"Wir brauchen künstliche Intelligenz"

Alan Shapiro im Gespräch mit Holger Hettinger · 05.02.2010
Der Technologieforscher, Philosoph und Literaturwissenschaftler Alan Shapiro möchte ein anderes Verhältnis zwischen Mensch und Technik herstellen. So soll die Computersoftware der Zukunft mit künstlicher Intelligenz arbeiten, wie ein "lebendiges Wesen, das unseren Respekt verdient."
Holger Hettinger: Alan Shapiro ist ein Mensch mit ganz vielen Forschungsinteressen und Wissensgebieten, die auf den ersten Blick so gar nicht sonderlich viel miteinander zu tun haben. Und deswegen wird ihm gerne das Etikett interdisziplinärer Denker umgehängt. Er ist studierter Technologieforscher, aber auch Philosoph und Literaturwissenschaftler, er hat als Softwareentwickler gearbeitet, berät große Technologiefirmen und Automobilhersteller. Er hat ein wegweisendes Buch über futuristische Wissenschaften geschrieben, und er hat eine Firma gegründet namens Shapiro Technologies, die zwei Grundprinzipien hat: Freundschaft und Nicht-Arbeiten. Derzeit ist er in Berlin, als Referent des Medienkunstfestivals Transmediale, und er hat Zeit gefunden, bei seinen doch sehr dicht gestrickten Aktivitäten hier einen Abstecher ins Studio von Deutschlandradio Kultur zu machen. Schön, dass Sie da sind, Herr Shapiro, herzlich Willkommen!

Alan Shapiro: Danke, vielen Dank!

Hettinger: Herr Shapiro, gemeinsam mit dem irischen Künstler und Computerwissenschaftler Alexis Clancy haben Sie ein Forschungsfeld begründet namens New Computer Science, also neue Informatik, neue Computerwissenschaften, frei übersetzt. Jetzt hat man den Eindruck, dass die Entwicklung im Computerbereich von zwei Konstanten bestimmt ist, die Dinger werden immer kleiner und sie werden immer schneller. Was machen Sie anders?

Shapiro: Was wir in letzter Zeit gemacht haben, ist, wir haben ein 57-seitiges Dokument über New Computer Science geschrieben, und da werden 22 Softwareentwicklungsprojekte in sehr vielen Details beschrieben. Weil, wir fangen an mit dem bestehenden Paradigma der Softwareentwicklung, die sogenannte Objektorientierung, und werden die erweitern ganz konkret in Richtung künstliches Leben, das heißt Software, laut Metapher, lebendiger Organismus statt mechanistischer Maschine.

Hettinger: Wie muss ich mir das konkret vorstellen?

Shapiro: Wir müssen zum Beispiel, wie eine Datenbank definiert ist, ändern und erweitern. Wir haben die SQL-Sprache, die SQL-Sprache macht Queries und die ist sehr mechanistisch, man kann suchen, man browsen, man kann updaten, aber die Software, die die Datenbank verwaltet, hat kein Feeling, hat keine Intuition. Und das versuchen wir zu schaffen, eine Software, die zum Beispiel in Softwarebereichen, die künstlerisch sind, so Gestaltung, Design, Komponisten, Software für Tänzer und Choreografen. Wir wollen eine Software, die mit dem Künstler zusammenarbeitet und Intuitionen mit ins Spiel bringt.

Hettinger: Das ist ja eigentlich eine ganz interessante Gratwanderung, denn ein Künstler, der vermutet ja die Kreativität in sich selbst. Und wenn ich mich da so ein bisschen reindenke, in einen Komponisten beispielsweise, also ich würde nicht wollen, dass der Computer Dinge tut, die eigentlich in mir geschehen sollen. Vor dem Hintergrund ist ja dieses mechanische, wie Sie es nennen, aber auch das strukturierte doch eigentlich gar nicht mal schlecht.

Shapiro: Ja, wir haben das Bild von dem Computer als Werkzeug, als Tool, der große Science-Fiction-Film "2001" von Stanley Kubrick zeigt uns ganz klar, dass wir stehen vor einer Zeitwende, der Vorstellung, was ist Technik, was ist Technologie. Das sollen die Affen am Anfang des Films entdecken, Werkzeuge und damit werden sie zum Menschen und unterscheiden sich von Tieren. Und das hat dann mit Macht zu tun, weil die Technologie für uns, in diesen vielen Jahrtausenden, ist ein Tool zur Beherrschung der Natur. Wir nutzen die Technologie, um etwas produktiv zu schaffen, um Tiere zu töten, um die Natur zu dominieren, um Krieg zu machen.

Aber jetzt stehen wir vor der Möglichkeit, dass wir eine richtige Partnerschaft mit der Technologie in ein neues Paradigma schaffen können, und das heißt, wir müssen Technologie beziehungsweise Software als lebendiges Wesen betrachten, sonst ist die kein richtiger Partner, die mit Respekt behandelt wird. Das zeigt uns auch … so meine zwei Lieblings-Science-Fiction-Filme sind "2001" und "Blade Runner". Ein Android in "Blade Runner" stellt sich die Frage, was ist der Unterschied zwischen Mensch und Android. Und wir sollen von Androiden lernen, die sollen für uns ein Spiegel sein, was auch mit der Literaturwissenschaft konsistent ist, weil der große französische Schriftsteller, 19. Jahrhundert, Stendhal, hat schon gesagt, die Literatur ist ein Spiegel, die den Menschen Bewusstsein und Reflexion über sich selbst kritisches Denken bringt, und ich denke, wir brauchen Androide, künstliche Intelligenz. Der erste Schritt ist Software und ein ganz anderes Paradigma als lebendiges Wesen, das unseren Respekt verdient.

Hettinger: Sie reden im Rahmen der Transmediale über die Zukunft des Automobils, in welche Richtung gehen Ihre Ideen?

Shapiro: Ich habe mir die Frage gestellt, wenn man Soziologie und Urbanistik wirklich ernst nimmt, wenn man Denker und Forscher wie Marshall McLuhan und Lewis Mumford und Buckminster Fuller ernst nimmt, was hätten die über das Auto der Zukunft zu sagen. Und ich bin zur Idee gekommen, das Auto als Transformer, als Shape Shifter. Das heißt, das Auto jetzt und das ist mein persönliches Erlebnis des Autos, das Auto nimmt in der Stadt unheimlich viel Platz. So wir, die Menschen, sind Second Class Citizens in der Stadt.

Hettinger: Jeder, der mal versucht hat, in Berlin eine Straße zu überqueren, wird dem zustimmen, vermute ich, ja.

Shapiro: Ja, ja, das ist lebensgefährlich in einer Stadt zu leben, wenn man nicht total aufpasst. Und ich denke, die Straßen können enger werden, das ist meine Idee des vertikalen Autos. Das Auto soll ... so, ich hab zusammen mit dem futuristischen Designer Nick Pew, auch Amerikaner, der in Kalifornien lebt, zusammengearbeitet. Er hat meine Ideen visualisiert, etwa 25 Visualisierungen, das Auto der Zukunft. Das Auto hat mindestens fünf oder sechs verschiedene Modi. Wenn das Auto auf der Autobahn ist, ist immer noch ein horizontales Auto, wie heute. Aber in der Stadt und es gibt ganz realistische Technologien, die das ermöglichen.

Hettinger: Also es ist dann mehr hoch als breit?

Shapiro: Mehr hoch auch als breit und dann 50 Prozent enger. Natürlich ist das eine sehr utopistische Idee, weil ich werde versuchen, mit einem Autohersteller das zu verwirklichen.

Hettinger: Mercedes wäre ganz interessant, die haben mal einen Elchtest gemacht, bei einem Auto das sehr hoch war, nämlich diese Mercedes A-Klasse. Ein Kleinwagen, der erstmals richtig hoch gebaut war und die ist in den ersten Jahren immer umgekippt, aber softwaremäßig mit irgendeiner speziellen Form der Antischleuderregelung hat man das tatsächlich in den Griff gekriegt.

Shapiro: Ich befürchte, dass die große Autokonzerne in Deutschland zu konservativ sind, um so was zu machen. Ich hatte schon im November 2008, habe ich über meine Vision des Autos der Zukunft bei Volkswagen in Wolfsburg eine Präsentation gemacht. Vor 15 Menschen von der Human-Machine-Interface-Abteilung und der Infotainment-Abteilung und die war große Freude und haben sehr enthusiastisch reagiert auf meine Ideen. Aber ich glaube, Volkswagen ist zu konservativ, um so was zu machen.

Hettinger: Also sind das die Kleinen, der Smart wurde auch von jemandem entwickelt, der Zeit seines Lebens Uhren verkauft hat, Herr Hayek.

Shapiro: Ja.

Hettinger: Braucht es diese Querdenker, braucht es diese Nischenlösungen, damit sich so was überhaupt in irgendeiner Form etabliert?

Shapiro: Ja, ich glaube schon, weil wir müssen das Auto total neu erfinden und wir brauchen da interdisziplinäres Wissen. Ja, soziologisch und Urbanistik. Weil das Auto, wie es ist, das kommt von dem Panzer und von der Kutsche, so die Form es Autos, ja. Und natürlich haben wir jetzt, es gibt sehr flexible Technologien, die Form des Autos kann in diese verschiedenen Modi transformieren.

Hettinger: Klingt wahnsinnig faszinierend und sehr interessant, ich frage mich nur, gerade solche Konzepte, die sehr weit in die Zukunft weisen und natürlich eine gewisse technische Machbarkeit voraussetzen, aber auch eine Akzeptanz auf dem Markt. Das klingt revolutionär, das klingt auch unglaublich praktisch und ist mit Sicherheit eine Lösung in unseren vollgestopften Städten, allerdings gibt es da ja auch noch den Kunden. Und dieser Kunde ist eitel, der will dieses Auto nicht nur zum Fahren, sondern auch zum repräsentieren, er will, dass der Nachbar neidisch ist. Dass er sieht, boah, ist das ein toller Hecht, wenn der sich so ein Riesenauto leisten kann und das ist doch eine erhebliche Bremse letztlich bei der Umsetzung solcher revolutionärer Ideen, oder?

Shapiro: Ich finde nicht, weil das Auto, wie ich das konzipiere, wird auch ein erotisches Objekt sein, der Geschwindigkeit. So, ich mag keine kleinen Autos, das unterscheidet mich. Alle die an das Auto der Zukunft denken, haben nur die Frage des Petrols berücksichtigt, ja.

Hettinger: Also verbrauchsgünstig muss es sein, daher klein. Das kreiert so eine gewisse Verzichtsästhetik.

Shapiro: Die Betonung ist nur auf der Aspekte Umwelt und was ersetzt Petrol mit Hybridautos, aber das Auto hat wahnsinnig viele andere Aspekte und nicht nur den Antrieb. Also ich gebe nichts auf, von, was die Leute heutzutage an Autos lieben und mögen, das wird alles noch konserviert werden und dann noch dazu diese neuen Möglichkeiten.

Hettinger: Ja, herzlichen Dank! Alan Shapiro war das hier im Studio von Deutschlandradio Kultur. Er berät große Technologiefirmen, Autohersteller, er beschäftigt sich mit Computerwissenschaften, mit New Computer Science und er ist zu Gast bei der Transmediale, dem großen Medienkunstfestival hier in Berlin, da spricht er über die Zukunft des Autos. Ich danke Ihnen sehr für Ihren Besuch hier im Studio!

Shapiro: Ich bedanke mich auch!