"Wir brauchen mehr Demokratie in Europa"

Geert Mak im Gespräch mit Utel Welty · 04.10.2012
Die Europäische Union hat keine wirklich gute demokratische Legitimation, sagt der niederländische Schriftsteller und Publizist Geert Mak ("Was, wenn Europa scheitert"). Zudem seien die kulturellen und politischen Unterschiede zwischen den EU-Ländern noch lange nicht überwunden.
Ute Welty: Trotz Krise mehr Integration in Europa – dazu hat Bundesaußenminister Guido Westerwelle aufgerufen am Tag der deutschen Einheit. Es könne Deutschland auf Dauer nicht gut gehen, wenn es Europa schlecht ginge. Aber was, wenn Europa scheitert? Darüber hat sich der Niederländer Geert Mak Gedanken gemacht. Jurist, Journalist, Essayist und einer, der mit seinen Thesen nicht selten heftigen Widerspruch hervorruft. Was dann, glaube ich, zum Teil mindestens im Sinne des Erfinders ist. Guten Morgen, Herr Mak!

Geert Mak: Guten Morgen!

Welty: Sie haben von den Bemerkungen des deutschen Außenministers gehört, gilt das auch für Ihr Heimatland, also kann es den Niederlanden auf die Dauer gut gehen, wenn es Europa schlecht geht?

Mak: Das gilt sicher nicht für die Niederlande. Wir sind ein Handelsland und ein Finanzland und ein Transportland, wir sind in der Mitte Europa. Es würde sehr schlecht nicht für die niederländische Ökonomie sein, aber auch – und das ist mindestens so wichtig – für das Europa als ein Friedensprojekt.

Welty: Wenn denn Deutschland und die Niederlande in einer ähnlichen Situation sind, ziehen denn Deutschland und die Niederlande in Sachen Europa am selben Strang und vor allem in die richtige Richtung?

Mak: Ich glaube, dass man das versucht. Ich glaube, wir sind in der Mitte von einem Prozess, um etwas voneinander zu lernen, und in jeder Ehe hat man das auch, dass da ein Augenblick ist, dass man einander wirklich in die Augen sehen muss und sagt, wollen wir weitergehen. Das ist dieses Moment in Europa. Aber die Niederlande sind ein kleines Land. Wir sind klein. Deutschland muss wirklich akzeptieren und vielleicht auch lernen, wie es ist, um die Leiter Europas zu sein, ja, die Führung zu haben.

Wir können viel von den Amerikanern nicht lernen, aber das können wir von den Amerikanern lernen: Die Amerikaner waren zum Beispiel nach dem Zweiten Weltkrieg wirklich großartig. Es hat für die europäischen Leute eine große Sympathie gegeben für Amerika. Natürlich muss man disziplinieren, aber zugleich muss man wirklich die Haltung haben, die großartige Haltung von einem wirklich europäischen Leiter.

Welty: Trotzdem strotzt Ihr aktuelles Buch ja nicht gerade vor Optimismus, im Gegenteil, Sie setzen ein Mosaik zusammen, bei dessen Anblick einem angst und bange werden kann, und am Ende dann doch der erlösende Satz: Was auch immer geschehen mag, dieses Europa nimmt uns keiner mehr. Der Satz hat mich überrascht und erleichtert, aber die Sorge um Europa konnte er nicht vertreiben. Wollte er auch nicht?

Mak: Das kann ich nicht. Die heutige Situation ist etwas besser wie ein halbes Jahr her, aber noch immer sehr kompliziert und noch immer ziemlich gefährlich. Ein Bank-Ruin in Spanien ist noch immer möglich, und dann kann das ganze Eurosystem hineinstürzen. Ich glaube wohl, dass wir langsam, langsam ein wenig aus der Krise kommen, doch noch immer haben wir ein großes Problem in kultureller Absicht und ein Teil von den Programmen, glaube ich, die man jetzt auf Spanien und speziell auch auf Griechenland legt, dass die sind ja in dieser Kultur sehr schwer zu effektuieren.

Und ich glaube, dass man das in Brüssel und auch in Bonn und in meinem eigenen Land immer wieder unterschätzt. Man kann nicht … eine Patronagekultur und all diese Traditionen von Hunderten Jahren her kann man nicht innerhalb ein, zwei Jahren ändern. Das sind sehr schwere Prozesse, und ich glaube, man ist zuweilen zu optimistisch.

Welty: Eine zentrale Rolle kommt den Banken zu, das beschreiben Sie ausführlich. Sehen Sie Ansätze, die das Bankenproblem wirklich lösen?

Mak: Ja, das muss man. Das muss man, das ist natürlich, das ist der große Elefant im Zimmer, und jedermann läuft darauf hin und will das nicht sehen. Aber wir müssen nicht vergessen, dass der Anfang dieser Krise ist von mindestens 50 Prozent beim finanziellen System gewesen. Ich muss sagen, das ganze, auch in meinem eigenen Land, das ganze … – die Griechen haben das gemacht und das gemacht und das gemacht, unsere Banken haben auch viele, viele Fehler gemacht. Zum Teil ist die Rettung Griechenlands auch eine Rettung von den deutschen Banken gewesen natürlich, das müssen wir auch in unseren Augen sehen.

Welty: Im Zusammenhang mit den Banken gehen Sie vor allem auf Franklin D. Roosevelt ein, der zu Beginn seiner Amtszeit als amerikanischer Präsident in den 30er-Jahren sämtliche Banken erst mal per Notverordnung geschlossen hat, um sozusagen Ruhe in den Laden zu bringen. Wäre das eine Idee?

Mak: Vielleicht wäre das ein guter Gedanke gewesen vor einem halben Jahr, jetzt macht die Europäische Zentralbank natürlich auch ziemlich gute Entscheidungen. Man beruhigt die Märkte, kann man sagen, und das ist sehr wichtig. Aber Roosevelt diszipliniert auch den finanziellen Sektor, um so das finanzielle, das Kapitalsektor wieder ruhiger zu machen.

Das System hat ziemlich gut gearbeitet bis in die 80er-Jahre, und dann ist dies in Amerika losgegangen und später auch in Europa. Und wir müssen wieder zurückkehren zu einem normalen, nicht sehr aufregenden Finanzverkehr und lassen dann die Banken einen Teil reservieren, um ihr Lotto zu spielen, aber das muss nicht geschehen mit dem Geld von den normalen Leuten.

Welty: Wer in Europa hat den Mut, einen entsprechenden Impuls zu geben, oder braucht es da vielleicht doch wieder einen starken Mann in den USA?

Mak: Wir brauchen starke Männer und Frauen, ein wenig Charisma kann zuweilen wichtig sein, aber wir brauchen auf der anderen Seite, und das ist, glaube ich, wichtiger, mehr Demokratie in Europa. Denn ein anderer Teil dieses Problems ist, dass Europa nicht wirklich ein gute demokratische Legitimation hat. Und wir bezahlen einen hohen Preis für den Fakt, dass zum Beispiel das Europäische Parlament nicht wirklich ein funktionierendes Parlament ist wie die Parlamente in anderen Ländern.

Das europäische Cafehaus existiert nicht wirklich. In allen europäischen Ländern sind wir voll mit nationalen Cafehäusern und nationalen Debatten, und das ist sehr wichtig, aber wir müssen das Gleiche auch aufheben auf europäisches Niveau.

Welty: Was, wenn Europa scheitert? Das neue Buch von Geert Mak lohnt, und das Gespräch mit ihm sowieso, danke dafür!

Mak: Danke!


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