen -, auch bei denen stellt sich die Alternative, wenn man wirklich militärisch handeln will, dann heißt das, entweder im Rahmen der NATO oder gar nicht. Das heißt, die NATO wird, natürlich auch mit den Fähigkeiten der USA zusammengenommen, die Institution, die halt Einsätze erst möglich macht. Und insofern wird die Rolle als Institution sicherlich wichtiger.

Kitzler: Gemeinsame Anschaffungen sind auch ein Projekt der Smart Defense. Ist das denn überhaupt realistisch, wenn doch viele Staaten ihre eigene Rüstungsindustrie mit solchen Anschaffungen fördern will?

Kamp: Ja, der Punkt ist einfach, dass wir eine Veränderung in der Qualität des finanziellen Drucks haben. Es ist ja nicht neu, dass die Verteidigungshaushalte zu klein sind. Ich habe noch nie einen General gehört, der gesagt hat, er hat eben zu viel Geld. Aber wenn der Druck so groß ist, dass auch die Großen in der NATO, die sogenannten Big Spenders, kräftig kürzen müssen, dann gibt es immer weniger Alternativen dazu, Dinge zusammen zu machen. Wir können uns bestimmte nationale Alleingänge nicht mehr leisten. Das versucht man immer noch, weil es natürlich an der Wahlurne sich besser auszahlt, aber der Druck wird einfach größer, und insofern ist Smart Defense nicht neu, aber jetzt wahrscheinlich noch notwendiger, als es in der Vergangenheit schon war.

Kitzler: Sind Sie optimistisch, dass das jetzt zu einem nötigen Strukturwandel in der NATO führt, und auch bald, oder bleibt das eine Worthülse?

Kamp: Na, es ist immer eine Frage der Zeit - ich meine, was ist bald? Die NATO ist eine Allianz von 28 Staaten, da geht es halt nie so furchtbar schnell. Aber wenn Sie sich überlegen, wo die NATO vor 10, 15 Jahren war und wo sie heute ist, dann hat es jetzt eine ganze Menge von Strukturwandeln gegeben. Das ist nicht immer revolutionär, aber die Evolution, die sieht man ja schon. Und wie gesagt, wenn es letztlich aufs Handeln ankommt - siehe Libyen -, dann kann man das tun.

Kitzler: Karl-Heinz Kamp, der Direktor der Forschungsabteilung am NATO Defense College in Rom. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch und einen schönen Tag!

Kamp: Sehr gerne, Gruß aus Rom!

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