"Wir fluten"

Der Moment, in dem sich Deutschland verändert

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Der deutsche Philosoph und Schriftsteller Rüdiger Safranski © picture alliance / dpa / Patrick Seeger
Von Winfried Sträter · 07.10.2015
Die Politik habe die Entscheidung getroffen, "Deutschland zu fluten" - so zitiert "Die Welt" den Schriftsteller Rüdiger Safranski. Und weiter: "Wenn die Kanzlerin sagt, Deutschland wird sich verändern, da möchte ich doch bitte gefragt werden." Eine Bemerkung, die einer Anmerkung bedarf, meint Winfried Sträter.
Ja, die Politik hatte die Entscheidung getroffen, ohne zu fragen.
Wie Günter Schabowski am 9. November 1989:
"Unverzüglich."
Und so stand am späten Abend jenes Tages der Oberstleutnant an der Grenze, sah die andrängenden Massen und ordnete an: "Wir fluten jetzt". Woraufhin der Regierende Bürgermeister, in dessen Territorium sich die Flut ergoss, vom glücklichsten Volk auf der Welt sprach.
Die Flutenden und die Überfluteten sprachen dieselbe Sprache, lebten sonst aber in zwei so gegensätzlichen Welten, dass sie sich kaum verstanden. Das merkte man erst etwas später. Den ängstlich Ahnungsvollen schwante Böses: da kommt so viel auf uns zu, das wird so teuer, das werden wir nicht schaffen. Nicht 800.000 oder 1,5 Millionen – 17 Millionen.
"Wir fluten jetzt": Das war der Moment, in dem sich Deutschland veränderte, ungefragt. Die verlassene Republik löste sich auf. Die Republik, in die sich die Flut ergoss, erlebte ihre Krisen, blühte neu auf und ist heute bunter, als Deutschland jemals gewesen ist.
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