"Wir haben ein integratives Menschenbild"

28.12.2011
Der Berliner Erzbischof Rainer Maria Woelki hat zum Auftakt des Taizé-Jugendtreffens in Berlin den integrativen Charakter der katholischen Kirche betont. Niemand solle ausgeschlossen werden, auch nicht die Gruppe der umstrittenen Pius-Bruderschaft.
Marietta Schwarz: 200.000 Besucher kommen jährlich nach Taizé, und wer einmal den ökumenischen Männerorden in Frankreich besucht hat, der kommt auch meist wieder. Taizé, ein Erfolgsrezept: Kaum eine andere Ordensgemeinschaft wirkt so integrierend und schafft es, ein Gemeinschaftsgefühl der vor allem jungen Christen aus aller Welt zu schaffen. Auch jenseits von Taizé gibt es solche Treffen, das diesjährige beginnt heute und findet in Berlin statt. Erwartet werden rund 30.000 Jugendliche, die sich zu Gebeten und den typischen Taizé-Gesängen an vier Orten versammeln und privat untergebracht sind. Der katholische Erzbischof Rainer Maria Woelki hieß alle bereits in einem Grußwort willkommen und ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Erzbischof!

Rainer Maria Woelki: Guten Morgen, Frau Schwarz!

Schwarz: Taizé löst ja bei vielen Christen ein Leuchten in den Augen aus. Bei Ihnen auch? Haben Sie sich jemals dort in Frankreich aufgehalten?

Woelki: Ja, ich bin zwei Mal dort gewesen, als Jugendlicher, als Student, und dann später auch mal am Rande einer Urlaubsfahrt. Es ist für mich immer ein beeindruckender Ort, ein gastfreundlicher Ort, der allen offensteht, ein schlichter Ort, der das Nötigste bietet und der einem hilft, gleich zum Eigentlichen zu kommen, nämlich zur Begegnung der Jugendlichen, der vielen, die dort vor Ort sind, zur Versöhnung miteinander, zum Austausch, und dann natürlich auch zur Begegnung mit Gott.

Schwarz: Taizé ist ja seit Jahrzehnten auch ein Symbol für die Ökumenebewegung, ein hierarchiefreier Ort, ein pluralistischer Ort, frei von konfessionellen Grenzen, womit sich ein Teil der katholischen Kirche ja bekanntlich auch schwertut, zum Beispiel der Papst. Woran liegt das denn?

Woelki: Ich glaube nicht, dass der Papst sich schwertut mit dem Ort von Taizé oder mit einem hierarchiefreien Ort. Natürlich ist die katholische Kirche hierarchisch geordnet, ähnlich wie die orthodoxen Kirchen, das liegt in der altkirchlichen Struktur, Kirchenstruktur natürlich begründet. Also ich glaube, dass man das nicht gegeneinander ausspielen kann und auch nicht gegeneinander ausspielen sollte. Es ist ein Ort, Taizé, wo wir auf das Evangelium hören, wo wir gemeinsam unterwegs sind, auf Jesus schauen und unserem Leben eine neue Orientierung zu geben versuchen, die aus dem Evangelium erwächst.

Schwarz: Was unterscheidet denn dieses Treffen junger Christen aus aller Welt etwa von einem Weltjugendtag?

Woelki: Ich glaube, dass das ganz ähnlich miteinander aufgebaut ist, die Struktur ist ähnlich, wir kommen zusammen, wir versuchen, uns auszutauschen, wir versuchen, uns gegenseitig im Glauben zu stärken. Im Weltjugendtag sind es dann vor allen Dingen die Katechesen, die im Vordergrund stehen, die dazu verhelfen sollen, den Glauben selber zu vertiefen, hier in Taizé sind es die gemeinsamen Gebetszeiten, die vor allen Dingen im Vordergrund stehen, aber auch der Austausch des Gespräches, des Glaubensgespräches in den Gemeinden und dann in den Messehallen. Also ich glaube, das ist eine ganz ähnliche Struktur mit einer vielleicht stärkeren Schwerpunktsetzung beim Weltjugendtag noch mal auf katholische Elemente der Anbetung, der Eucharistie und eben dieser doch sehr intensiven und langen Katechesen.

Schwarz: Sie, Herr Woelki, haben sich im Zusammenhang mit dem Treffen ja bereits sehr politisch geäußert: Es sei eine klare Absage an den Rechtsextremismus, über den wir ja in den vergangenen Wochen viel geredet haben. Inwiefern das?

Woelki: Also Taizé ist ein multikulturelles Ereignis, es kommen Jugendliche aus aller Herren Länder, aus fast allen Ländern Europas, und Jugendliche wollen einander in Frieden und in Freundschaft begegnen. Und sie kommen mit einem bestimmten Menschenbild, und dieses Menschenbild ist klar in der heiligen Schrift, ist klar im christlichen Glauben verankert. Ich glaube, dass dieses Menschenbild, dieses christliche Menschenbild nicht ausschließt, nicht ausgrenzt, wie ich das bei der eben von Ihnen benannten Partei feststelle.

Wir haben ein integratives Menschenbild, in dem jeder Platz hat, ob schwarz, ob weiß, ob arm, ob reich, und wir wollen hier gerade das, was wir auch an Weihnachten gefeiert haben, mit unserem Menschenbild zum Ausdruck bringen, dass Gott sich mit uns Menschen identifiziert, dass er einer von uns geworden ist, dass er selber Geschöpf geworden ist. Und das schließt jedwede Diskriminierung und Ausgrenzung anderer aus.

Schwarz: Aber an wen richtet sich diese Absage denn – vielleicht auch an einen Papst, der nach wie vor Versöhnungsgespräche mit der ultraorthodoxen Piusbruderschaft führt, der ja bekanntlich auch ein Holocaust-Leugner angehört?

Woelki: Also ich glaube, dass der Papst einen sehr wichtigen Dienst zu tun hat. Seine Aufgabe besteht eben darin, zu versöhnen und Einheit zu stiften, und im Grunde genommen steht er damit gerade von seinem Amt her genau in dem und in der Tradition, für die auch Taizé steht. Also es ist nicht damit getan, jetzt einfach eine Gruppe auszuschließen, sondern wir betonen auch gerade im politischen Bereich, wie wichtig der Dialog ist, das Kennenlernen, und nur da, wo man miteinander spricht, kann man integrieren und kann man auch versöhnen. Und ich denke, dass das eine wichtige Aufgabe gerade des Papstamtes ist, der für die Einheit der Kirche zu stehen hat und diese Einheit der Kirche auch zu suchen hat.

Schwarz: Aber ist es nicht schwierig zu kommunizieren, ausgerechnet diese Gruppe zu integrieren?

Woelki: Ich glaube nicht. Also ich denke, man kann ja jetzt nichts an dieser Gruppe … Es ist sicherlich eine schwierige Gruppe, es ist nicht meine Gruppe und man muss sicherlich auch sehr vorsichtig sein, um zu behaupten, dass jetzt alle, die dieser Gruppe angehören, irgendwie Holocaust-Leugner seien oder jetzt eben rechtsradikalem Gedankengut angehören. Das ist in der Tat dieser eine, völlig unvernünftige und irrsinnige Mann gewesen, der das getan hat, und soweit ich weiß, haben sich da auch die anderen sogenannten Bischöfe, die ja von uns nicht anerkannt sind, von der katholischen Kirche, ja dann auch distanziert von diesem Mann.

Nein, also es ist eine Gruppe, die sich eben in einer besonderen Weise schwertut, bestimmte Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils anzunehmen. Und ich denke, dass der Dialog bisher gezeigt hat, dass der Papst ganz klar auf dem Boden des Zweiten Vatikanischen Konzils steht und dass er jetzt auch die Männer, die er damit beauftragt hat, dieses Gespräch zu führen, deutlich gemacht hat, dass die Piusbrüder Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils annehmen müssen und sonst keine Einheit und keine Gemeinschaft mit der katholischen Kirche möglich ist.

Schwarz: Herr Erzbischof, nun ist bei dem Treffen der Taizé-Gemeinde in Berlin relativ erwartbar, dass sich unter den jungen Christen, die sich hier zum Beten treffen, keine Rechtsextremen befinden. Was kann denn die Institution Kirche tun, damit sich diese Strömungen nicht verbreiten, ganz konkret in der Praxis?

Woelki: Also wir haben sehr viele Bündnisse gegen Rechts hier in unseren Gemeinden, wir haben natürlich unsere Jugendarbeit. Wir versuchen, in unserer Jugendarbeit, in der Ministrantenarbeit, in der Jugendchorarbeit, bei den Pfadfindern sehr deutlich demokratische Rechte zu installieren. Erst gestern hatte ich hier in Berlin die Aussendungsfeier der Sternsinger, die, in diesem Jahr durch den BDKJ vorbereitet, ganz klar unter dem Thema Menschenrechte steht, also Versuche, mit unseren Jugendlichen in der Weise zu arbeiten, dass Toleranz, dass Offenheit, dass Kommunikationsfähigkeit gefördert wird und dass wir junge Menschen aus dem christlichen Glauben heraus dazu prägen, unsere Gesellschaft aus dem christlichen Gedankengut zu gestalten.

Und ich denke, dass das eigentlich ganz gute Voraussetzungen sind, solchen Ideologien, wie sie von rechts geäußert werden und dann auch propagiert werden, dagegen gefeit zu sein.

Schwarz: Der Berliner katholische Erzbischof Rainer Maria Woelki über das 34. europäische Taizé-Treffen, das heute in Berlin beginnt. Herr Erzbischof, vielen Dank für das Gespräch!

Woelki: Ja, gern geschehen! Einen schönen Tag!

Schwarz: Danke!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Das vollständige Gespräch mit Rainer Maria Woelki können Sie mindestens bis zum 28.5.2012 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören.
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