"Wir haben eine Stromlücke vor uns"

Moderation: Birgit Kolkmann · 01.07.2008
Fritz Vahrenholt hat den Vorschlag von Umweltminister Sigmar Gabriel, eine Steuer auf Atomstrom zu erheben, als indiskutabel bezeichnet. "Wir befinden uns bald in einer Sackgasse. Und da darf man nicht noch Gas geben, wenn man die Wand vor sich sieht", sagte der Vorsitzende der Geschäftsführung von RWE Innogy.
Birgit Kolkmann: Überall auf der Welt werden neue Atomkraftwerke gebaut - ein Riesen-Geschäft für die Großen im Kraftwerksbau. Frankreich baut, Großbritannien, die USA und Südafrika, Osteuropa nicht zu vergessen. Tausend Anlagen könnten es weltweit sein bis zum Jahr 2050. Deutsche Konzerne sind mit dabei. Sie bauen im Ausland, investieren, während in Deutschland der Atomausstieg 2022 besiegelt ist. Angesichts explodierender Energiepreise fordern jetzt nicht nur Vertreter der Atomlobby eine Verlängerung der Laufzeiten und eine Rückbesinnung auf die Kernenergie. Doch Bundesumweltminister Gabriel will stattdessen eine Steuer auf Atomstrom erheben. – Fritz Vahrenholt ist in der Energiewelt viel herum gekommen, war Umweltsenator in Hamburg, hat bei der Shell den Bereich erneuerbare Energien gegründet, brachte vor sechs Jahren den Windkraftspezialisten Repower an die Börse und nachdem dieser im letzten Jahr von einem indischen Konzern geschluckt wurde, ist er nun bei RWE Leiter der Ökostromsparte Innogy. Schönen guten Morgen in der "Ortszeit", Herr Vahrenholt!

Fritz Vahrenholt: Guten Morgen Frau Kolkmann.

Kolkmann: Wie finden Sie denn die Idee von Sigmar Gabriel?

Vahrenholt: Das ist völlig indiskutabel, weil wir folgendes Problem haben: Wir haben vor uns eine Stromlücke, wenn die Pläne der Bundesregierung Realität werden, und jeder weiß was das bedeutet. Die Deutsche Energieagentur sagt, wenn das kommt, dann gibt es aufgrund der Verknappung des Stromangebots eine weitere Preissteigerung – insbesondere im Bereich, der sehr sensibel ist: der Industrie, des Industriestroms. Und wenn man dann noch sagt, jetzt legen wir noch eine Steuer oben drauf, dann hat man nicht verstanden, wo wir uns gerade befinden. Wir befinden uns auf einer Weggabelung. Die führt uns entweder in italienische Verhältnisse. Das heißt, wir importieren 30 Prozent des Stroms aus Frankreich, der Ukraine oder von sonst wo. Oder wir versuchen, uns Zeit zu kaufen, indem wir die Kernkraftwerke länger laufen lassen und dann die Zeit bekommen, um CO2-freie Kohlekraftwerke, Offshore-Windparks zu bauen und zu entwickeln. Das geht alles nicht innerhalb von ein, zwei Jahren.

Kolkmann: Sie plädieren ja schon länger dafür, seit einigen Jahren. Trotzdem: richtig Gehör haben Sie noch nicht gefunden. Bei der Regierung jedenfalls nicht. Sigmar Gabriel sagt ja nach wie vor, dass es überhaupt zum Atomausstieg gekommen sei, das habe eine große gesellschaftliche Streitsituation befriedet.

Vahrenholt: Das ist richtig. Ich glaube, der große Wert des Beschlusses der Regierung Schröder war, dass man seitdem das Thema erst mal an die Seite gelegt hat. Und es entsprang ja auch der Energiesituation des Jahres 2001. Es gab genug Strom. Die Energiepreise waren sehr unten. Nun hat sich aber die Welt gedreht. China ist auf dem Plan, wächst jedes Jahr um zehn Prozent. Man muss sich das vorstellen: alle acht Tage ein Kraftwerk, das dort gebaut wird. Das heißt, das führt zu einem riesigen Bedarf nach Öl, Gas, Kohle. Die Klimaveränderung kommt hinzu. Wenn man das zusammennimmt, dann muss man auch als Politik bereit sein, seine Beschlüsse in Frage zu stellen, denn es geht um eine ganze Menge. Es geht nicht nur um die Klimaziele, sondern es geht im Wesentlichen um ein paar Millionen Arbeitsplätze in der Metallindustrie. Es geht um Kupfer, es geht um Stahl, es geht um Aluminium, es geht um die Automobilindustrie, die sich mit Sicherheit ohne Kernenergie und Braunkohle in Deutschland verabschieden wird.

Kolkmann: Müssten wir denn nun auch darüber nachdenken, wie wir mit der Braunkohle anders umgehen, sie also nicht nur verbrennen, sondern möglicherweise auch Sprit aus ihr herstellen?

Vahrenholt: Zum Beispiel muss man diese Entwicklung sehen. Wir werden keine Abflachung der Ölpreise bekommen. Das wird vielleicht, wenn die nächste Konjunkturkrise kommt, sich wieder mal auf 100, 120 zurückentwickeln, aber ich kann mir auch durchaus vorstellen, wenn es wirklich knapp wird – und wir wissen ja, dass die Ölförderländer nicht nachlegen können -, dann sehen wir auch 200, 250. Dann wird der Benzinpreis astronomische Größen erreichen. Und dann muss man sich mit Stromautos beschäftigen und das aus heimischer Energie. Heimische Energie heißt Braunkohle, heißt Kernenergie, heißt erneuerbare Energien. Deswegen hat man zwei Möglichkeiten. Man kann aus Braunkohle natürlich Benzin machen. Man kann natürlich aber auch direkt Strom erzeugen und dann Elektromobile fahren lassen. Das erwarte ich von einer Bundesregierung. Das erwarte ich auch von einem Umweltminister und nicht sozusagen die allfälligen wohlfeilen Sprüche, die wir nun schon sieben, acht Jahre gehört haben. Es hat doch gar keinen Zweck, sich einzureden, es sollen doch bitte sieben Kernkraftwerke vom Netz genommen werden. Das hat er vorgeschlagen. Ja was passiert denn dann? – Dann fehlt Strom! – Wir sind schon sowieso an der Kannte. Das heißt, wir importieren Strom und der wird sehr, sehr teuer. Ich glaube, wir befinden uns jetzt bald in einer Sackgasse und da darf man nicht noch Gas geben, wenn man die Wand vor sich sieht.

Kolkmann: Stichwort Gas. Ist es auch falsch, in Zukunft auf russisches Gas statt auf saudisches Öl zu setzen?

Vahrenholt: Wir brauchen natürlich auch das Gas aus Russland, aber der Fehler, den man macht, ist, wenn man glaubt, Gas könnte man zur Stromerzeugung in der Grundlast verwenden. Das ist erstens viel zu teuer und zweitens wird der Gaspreis durch die Decke gehen. Sie müssen sich vorstellen: Um ein Kernkraftwerk zu ersetzen, dazu brauchen sie den gesamten Gasverbrauch von Hamburg. Das sind Signale, die wir an den Markt absetzen, die natürlich nur eine Richtung kennen: Preise nach oben. Die Russen exportieren Gas und bauen selber dann Kohlekraftwerke. Das ist doch keine Politik, sondern man muss Gas natürlich in der Spitzenlast zum Ausgleich verwenden. Wir brauchen es in der Wärme. Wir brauchen es möglicherweise sogar für Erdgasfahrzeuge. Dann kann man es nicht – dazu ist es viel zu kostbar – in der Grundlast verbrennen. Also es bleibt leider nichts übrig. Natürlich könnte ich mir gut vorstellen, wir bräuchten diese Debatte nicht und sagen, ach lasst doch mal die Kernkraftwerke, jedes Jahr eines vom Netz gehen. Aber jedes Jahr wird dadurch der Druck viel größer auf Importe und auf die Preise.

Kolkmann: Müssen wir uns von der ideologischen Diskussion der letzten Jahrzehnte mal verabschieden? Müssen wir auch darüber nachdenken, ob das Aus für die Steinkohle so ganz richtig war, oder ob man noch mal darüber nachdenken muss? Ist das etwas, was eigentlich auch ganz positiv ist an der Debatte, dass man nun endlich wirklich in dem Bereich der Innovation gehen muss?

Vahrenholt: Ja, natürlich! Hohe Preise gehen in die Innovation. Schauen Sie die RWE. Wir machen Meeresströmungskraftwerke. Wir machen neue Biomassekraftwerke, Biogas, alles Mögliche, denn das brauchen wir. Wir brauchen Zukunftsenergien, denn die Kernenergie ist nur eine Brücke. Die wird uns noch mal 10, 20, vielleicht 30 Jahre helfen. Wir brauchen Zukunftsenergien. Aber natürlich haben Sie völlig Recht. Wir brauchen auf der anderen Seite aber auch die Zeit, um diese Energien zu entwickeln. Die Debatte ist eigentlich vernünftig, dass sie jetzt geführt wird. Nur sie muss natürlich auch in Beschlüsse enden und da haben wir das Problem, dass wir bis 2009 wahrscheinlich keine Kurskorrektur hinbekommen.

Kolkmann: Vielen Dank! – Das war Fritz Vahrenholt, der Leiter der Ökostromsparte Innogy bei RWE. Vielen Dank für das Gespräch in der "Ortszeit".

Das gesamte Gespräch mit Fritz Vahrenholt können Sie bis zum 1. Dezember 2008 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio