"Wir halten das für eine Provokation"

Von Margarete Limberg · 11.07.2006
Seit zwei Jahren kämpfen die deutsch-französische Publizistin Beate Klarsfeld und die deutsche Initiative "11 000 Kinder" darum, dass 170 Fotos von jüdischen Kindern, die mit der Reichsbahn in die Vernichtungslager fuhren, auch auf deutschen Bahnhöfen gezeigt werden können.
Die Hoffnung, in dieser Woche endlich die Zusage der Deutschen Bahn zu erreichen, hat sich indessen zerschlagen. Ein Treffen, zu dem das Verkehrsministerium eingeladen hatte, kam, wie es heißt, wegen der Terminschwierigkeiten des Vertreters des Zentralrats der Juden nicht zustande. Beate Klarsfeld und Vertreter ihrer deutschen Unterstützer erfuhren davon allerdings erst, als sie sich schon auf den Weg nach Berlin gemacht hatten.

Ein Affront, der bei ihnen den Verdacht weckte, das ganze Projekt, gegen das sich Bahnchef Hartmut Mehdorn energisch zur Wehr setzt, solle auf die lange Bank geschoben werden. Entsprechend wütend die Reaktion der Betroffenen. Der Sprecher der deutschen Initiative Hans Rüdiger Minow:

"Wir halten das für eine Provokation, die wir nicht hinnehmen, im Sinne der Sache nicht hinnehmen können. Weil, das kann nicht sein, dass zwei Jahre Leute aus dem Ausland und aus dem Inland für so was Selbstverständliches eintreten und kämpfen, um die Verhandlungen abgesetzt zu bekommen und die ganze Sache ins Loch der Sommerpause fallen zu lassen."

Inzwischen visiert das Verkehrsministerium einen neuen Termin im September an. Es war Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee, der vor einigen Monaten einen Ausweg aus der festgefahrenen Situation angeboten hatte: Die Ausstellung sollte zunächst in seinem Ministerium gezeigt werden, gleichzeitig wollte er Bahnchef Mehdorn überreden, die Bahnhöfe für diese Ausstellung zu öffnen.

Die Bahn hatte allerlei Einwände geltend gemacht: finanzielle Gründe ebenso wie die Sorge um die Sicherheit und mögliche rechtsextreme Anschläge. Vielleicht steht dahinter auch die Befürchtung, möglichen Rechtsansprüchen der Opfer Vorschub zu leisten. Keines der Argumente kann überzeugen. Es gehe, so sagt Beate Klarsfeld, nicht um Wiedergutmachung, sondern darum, das Schicksal dieser Kinder lebendig zu halten:

Klarsfeld nicht Feindin

"Ich bin keine Feindin. Ich spreche im Namen der jüdischen Kinder, die von Deutschen deportiert worden sind. Mein Gott, was soll es anderes sein. Die Eltern haben in Deutschland, in Österreich gelebt, die sind geflüchtet vor den Nazis, nach Frankreich gekommen, von da deportiert worden. Da haben die Deutschen eine gewisse Rolle da."

Die französischen Staatsbahnen SNCF, die auf Befehl der Nazis an der Deportation jüdischer Kinder beteiligt waren, hatten keine Schwierigkeiten, das Projekt zu unterstützen. Auf 18 Bahnhöfen wurde die Ausstellung in Frankreich gezeigt, mit sehr aktiver logistischer Unterstützung der Bahn. Deren Ansehen hat dies übrigens keineswegs geschadet, das Gegenteil war der Fall.

Klarsfeld: "Mehdorn weiß, dass der Vorsitzende der französischen Eisenbahnen mehrere Ausstellungen eröffnet hat mit Einführungsreden, in denen er jedes Mal die Rolle der französischen Eisenbahnen erklärte, und wir haben gefragt: Warum können das die französischen Eisenbahnen und nicht die Deutsche Bahn, die Nachfolgerin der Reichsbahn ist?"

Das Angebot der Deutschen Bahn, die Ausstellung im Nürnberger Bahnmuseum zu präsentieren, ist für die Initiatoren nicht akzeptabel.
Es geht ihnen eben nicht um ein Museumspublikum:

Klarsfeld: "Wir haben es in Frankreich gesehen, besonders in den großen Bahnhöfen, so es viel Durchgangsverkehr ist, die Leute gehen da rein und sehen sich das an. Wir zwingen sie nicht. Wir haben sie gewissermaßen 'gezwungen', weil sie etwas Zeit hatten, weil sie einen Zug versäumt hatten, einen anderen Zug nehmen wollten. Die kamen ganz automatisch dazu, dann hatten sie auf einmal das Gucken auf die Kinderbilder, und dann sahen sie`s, als sie den nächsten Zug nahmen und wenn`s gerade ein Bahnhof war, durch den die Deportationszüge gingen, und sagten, hier, vor 60 Jahren fuhren die Züge mit den Kindern durch."

Ein Sprecher der Bahn betonte nun, die Bahn sei nicht grundsätzlich gegen eine Ausstellung. Es seien beispielsweise auch Standorte in unmittelbarer Nähe von Bahnhöfen denkbar. Die Deutsche Bahn AG, so wird versichert, stelle sich den dunklen Kapiteln der Reichsbahn- Geschichte. Umso weniger verständlich ist die Aversion gegen die Kinderausstellung.

Inzwischen wird man auch in den Reihen des Bundestages auf das peinliche Hinauszögern der Entscheidung aufmerksam. Die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD- Fraktion, Iris Gleicke
appellierte an den Bahnchef, die Ausstellung auch auf Bahnhöfen zu zeigen. Sie gehöre nicht ins Museum, sondern an die damaligen Tatorte.